Schicksal, nur Ein Grab sehen, allen Stür- men Trotz bieten, -- am Ende doch sich unver- sehens einander in den Grund segeln; oft, der armseligsten Grille wegen, gescheitert da lie- gen, ohne Rettung. Wohl ihnen, daß sie selten das Geheimniß ihres Schicksals verste- hen!
Ich habe lange ein Bild alles menschlichen Thuns und Seyns, unserer sogenannten Laufbahn, in der Seele; ein ärgerliches, aber richtiges Bild: den Gang im Krah- ne. Mit zugeschlossenen Augen rennt jeder vorwärts in seinem Rade, freut sich der zu- rückgelegten Bahn; weiß so viele Thorheiten, so vielen Jammer hinter sich; und merkt nicht, daß dicht an seinem Rücken dies alles wieder empor steigt, von neuem über sein Haupt, vor seine Stirne, und unter seine Tritte kommt. Ich mag hievon nicht reden: denn wer es am hellsten einsieht, hat es nur um so viel besser, daß er in seinem Rade stille stehen bleibt, die andern auslacht, oder be-
Schickſal, nur Ein Grab ſehen, allen Stuͤr- men Trotz bieten, — am Ende doch ſich unver- ſehens einander in den Grund ſegeln; oft, der armſeligſten Grille wegen, geſcheitert da lie- gen, ohne Rettung. Wohl ihnen, daß ſie ſelten das Geheimniß ihres Schickſals verſte- hen!
Ich habe lange ein Bild alles menſchlichen Thuns und Seyns, unſerer ſogenannten Laufbahn, in der Seele; ein aͤrgerliches, aber richtiges Bild: den Gang im Krah- ne. Mit zugeſchloſſenen Augen rennt jeder vorwaͤrts in ſeinem Rade, freut ſich der zu- ruͤckgelegten Bahn; weiß ſo viele Thorheiten, ſo vielen Jammer hinter ſich; und merkt nicht, daß dicht an ſeinem Ruͤcken dies alles wieder empor ſteigt, von neuem uͤber ſein Haupt, vor ſeine Stirne, und unter ſeine Tritte kommt. Ich mag hievon nicht reden: denn wer es am hellſten einſieht, hat es nur um ſo viel beſſer, daß er in ſeinem Rade ſtille ſtehen bleibt, die andern auslacht, oder be-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0058"n="20"/>
Schickſal, nur Ein Grab ſehen, allen Stuͤr-<lb/>
men Trotz bieten, — am Ende doch ſich unver-<lb/>ſehens einander in den Grund ſegeln; oft, der<lb/>
armſeligſten Grille wegen, geſcheitert da lie-<lb/>
gen, ohne Rettung. Wohl ihnen, daß ſie<lb/>ſelten das Geheimniß ihres Schickſals verſte-<lb/>
hen!</p><lb/><p>Ich habe lange ein Bild alles menſchlichen<lb/>
Thuns und Seyns, unſerer ſogenannten<lb/><hirendition="#g">Laufbahn</hi>, in der Seele; ein aͤrgerliches,<lb/>
aber richtiges Bild: <hirendition="#g">den Gang im Krah-<lb/>
ne</hi>. Mit zugeſchloſſenen Augen rennt jeder<lb/>
vorwaͤrts in ſeinem Rade, freut ſich der zu-<lb/>
ruͤckgelegten Bahn; weiß ſo viele Thorheiten,<lb/>ſo vielen Jammer hinter ſich; und merkt<lb/>
nicht, daß dicht an ſeinem Ruͤcken dies alles<lb/>
wieder empor ſteigt, von neuem uͤber ſein<lb/>
Haupt, vor ſeine Stirne, und unter ſeine<lb/>
Tritte kommt. Ich mag hievon nicht reden:<lb/>
denn wer es am hellſten einſieht, hat es nur<lb/>
um ſo viel beſſer, daß er in ſeinem Rade ſtille<lb/>ſtehen bleibt, die andern auslacht, oder be-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[20/0058]
Schickſal, nur Ein Grab ſehen, allen Stuͤr-
men Trotz bieten, — am Ende doch ſich unver-
ſehens einander in den Grund ſegeln; oft, der
armſeligſten Grille wegen, geſcheitert da lie-
gen, ohne Rettung. Wohl ihnen, daß ſie
ſelten das Geheimniß ihres Schickſals verſte-
hen!
Ich habe lange ein Bild alles menſchlichen
Thuns und Seyns, unſerer ſogenannten
Laufbahn, in der Seele; ein aͤrgerliches,
aber richtiges Bild: den Gang im Krah-
ne. Mit zugeſchloſſenen Augen rennt jeder
vorwaͤrts in ſeinem Rade, freut ſich der zu-
ruͤckgelegten Bahn; weiß ſo viele Thorheiten,
ſo vielen Jammer hinter ſich; und merkt
nicht, daß dicht an ſeinem Ruͤcken dies alles
wieder empor ſteigt, von neuem uͤber ſein
Haupt, vor ſeine Stirne, und unter ſeine
Tritte kommt. Ich mag hievon nicht reden:
denn wer es am hellſten einſieht, hat es nur
um ſo viel beſſer, daß er in ſeinem Rade ſtille
ſtehen bleibt, die andern auslacht, oder be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/58>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.