Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.le anzuwenden. Wird GOtt ein anders als ihr eigen Urtheil nöthig haben, um sie für unfähig zu erklären, Glieder jener wei- sen, heiligen und seligen Gesellschafft zu werden? Oder meinet man, daß ein sterb- licher Mensch Recht habe, mehr Vollkom- menheit, mehr Bescheidenheit und mehr Ehrerbietung von seines gleichen zu fordern, als der höchste GOtt von uns seinen Ge- schöpfen fordern kan? O Seelen, bey wel- chen noch Vernunft und Ueberlegung ist! lasset uns dieses recht überdencken. Lasset uns diese Gründe, die so deutlich sind, so lang erwegen, daß sie sich recht fest in uns setzen und die Kraft bekommen, eine Thor- heit zu besiegen, welche sich durch den Um- gang mit der heutigen Welt gar leicht bey uns einschleicht, und eine grosse Gewalt über uns bekommt. Wer sich viel unter den Kindern der heutigen Welt aufhält, ihre leichtsinnigen und frohen Urtheile und ihre Gespötte über das, was zu einer wah- ren Religion gehöret, und ihr Gelächter über die eifrigen Verehrer derselben öffters anhöret, der wird nach und nach in die Ver- fassung kommen, daß er sich der Religion, wenigstens eines wahren Eifers in dersel- ben
le anzuwenden. Wird GOtt ein anders als ihr eigen Urtheil noͤthig haben, um ſie fuͤr unfaͤhig zu erklaͤren, Glieder jener wei- ſen, heiligen und ſeligen Geſellſchafft zu werden? Oder meinet man, daß ein ſterb- licher Menſch Recht habe, mehr Vollkom- menheit, mehr Beſcheidenheit und mehr Ehrerbietung von ſeines gleichen zu fordern, als der hoͤchſte GOtt von uns ſeinen Ge- ſchoͤpfen fordern kan? O Seelen, bey wel- chen noch Vernunft und Ueberlegung iſt! laſſet uns dieſes recht uͤberdencken. Laſſet uns dieſe Gruͤnde, die ſo deutlich ſind, ſo lang erwegen, daß ſie ſich recht feſt in uns ſetzen und die Kraft bekommen, eine Thor- heit zu beſiegen, welche ſich durch den Um- gang mit der heutigen Welt gar leicht bey uns einſchleicht, und eine groſſe Gewalt uͤber uns bekommt. Wer ſich viel unter den Kindern der heutigen Welt aufhaͤlt, ihre leichtſinnigen und frohen Urtheile und ihre Geſpoͤtte uͤber das, was zu einer wah- ren Religion gehoͤret, und ihr Gelaͤchter uͤber die eifrigen Verehrer derſelben oͤffters anhoͤret, der wird nach und nach in die Ver- faſſung kommen, daß er ſich der Religion, wenigſtens eines wahren Eifers in derſel- ben
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le anzuwenden. Wird GOtt ein anders
als ihr eigen Urtheil noͤthig haben, um ſie
fuͤr unfaͤhig zu erklaͤren, Glieder jener wei-
ſen, heiligen und ſeligen Geſellſchafft zu
werden? Oder meinet man, daß ein ſterb-
licher Menſch Recht habe, mehr Vollkom-
menheit, mehr Beſcheidenheit und mehr
Ehrerbietung von ſeines gleichen zu fordern,
als der hoͤchſte GOtt von uns ſeinen Ge-
ſchoͤpfen fordern kan? O Seelen, bey wel-
chen noch Vernunft und Ueberlegung iſt!
laſſet uns dieſes recht uͤberdencken. Laſſet
uns dieſe Gruͤnde, die ſo deutlich ſind, ſo
lang erwegen, daß ſie ſich recht feſt in uns
ſetzen und die Kraft bekommen, eine Thor-
heit zu beſiegen, welche ſich durch den Um-
gang mit der heutigen Welt gar leicht bey
uns einſchleicht, und eine groſſe Gewalt
uͤber uns bekommt. Wer ſich viel unter
den Kindern der heutigen Welt aufhaͤlt,
ihre leichtſinnigen und frohen Urtheile und
ihre Geſpoͤtte uͤber das, was zu einer wah-
ren Religion gehoͤret, und ihr Gelaͤchter
uͤber die eifrigen Verehrer derſelben oͤffters
anhoͤret, der wird nach und nach in die Ver-
faſſung kommen, daß er ſich der Religion,
wenigſtens eines wahren Eifers in derſel-
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