Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Mich hat sie ganz durchdrungen, und sich
wie gelagert in mein Gebein. Mir ist, wie ei-
nem Jünglinge, der so eben aus eines from-
men Mädchens Auge sich die Seele voll Liebe
und Hofnung getrunken hat; so froh, und zu-
gleich so heimlich, im Busen.

Früh mit dem Morgen gieng es an. Ich
erwachte von der ersten sanftesten Dämmerung,
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-
nes Freundes, der mich zum unerwarteten
Wiedersehen aus dem Schlummer küßte. Ich
streckte meine Arme aus nach dem Liebens-
würdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,
fand ihn -- schaffend am Aufgange. -- Wer
an einer Musik für das Auge zweifelt, der
hätte diese Morgenröthe sehen sollen. Ein
solcher Engelsgesang schwebte mir nie auf
Tönen in die Seele. Doch was weiß ich,
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war
ausser mir. Gleich im ersten Augenblicke,
beym Erreichen der Gegenwart, überwan-
delte michs, durchschauderte michs; dann tiefer

B 5

Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich
wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei-
nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from-
men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe
und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu-
gleich ſo heimlich, im Buſen.

Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich
erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung,
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-
nes Freundes, der mich zum unerwarteten
Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich
ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens-
wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,
fand ihn — ſchaffend am Aufgange. — Wer
an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der
haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein
ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf
Toͤnen in die Seele. Doch was weiß ich,
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war
auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke,
beym Erreichen der Gegenwart, uͤberwan-
delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer

B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="25"/>
Mich hat &#x017F;ie ganz durchdrungen, und &#x017F;ich<lb/>
wie gelagert in mein Gebein. Mir i&#x017F;t, wie ei-<lb/>
nem Ju&#x0364;nglinge, der &#x017F;o eben aus eines from-<lb/>
men Ma&#x0364;dchens Auge &#x017F;ich die Seele voll Liebe<lb/>
und Hofnung getrunken hat; &#x017F;o froh, und zu-<lb/>
gleich &#x017F;o heimlich, im Bu&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Fru&#x0364;h mit dem Morgen gieng es an. Ich<lb/>
erwachte von der er&#x017F;ten &#x017F;anfte&#x017F;ten Da&#x0364;mmerung,<lb/>
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-<lb/>
nes Freundes, der mich zum unerwarteten<lb/>
Wieder&#x017F;ehen aus dem Schlummer ku&#x0364;ßte. Ich<lb/>
&#x017F;treckte meine Arme aus nach dem Liebens-<lb/>
wu&#x0364;rdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,<lb/>
fand ihn &#x2014; &#x017F;chaffend am <hi rendition="#g">Aufgange</hi>. &#x2014; Wer<lb/>
an einer Mu&#x017F;ik fu&#x0364;r das Auge zweifelt, der<lb/>
ha&#x0364;tte die&#x017F;e Morgenro&#x0364;the &#x017F;ehen &#x017F;ollen. Ein<lb/>
&#x017F;olcher Engelsge&#x017F;ang &#x017F;chwebte mir nie auf<lb/><hi rendition="#g">To&#x0364;nen</hi> in die Seele. Doch was weiß ich,<lb/>
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er mir. Gleich im er&#x017F;ten Augenblicke,<lb/>
beym Erreichen der <hi rendition="#g">Gegenwart</hi>, u&#x0364;berwan-<lb/>
delte michs, durch&#x017F;chauderte michs; dann tiefer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0063] Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei- nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from- men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu- gleich ſo heimlich, im Buſen. Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung, fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei- nes Freundes, der mich zum unerwarteten Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens- wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn, fand ihn — ſchaffend am Aufgange. — Wer an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf Toͤnen in die Seele. Doch was weiß ich, mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke, beym Erreichen der Gegenwart, uͤberwan- delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/63
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/63>, abgerufen am 24.11.2024.