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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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Freundes des Sempronius findet er nicht
ohne Fehler. Und Sempronius glaubt
berechtiget zu seyn, dem Cajus einige unrich-
tige Sätze vorzuwerfen. Jst es billig?
wenn Sempronius und Cajus ein jeder vor
sich dencket, seine Einsicht sey richtiger als
aller übrigen Gelehrten in der gantzen
Welt? Wäre ein solcher hochmüthiger
Gedancke zu dulden? Und müste nicht we-
nigstens der eine ein in sich selbst verliebter
Thor seyn? Meiner Meynung nach wären
sie es aber bey ihrer grossen Gelehrsamkeit
alle beyde. Ein jeder, der niemandes Mey-
nungen als Orackel annimmt, sondern al-
les genau prüfet, wird keinen eintzigen Ge-
lehrten in der gantzen Welt finden, mit wel-
chem er in allen einerley Meynung wäre.
Demjenigen aber wird gewiß der oberste
Platz unter den Narren anzuweisen seyn,
der sich einbildet, er alleine sey es unter al-
len, der alles am deutlichsten und richtig-
sten einsehe. Vielmehr wird dieser Schluß
zu machen seyn, ein jeder habe Wahrhei-
ten und Jrrthümer in seinem Kopfe. We-
nigstens wäre unter allen denen, die in dieser
und jener Meynung von einander unter-
schieden, nur ein einiger möglich, dessen Sätze

ins-



Freundes des Sempronius findet er nicht
ohne Fehler. Und Sempronius glaubt
berechtiget zu ſeyn, dem Cajus einige unrich-
tige Saͤtze vorzuwerfen. Jſt es billig?
wenn Sempronius und Cajus ein jeder vor
ſich dencket, ſeine Einſicht ſey richtiger als
aller uͤbrigen Gelehrten in der gantzen
Welt? Waͤre ein ſolcher hochmuͤthiger
Gedancke zu dulden? Und muͤſte nicht we-
nigſtens der eine ein in ſich ſelbſt verliebter
Thor ſeyn? Meiner Meynung nach waͤren
ſie es aber bey ihrer groſſen Gelehrſamkeit
alle beyde. Ein jeder, der niemandes Mey-
nungen als Orackel annimmt, ſondern al-
les genau pruͤfet, wird keinen eintzigen Ge-
lehrten in der gantzen Welt finden, mit wel-
chem er in allen einerley Meynung waͤre.
Demjenigen aber wird gewiß der oberſte
Platz unter den Narren anzuweiſen ſeyn,
der ſich einbildet, er alleine ſey es unter al-
len, der alles am deutlichſten und richtig-
ſten einſehe. Vielmehr wird dieſer Schluß
zu machen ſeyn, ein jeder habe Wahrhei-
ten und Jrrthuͤmer in ſeinem Kopfe. We-
nigſtens waͤre unter allen denen, die in dieſer
und jener Meynung von einander unter-
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[16/0034] Freundes des Sempronius findet er nicht ohne Fehler. Und Sempronius glaubt berechtiget zu ſeyn, dem Cajus einige unrich- tige Saͤtze vorzuwerfen. Jſt es billig? wenn Sempronius und Cajus ein jeder vor ſich dencket, ſeine Einſicht ſey richtiger als aller uͤbrigen Gelehrten in der gantzen Welt? Waͤre ein ſolcher hochmuͤthiger Gedancke zu dulden? Und muͤſte nicht we- nigſtens der eine ein in ſich ſelbſt verliebter Thor ſeyn? Meiner Meynung nach waͤren ſie es aber bey ihrer groſſen Gelehrſamkeit alle beyde. Ein jeder, der niemandes Mey- nungen als Orackel annimmt, ſondern al- les genau pruͤfet, wird keinen eintzigen Ge- lehrten in der gantzen Welt finden, mit wel- chem er in allen einerley Meynung waͤre. Demjenigen aber wird gewiß der oberſte Platz unter den Narren anzuweiſen ſeyn, der ſich einbildet, er alleine ſey es unter al- len, der alles am deutlichſten und richtig- ſten einſehe. Vielmehr wird dieſer Schluß zu machen ſeyn, ein jeder habe Wahrhei- ten und Jrrthuͤmer in ſeinem Kopfe. We- nigſtens waͤre unter allen denen, die in dieſer und jener Meynung von einander unter- ſchieden, nur ein einiger moͤglich, deſſen Saͤtze ins-

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/34>, abgerufen am 09.11.2024.