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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwürdi-
gen Sinnesänderung, mich nun endlich zur
wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen
Weg zur Glückseligkeit betreten zu haben glaub-
te; dann vor Entsetzen und Schaam vergehen
wollte, daß ich vor nur so wenigen Tagen --
oft vor nur so wenigen Stunden, noch ein so
unbegreiflicher Thor hatte seyn können. Aber,
o Tyranney des Schicksals! bald darauf kam
mein unbegreiflicher Thor wieder ganz statt-
lich, als der weiseste Mann, ans Licht, und
schämte sich seines Vorfahrs nicht weniger,
als dieser vor kurzem seiner sich geschämt
hatte.

Ein Schelm thut mehr als er
kann
, sagt ein altes deutsches Sprüchwort.
Es ließe sich ein schönes dickes Buch über die-
ses Sprüchwort schreiben, und es soll mein
erstes seyn, wenn ich je eins unternehme. Ein
feuriger, geistvoller Jüngling, der ein Epic-
tet seyn will, will mehr als er kann, und
muß schlechterdings dabey zum Schelmen wer-

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niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi-
gen Sinnesaͤnderung, mich nun endlich zur
wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen
Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub-
te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen
wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen —
oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo
unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber,
o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam
mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt-
lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und
ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger,
als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt
hatte.

Ein Schelm thut mehr als er
kann
, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort.
Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die-
ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein
erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein
feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein Epic-
tet ſeyn will, will mehr als er kann, und
muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer-

P 2
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[227/0265] niß, wie ich ehmals, bey jeder merkwuͤrdi- gen Sinnesaͤnderung, mich nun endlich zur wahren Weisheit bekehrt, und den einzigen Weg zur Gluͤckſeligkeit betreten zu haben glaub- te; dann vor Entſetzen und Schaam vergehen wollte, daß ich vor nur ſo wenigen Tagen — oft vor nur ſo wenigen Stunden, noch ein ſo unbegreiflicher Thor hatte ſeyn koͤnnen. Aber, o Tyranney des Schickſals! bald darauf kam mein unbegreiflicher Thor wieder ganz ſtatt- lich, als der weiſeſte Mann, ans Licht, und ſchaͤmte ſich ſeines Vorfahrs nicht weniger, als dieſer vor kurzem ſeiner ſich geſchaͤmt hatte. Ein Schelm thut mehr als er kann, ſagt ein altes deutſches Spruͤchwort. Es ließe ſich ein ſchoͤnes dickes Buch uͤber die- ſes Spruͤchwort ſchreiben, und es ſoll mein erſtes ſeyn, wenn ich je eins unternehme. Ein feuriger, geiſtvoller Juͤngling, der ein Epic- tet ſeyn will, will mehr als er kann, und muß ſchlechterdings dabey zum Schelmen wer- P 2

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/265>, abgerufen am 24.11.2024.