Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite



bedienen, die Schrift zu erklären und den
Zusammenhang der nöthigen Glaubens-
und Lebens-Lehren zu fassen? Jch hoffe
Niemand, der die Worte verstehet, wird
auf diese Frage mit Nein antworten, er mü-
ste sonst etwa ein Quäcker seyn. Doch
auch ein solcher, wenn er sich recht besinnet,
wird müssen zugeben, daß er dieses Ver-
mögens nöthig habe, um die vermeinten
Eingebungen des Geistes anzunehmen und
zu fassen. Wir aber, die wir keine un-
mittelbare Eingebungen des Geistes füh-
len, werden den Gebrauch des Vermögens
Wahrheiten einzusehen noch weit nöthiger
erachten. Denn wie ohne dasselbe nie-
mand eine Wahrheit fassen kan, so wird
auch ohne dasselbe niemand die heilige
Schrift für ein göttlich Buch erkennen, das-
selbige verstehen lernen und zu einer wah-
ren Erleuchtung kommen: Wer dieses
Vermögen erst in einen Schlaf bringen
will, wenn er bey das Buch göttlicher
Wahrheiten gehet, der wird die Weisheit,
welche zum Leben führet, nie erkennen ler-
nen. Wie weit man dieses Vermögen
Wahrheiten einzusehen bey Erklärung der
Schrift zu gebrauchen habe, wird sich aus

der
A 4



bedienen, die Schrift zu erklaͤren und den
Zuſammenhang der noͤthigen Glaubens-
und Lebens-Lehren zu faſſen? Jch hoffe
Niemand, der die Worte verſtehet, wird
auf dieſe Frage mit Nein antworten, er muͤ-
ſte ſonſt etwa ein Quaͤcker ſeyn. Doch
auch ein ſolcher, wenn er ſich recht beſinnet,
wird muͤſſen zugeben, daß er dieſes Ver-
moͤgens noͤthig habe, um die vermeinten
Eingebungen des Geiſtes anzunehmen und
zu faſſen. Wir aber, die wir keine un-
mittelbare Eingebungen des Geiſtes fuͤh-
len, werden den Gebrauch des Vermoͤgens
Wahrheiten einzuſehen noch weit noͤthiger
erachten. Denn wie ohne daſſelbe nie-
mand eine Wahrheit faſſen kan, ſo wird
auch ohne daſſelbe niemand die heilige
Schrift fuͤr ein goͤttlich Buch erkennen, daſ-
ſelbige verſtehen lernen und zu einer wah-
ren Erleuchtung kommen: Wer dieſes
Vermoͤgen erſt in einen Schlaf bringen
will, wenn er bey das Buch goͤttlicher
Wahrheiten gehet, der wird die Weisheit,
welche zum Leben fuͤhret, nie erkennen ler-
nen. Wie weit man dieſes Vermoͤgen
Wahrheiten einzuſehen bey Erklaͤrung der
Schrift zu gebrauchen habe, wird ſich aus

der
A 4
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="7"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bedienen, die Schrift zu erkla&#x0364;ren und den<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang der no&#x0364;thigen Glaubens-<lb/>
und Lebens-Lehren zu fa&#x017F;&#x017F;en? Jch hoffe<lb/>
Niemand, der die Worte ver&#x017F;tehet, wird<lb/>
auf die&#x017F;e Frage mit Nein antworten, er mu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;te &#x017F;on&#x017F;t etwa ein Qua&#x0364;cker &#x017F;eyn. Doch<lb/>
auch ein &#x017F;olcher, wenn er &#x017F;ich recht be&#x017F;innet,<lb/>
wird mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en zugeben, daß er die&#x017F;es Ver-<lb/>
mo&#x0364;gens no&#x0364;thig habe, um die vermeinten<lb/>
Eingebungen des Gei&#x017F;tes anzunehmen und<lb/>
zu fa&#x017F;&#x017F;en. Wir aber, die wir keine un-<lb/>
mittelbare Eingebungen des Gei&#x017F;tes fu&#x0364;h-<lb/>
len, werden den Gebrauch des Vermo&#x0364;gens<lb/>
Wahrheiten einzu&#x017F;ehen noch weit no&#x0364;thiger<lb/>
erachten. Denn wie ohne da&#x017F;&#x017F;elbe nie-<lb/>
mand eine Wahrheit fa&#x017F;&#x017F;en kan, &#x017F;o wird<lb/>
auch ohne da&#x017F;&#x017F;elbe niemand die heilige<lb/>
Schrift fu&#x0364;r ein go&#x0364;ttlich Buch erkennen, da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbige ver&#x017F;tehen lernen und zu einer wah-<lb/>
ren Erleuchtung kommen: Wer die&#x017F;es<lb/>
Vermo&#x0364;gen er&#x017F;t in einen Schlaf bringen<lb/>
will, wenn er bey das Buch go&#x0364;ttlicher<lb/>
Wahrheiten gehet, der wird die Weisheit,<lb/>
welche zum Leben fu&#x0364;hret, nie erkennen ler-<lb/>
nen. Wie weit man die&#x017F;es Vermo&#x0364;gen<lb/>
Wahrheiten einzu&#x017F;ehen bey Erkla&#x0364;rung der<lb/>
Schrift zu gebrauchen habe, wird &#x017F;ich aus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[7/0025] bedienen, die Schrift zu erklaͤren und den Zuſammenhang der noͤthigen Glaubens- und Lebens-Lehren zu faſſen? Jch hoffe Niemand, der die Worte verſtehet, wird auf dieſe Frage mit Nein antworten, er muͤ- ſte ſonſt etwa ein Quaͤcker ſeyn. Doch auch ein ſolcher, wenn er ſich recht beſinnet, wird muͤſſen zugeben, daß er dieſes Ver- moͤgens noͤthig habe, um die vermeinten Eingebungen des Geiſtes anzunehmen und zu faſſen. Wir aber, die wir keine un- mittelbare Eingebungen des Geiſtes fuͤh- len, werden den Gebrauch des Vermoͤgens Wahrheiten einzuſehen noch weit noͤthiger erachten. Denn wie ohne daſſelbe nie- mand eine Wahrheit faſſen kan, ſo wird auch ohne daſſelbe niemand die heilige Schrift fuͤr ein goͤttlich Buch erkennen, daſ- ſelbige verſtehen lernen und zu einer wah- ren Erleuchtung kommen: Wer dieſes Vermoͤgen erſt in einen Schlaf bringen will, wenn er bey das Buch goͤttlicher Wahrheiten gehet, der wird die Weisheit, welche zum Leben fuͤhret, nie erkennen ler- nen. Wie weit man dieſes Vermoͤgen Wahrheiten einzuſehen bey Erklaͤrung der Schrift zu gebrauchen habe, wird ſich aus der A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/25
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/25>, abgerufen am 03.12.2024.