heit -- jenes ewig verschlingenden, ewig wie- derkäuenden Ungeheuers, welches Werthern erschien, wie ehmals dem Brutus sein böser Genius. "Du wirst mich wiedersehen "bey Philippi!" -- Und bey Philippi gab der Held seinen Geist mit den Worten auf: "Tugend, du bist nur ein lee- "rer Name!"
Das ist sie nicht! Du selbst, Erhard, rufst mit edlem Unwillen: Das ist sie nicht! Nun, so laß mich denn auch nach Wahrheit ringen, nach meinem Schatze graben, und am Finden nicht verzweifeln.
Schein und Schatten umgeben uns. Nicht einmal das Wesen unseres eigenen Daseyns erkennen wir. Alles prägen wir mit unserm Bilde, und dies Bild ist eine wechselnde Ge- stalt; jenes Ich, daß wir unser Selbst nen- nen, eine zweydeutige Geburt aus Allem und aus Nichts: die eigene Seele nur Erschei- nung .. Doch eine der Wesenheit sich nä-
heit — jenes ewig verſchlingenden, ewig wie- derkaͤuenden Ungeheuers, welches Werthern erſchien, wie ehmals dem Brutus ſein boͤſer Genius. „Du wirſt mich wiederſehen „bey Philippi!” — Und bey Philippi gab der Held ſeinen Geiſt mit den Worten auf: „Tugend, du biſt nur ein lee- „rer Name!”
Das iſt ſie nicht! Du ſelbſt, Erhard, rufſt mit edlem Unwillen: Das iſt ſie nicht! Nun, ſo laß mich denn auch nach Wahrheit ringen, nach meinem Schatze graben, und am Finden nicht verzweifeln.
Schein und Schatten umgeben uns. Nicht einmal das Weſen unſeres eigenen Daſeyns erkennen wir. Alles praͤgen wir mit unſerm Bilde, und dies Bild iſt eine wechſelnde Ge- ſtalt; jenes Ich, daß wir unſer Selbſt nen- nen, eine zweydeutige Geburt aus Allem und aus Nichts: die eigene Seele nur Erſchei- nung .. Doch eine der Weſenheit ſich naͤ-
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heit — jenes ewig verſchlingenden, ewig wie-
derkaͤuenden Ungeheuers, welches Werthern
erſchien, wie ehmals dem Brutus ſein boͤſer
Genius. „Du wirſt mich wiederſehen
„bey Philippi!” — Und bey Philippi
gab der Held ſeinen Geiſt mit den Worten
auf: „Tugend, du biſt nur ein lee-
„rer Name!”
Das iſt ſie nicht! Du ſelbſt, Erhard,
rufſt mit edlem Unwillen: Das iſt ſie nicht!
Nun, ſo laß mich denn auch nach Wahrheit
ringen, nach meinem Schatze graben, und am
Finden nicht verzweifeln.
Schein und Schatten umgeben uns. Nicht
einmal das Weſen unſeres eigenen Daſeyns
erkennen wir. Alles praͤgen wir mit unſerm
Bilde, und dies Bild iſt eine wechſelnde Ge-
ſtalt; jenes Ich, daß wir unſer Selbſt nen-
nen, eine zweydeutige Geburt aus Allem und
aus Nichts: die eigene Seele nur Erſchei-
nung .. Doch eine der Weſenheit ſich naͤ-
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/325>, abgerufen am 24.11.2024.
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