"seyn kann. Mir däucht, wer auf eine andere "Weise tolerant ist, der mißbraucht Sache und "Wort, der ist nicht tolerant, der ist wankel- "müthig, schwach, kindisch. Ein Kind wird "von allen Dingen entzückt, die nur im Vor- "übergleiten einen angenehmen Eindruck auf "seine zarten Sinne machen; es unterscheidet, "es schätzt sie weiter nicht: in jeder Stunde ist "ihm etwas anderes schön, und was in dem "gegenwärtigen Augenblicke es vergnügt, das "schönste von allem. Ein Mann im Gegen- "theil unterscheidet die Dinge an ihren eigen- "thümlichen Merkmalen; er ordnet sie nach ih- "rem Gebrauche für sein ganzes Daseyn, und "weiß, was gut und schön ist, mit Namen "zu nennen."
"Alles Mögliche von einer gewissen Seite "betrachtet, läßt sich in einem erträglichen "Lichte sehen; denn nichts kann durchaus "häßlich und böse seyn. Aber so, wie wir "von entfernten Körpern nur dann sagen, "daß wir sie in ihrer wahren Gestalt erken-
„ſeyn kann. Mir daͤucht, wer auf eine andere „Weiſe tolerant iſt, der mißbraucht Sache und „Wort, der iſt nicht tolerant, der iſt wankel- „muͤthig, ſchwach, kindiſch. Ein Kind wird „von allen Dingen entzuͤckt, die nur im Vor- „uͤbergleiten einen angenehmen Eindruck auf „ſeine zarten Sinne machen; es unterſcheidet, „es ſchaͤtzt ſie weiter nicht: in jeder Stunde iſt „ihm etwas anderes ſchoͤn, und was in dem „gegenwaͤrtigen Augenblicke es vergnuͤgt, das „ſchoͤnſte von allem. Ein Mann im Gegen- „theil unterſcheidet die Dinge an ihren eigen- „thuͤmlichen Merkmalen; er ordnet ſie nach ih- „rem Gebrauche fuͤr ſein ganzes Daſeyn, und „weiß, was gut und ſchoͤn iſt, mit Namen „zu nennen.”
„Alles Moͤgliche von einer gewiſſen Seite „betrachtet, laͤßt ſich in einem ertraͤglichen „Lichte ſehen; denn nichts kann durchaus „haͤßlich und boͤſe ſeyn. Aber ſo, wie wir „von entfernten Koͤrpern nur dann ſagen, „daß wir ſie in ihrer wahren Geſtalt erken-
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„ſeyn kann. Mir daͤucht, wer auf eine andere
„Weiſe tolerant iſt, der mißbraucht Sache und
„Wort, der iſt nicht tolerant, der iſt wankel-
„muͤthig, ſchwach, kindiſch. Ein Kind wird
„von allen Dingen entzuͤckt, die nur im Vor-
„uͤbergleiten einen angenehmen Eindruck auf
„ſeine zarten Sinne machen; es unterſcheidet,
„es ſchaͤtzt ſie weiter nicht: in jeder Stunde iſt
„ihm etwas anderes ſchoͤn, und was in dem
„gegenwaͤrtigen Augenblicke es vergnuͤgt, das
„ſchoͤnſte von allem. Ein Mann im Gegen-
„theil unterſcheidet die Dinge an ihren eigen-
„thuͤmlichen Merkmalen; er ordnet ſie nach ih-
„rem Gebrauche fuͤr ſein ganzes Daſeyn, und
„weiß, was gut und ſchoͤn iſt, mit Namen
„zu nennen.”
„Alles Moͤgliche von einer gewiſſen Seite
„betrachtet, laͤßt ſich in einem ertraͤglichen
„Lichte ſehen; denn nichts kann durchaus
„haͤßlich und boͤſe ſeyn. Aber ſo, wie wir
„von entfernten Koͤrpern nur dann ſagen,
„daß wir ſie in ihrer wahren Geſtalt erken-
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/288>, abgerufen am 25.11.2024.
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