Fragmente. Unser Wissen ist Stückwerk. Die sichtbare Welt muß dem zum Himmel erschaf- fenen Geiste eine Wüste scheinen, ähnlich jener Wüste, worin sich für Tausende, welche der Hunger verzehrte, nur fünf Brodte und zwey Fische fanden. Aber die Brodte, die uns Gott aufträgt, mögen noch so kümmerlich aussehen, die Fische noch so klein seyn; sie sind gesegnet: wir mit ihnen sind gesegnet von einem allmäch- tigen, wunderthätigen, Geheimnißvollen Gott.
" .... Ist es nicht unser Geist selbst, der über seine Entfernung vom Wahren und Wesentlichen klagt; durch diese Klage seinen hohen Ursprung verräth; selbst ein Zeichen da- von giebt, dadurch, daß er sich als einen Schöpfer über die sinnlichen Eindrücke er- hebt, daß er sie fruchtbar macht, sie zu einem Gerüste fügt und baut, um den Himmel zu ersteigen, oder -- sich Götzen schafft, für die er Ziegel brennt und Stoppeln zusammensucht.
".... Jene philosophische Neugierde,
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Fragmente. Unſer Wiſſen iſt Stuͤckwerk. Die ſichtbare Welt muß dem zum Himmel erſchaf- fenen Geiſte eine Wuͤſte ſcheinen, aͤhnlich jener Wuͤſte, worin ſich fuͤr Tauſende, welche der Hunger verzehrte, nur fuͤnf Brodte und zwey Fiſche fanden. Aber die Brodte, die uns Gott auftraͤgt, moͤgen noch ſo kuͤmmerlich ausſehen, die Fiſche noch ſo klein ſeyn; ſie ſind geſegnet: wir mit ihnen ſind geſegnet von einem allmaͤch- tigen, wunderthaͤtigen, Geheimnißvollen Gott.
„ .... Iſt es nicht unſer Geiſt ſelbſt, der uͤber ſeine Entfernung vom Wahren und Weſentlichen klagt; durch dieſe Klage ſeinen hohen Urſprung verraͤth; ſelbſt ein Zeichen da- von giebt, dadurch, daß er ſich als einen Schoͤpfer uͤber die ſinnlichen Eindruͤcke er- hebt, daß er ſie fruchtbar macht, ſie zu einem Geruͤſte fuͤgt und baut, um den Himmel zu erſteigen, oder — ſich Goͤtzen ſchafft, fuͤr die er Ziegel brennt und Stoppeln zuſammenſucht.
„.... Jene philoſophiſche Neugierde,
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Fragmente. Unſer Wiſſen iſt Stuͤckwerk. Die
ſichtbare Welt muß dem zum Himmel erſchaf-
fenen Geiſte eine Wuͤſte ſcheinen, aͤhnlich jener
Wuͤſte, worin ſich fuͤr Tauſende, welche der
Hunger verzehrte, nur fuͤnf Brodte und zwey
Fiſche fanden. Aber die Brodte, die uns Gott
auftraͤgt, moͤgen noch ſo kuͤmmerlich ausſehen,
die Fiſche noch ſo klein ſeyn; ſie ſind geſegnet:
wir mit ihnen ſind geſegnet von einem allmaͤch-
tigen, wunderthaͤtigen, Geheimnißvollen Gott.
„ .... Iſt es nicht unſer Geiſt ſelbſt,
der uͤber ſeine Entfernung vom Wahren und
Weſentlichen klagt; durch dieſe Klage ſeinen
hohen Urſprung verraͤth; ſelbſt ein Zeichen da-
von giebt, dadurch, daß er ſich als einen
Schoͤpfer uͤber die ſinnlichen Eindruͤcke er-
hebt, daß er ſie fruchtbar macht, ſie zu einem
Geruͤſte fuͤgt und baut, um den Himmel zu
erſteigen, oder — ſich Goͤtzen ſchafft, fuͤr die
er Ziegel brennt und Stoppeln zuſammenſucht.
„.... Jene philoſophiſche Neugierde,
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/199>, abgerufen am 24.11.2024.
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