ist nicht groß, für die Wahrheit aller Wahr- heiten zu achten: es gebe keine Wahrheit. Der ganze Mensch muß seicht und schaal ge- worden seyn, wenn er zu sich selbst sagen und dabey guter Dinge bleiben kann: Ich bin nichts; ich weiß nichts; ich glaube nichts.
Nur soviel ist Gutes am Menschen; nur in so weit ist er sich und andern etwas werth, als er Fähigkeit zu ahnden und zu glauben hat. Es liegt in der Natur des endlichen, nur mittelbar, das ist sinnlich erkennen- den Wesens, daß ihm Wahrheit, daß ihm eigentliches Daseyn und Leben, so wenig ganz aufgedeckt, als ganz verborgen seyn kann. Sympathie mit dem unsichtbaren Wirk- lichen, Lebendigen und Wahren ist Glaube. Je mehr Sinn jemand für das Unsichtbare in der Natur und im Menschen zeigt; je wirksamer und thätiger aus dem Unsichtbaren in ihm selbst er sich beweist; für desto vor- treflicher müssen wir ihn achten, und achten wir ihn allgemein -- -- Seltsam, daß wir
iſt nicht groß, fuͤr die Wahrheit aller Wahr- heiten zu achten: es gebe keine Wahrheit. Der ganze Menſch muß ſeicht und ſchaal ge- worden ſeyn, wenn er zu ſich ſelbſt ſagen und dabey guter Dinge bleiben kann: Ich bin nichts; ich weiß nichts; ich glaube nichts.
Nur ſoviel iſt Gutes am Menſchen; nur in ſo weit iſt er ſich und andern etwas werth, als er Faͤhigkeit zu ahnden und zu glauben hat. Es liegt in der Natur des endlichen, nur mittelbar, das iſt ſinnlich erkennen- den Weſens, daß ihm Wahrheit, daß ihm eigentliches Daſeyn und Leben, ſo wenig ganz aufgedeckt, als ganz verborgen ſeyn kann. Sympathie mit dem unſichtbaren Wirk- lichen, Lebendigen und Wahren iſt Glaube. Je mehr Sinn jemand fuͤr das Unſichtbare in der Natur und im Menſchen zeigt; je wirkſamer und thaͤtiger aus dem Unſichtbaren in ihm ſelbſt er ſich beweiſt; fuͤr deſto vor- treflicher muͤſſen wir ihn achten, und achten wir ihn allgemein — — Seltſam, daß wir
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iſt nicht groß, fuͤr die Wahrheit aller Wahr-
heiten zu achten: es gebe keine Wahrheit.
Der ganze Menſch muß ſeicht und ſchaal ge-
worden ſeyn, wenn er zu ſich ſelbſt ſagen und
dabey guter Dinge bleiben kann: Ich bin
nichts; ich weiß nichts; ich glaube nichts.
Nur ſoviel iſt Gutes am Menſchen; nur
in ſo weit iſt er ſich und andern etwas werth,
als er Faͤhigkeit zu ahnden und zu glauben
hat. Es liegt in der Natur des endlichen,
nur mittelbar, das iſt ſinnlich erkennen-
den Weſens, daß ihm Wahrheit, daß ihm
eigentliches Daſeyn und Leben, ſo wenig
ganz aufgedeckt, als ganz verborgen ſeyn kann.
Sympathie mit dem unſichtbaren Wirk-
lichen, Lebendigen und Wahren iſt Glaube.
Je mehr Sinn jemand fuͤr das Unſichtbare
in der Natur und im Menſchen zeigt; je
wirkſamer und thaͤtiger aus dem Unſichtbaren
in ihm ſelbſt er ſich beweiſt; fuͤr deſto vor-
treflicher muͤſſen wir ihn achten, und achten
wir ihn allgemein — — Seltſam, daß wir
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/346>, abgerufen am 23.11.2024.
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