war es von jenen Höfen nicht zu erwarten, daß sie das Christenthum angenommen hätten. Die Höfe, welche die rechten Eigenthümer aller Klugheit zu seyn glau- ben, wollen auch eben so ungern eines Jrr- thums schuldig seyn als die Gelehrten. Es sind auch noch andere Ursachen vor- handen, welche machen, daß überhaupt die Höfe und ein wahres und aufrichtiges Christenthum sich nicht wol mit einander vertragen. An den Höfen ist man zu sehr an Majestät, Hoheit, Macht und Herr- schaft gewöhnet. Das Christenthum aber fordert den demüthigsten und folgsamsten Sinn. Man soll sich als einen ohnmäch- tigen Wurm, noch mehr, als einen ver- finsterten Menschen, welcher mit allerhand Thorheiten angefüllet ist, als einen Skla- ven der niederträchtigsten Begierden und schändlichsten Laster erkennen. Man soll sich für ein so verfallenes und unwürdiges Geschöpf halten, bey dessen Begnadigung der Heiligste sich durch den Tod eines Mittlers von dem Ansehen einer schläfrigen Gleichgültigkeit gegen Tugend und Laster, und von dem Vorwurf einer mit göttli- chen Vollkommenheiten streitenden Unhei- ligkeit befreyen müssen. Man soll als ein Sünder Gnade suchen. Man soll sich noch immer für höchst unvollkommen hal- ten, und nach einer grössern Vollkommen- heit ringen. Wie schwer muß es einer
Seele,
war es von jenen Hoͤfen nicht zu erwarten, daß ſie das Chriſtenthum angenommen haͤtten. Die Hoͤfe, welche die rechten Eigenthuͤmer aller Klugheit zu ſeyn glau- ben, wollen auch eben ſo ungern eines Jrr- thums ſchuldig ſeyn als die Gelehrten. Es ſind auch noch andere Urſachen vor- handen, welche machen, daß uͤberhaupt die Hoͤfe und ein wahres und aufrichtiges Chriſtenthum ſich nicht wol mit einander vertragen. An den Hoͤfen iſt man zu ſehr an Majeſtaͤt, Hoheit, Macht und Herr- ſchaft gewoͤhnet. Das Chriſtenthum aber fordert den demuͤthigſten und folgſamſten Sinn. Man ſoll ſich als einen ohnmaͤch- tigen Wurm, noch mehr, als einen ver- finſterten Menſchen, welcher mit allerhand Thorheiten angefuͤllet iſt, als einen Skla- ven der niedertraͤchtigſten Begierden und ſchaͤndlichſten Laſter erkennen. Man ſoll ſich fuͤr ein ſo verfallenes und unwuͤrdiges Geſchoͤpf halten, bey deſſen Begnadigung der Heiligſte ſich durch den Tod eines Mittlers von dem Anſehen einer ſchlaͤfrigen Gleichguͤltigkeit gegen Tugend und Laſter, und von dem Vorwurf einer mit goͤttli- chen Vollkommenheiten ſtreitenden Unhei- ligkeit befreyen muͤſſen. Man ſoll als ein Suͤnder Gnade ſuchen. Man ſoll ſich noch immer fuͤr hoͤchſt unvollkommen hal- ten, und nach einer groͤſſern Vollkommen- heit ringen. Wie ſchwer muß es einer
Seele,
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war es von jenen Hoͤfen nicht zu erwarten,
daß ſie das Chriſtenthum angenommen
haͤtten. Die Hoͤfe, welche die rechten
Eigenthuͤmer aller Klugheit zu ſeyn glau-
ben, wollen auch eben ſo ungern eines Jrr-
thums ſchuldig ſeyn als die Gelehrten.
Es ſind auch noch andere Urſachen vor-
handen, welche machen, daß uͤberhaupt
die Hoͤfe und ein wahres und aufrichtiges
Chriſtenthum ſich nicht wol mit einander
vertragen. An den Hoͤfen iſt man zu ſehr
an Majeſtaͤt, Hoheit, Macht und Herr-
ſchaft gewoͤhnet. Das Chriſtenthum aber
fordert den demuͤthigſten und folgſamſten
Sinn. Man ſoll ſich als einen ohnmaͤch-
tigen Wurm, noch mehr, als einen ver-
finſterten Menſchen, welcher mit allerhand
Thorheiten angefuͤllet iſt, als einen Skla-
ven der niedertraͤchtigſten Begierden und
ſchaͤndlichſten Laſter erkennen. Man ſoll
ſich fuͤr ein ſo verfallenes und unwuͤrdiges
Geſchoͤpf halten, bey deſſen Begnadigung
der Heiligſte ſich durch den Tod eines
Mittlers von dem Anſehen einer ſchlaͤfrigen
Gleichguͤltigkeit gegen Tugend und Laſter,
und von dem Vorwurf einer mit goͤttli-
chen Vollkommenheiten ſtreitenden Unhei-
ligkeit befreyen muͤſſen. Man ſoll als ein
Suͤnder Gnade ſuchen. Man ſoll ſich
noch immer fuͤr hoͤchſt unvollkommen hal-
ten, und nach einer groͤſſern Vollkommen-
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/120>, abgerufen am 21.11.2024.
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