sammt und sonders in unserer Wissenschaft, Kunst, oder anderen Geschäftigkeit, so gern das Ueberschwängliche, das Wunderbare er- reichen mögen, damit man uns ehre, uns liebe, und -- nicht begreife! Seltsam, daß wir nach demselben Maaße auch andre ehren und lieben; dann aber uns plötzlich weg- wenden, und nur -- was sich theoretisch dar- thun, gewissermaaßen nach machen und, so, mit Händen greifen läßt, der Mühe werth achten wollen, unseren Blick darauf zu heften.
Ein finsteres Geheimniß liegt eben schwer auf uns allen: das Geheimniß des Nichtseyns, des Daseyns durch Vergänglichkeit, des Ver- mögens mit und durch lauter Unvermögen -- das Geheimniß des Endlichen. Un- endliches scheint der Stoff; Endlichkeit die Form der Dinge zu seyn. Also wäre Nicht- seyn -- wenn die Begriffe von Endlichkeit und Nichtseyn in einander fließen -- die Mög- lichkeit; Nichtseyn wäre die nächste Ursache der Natur und ihres Inhalts!
U 3
ſammt und ſonders in unſerer Wiſſenſchaft, Kunſt, oder anderen Geſchaͤftigkeit, ſo gern das Ueberſchwaͤngliche, das Wunderbare er- reichen moͤgen, damit man uns ehre, uns liebe, und — nicht begreife! Seltſam, daß wir nach demſelben Maaße auch andre ehren und lieben; dann aber uns ploͤtzlich weg- wenden, und nur — was ſich theoretiſch dar- thun, gewiſſermaaßen nach machen und, ſo, mit Haͤnden greifen laͤßt, der Muͤhe werth achten wollen, unſeren Blick darauf zu heften.
Ein finſteres Geheimniß liegt eben ſchwer auf uns allen: das Geheimniß des Nichtſeyns, des Daſeyns durch Vergaͤnglichkeit, des Ver- moͤgens mit und durch lauter Unvermoͤgen — das Geheimniß des Endlichen. Un- endliches ſcheint der Stoff; Endlichkeit die Form der Dinge zu ſeyn. Alſo waͤre Nicht- ſeyn — wenn die Begriffe von Endlichkeit und Nichtſeyn in einander fließen — die Moͤg- lichkeit; Nichtſeyn waͤre die naͤchſte Urſache der Natur und ihres Inhalts!
U 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0347"n="309"/>ſammt und ſonders in unſerer Wiſſenſchaft,<lb/>
Kunſt, oder anderen Geſchaͤftigkeit, ſo gern<lb/>
das Ueberſchwaͤngliche, das Wunderbare er-<lb/>
reichen moͤgen, damit man uns ehre, uns<lb/>
liebe, und —<hirendition="#g">nicht begreife</hi>! Seltſam,<lb/>
daß wir nach demſelben Maaße auch andre<lb/>
ehren und lieben; dann aber uns ploͤtzlich weg-<lb/>
wenden, und nur — was ſich theoretiſch dar-<lb/>
thun, gewiſſermaaßen <hirendition="#g">nach machen</hi> und, ſo,<lb/>
mit Haͤnden greifen laͤßt, der Muͤhe werth<lb/>
achten wollen, unſeren Blick darauf zu heften.</p><lb/><p>Ein finſteres Geheimniß liegt eben ſchwer<lb/>
auf uns allen: das Geheimniß des Nichtſeyns,<lb/>
des Daſeyns durch Vergaͤnglichkeit, des Ver-<lb/>
moͤgens mit und durch lauter Unvermoͤgen —<lb/><hirendition="#g">das Geheimniß des Endlichen</hi>. Un-<lb/>
endliches ſcheint der <hirendition="#g">Stoff</hi>; Endlichkeit die<lb/><hirendition="#g">Form</hi> der Dinge zu ſeyn. Alſo waͤre <hirendition="#g">Nicht-<lb/>ſeyn</hi>— wenn die Begriffe von Endlichkeit<lb/>
und Nichtſeyn in einander fließen — die <hirendition="#g">Moͤg-<lb/>
lichkeit</hi>; Nichtſeyn waͤre die naͤchſte Urſache<lb/>
der Natur und ihres Inhalts!</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 3</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[309/0347]
ſammt und ſonders in unſerer Wiſſenſchaft,
Kunſt, oder anderen Geſchaͤftigkeit, ſo gern
das Ueberſchwaͤngliche, das Wunderbare er-
reichen moͤgen, damit man uns ehre, uns
liebe, und — nicht begreife! Seltſam,
daß wir nach demſelben Maaße auch andre
ehren und lieben; dann aber uns ploͤtzlich weg-
wenden, und nur — was ſich theoretiſch dar-
thun, gewiſſermaaßen nach machen und, ſo,
mit Haͤnden greifen laͤßt, der Muͤhe werth
achten wollen, unſeren Blick darauf zu heften.
Ein finſteres Geheimniß liegt eben ſchwer
auf uns allen: das Geheimniß des Nichtſeyns,
des Daſeyns durch Vergaͤnglichkeit, des Ver-
moͤgens mit und durch lauter Unvermoͤgen —
das Geheimniß des Endlichen. Un-
endliches ſcheint der Stoff; Endlichkeit die
Form der Dinge zu ſeyn. Alſo waͤre Nicht-
ſeyn — wenn die Begriffe von Endlichkeit
und Nichtſeyn in einander fließen — die Moͤg-
lichkeit; Nichtſeyn waͤre die naͤchſte Urſache
der Natur und ihres Inhalts!
U 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/347>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.