Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

vergehet, tragen muß, so würden jene eben
so keusch seyn, wie diese, und deren gute
Zucht würde die natürliche Schamhaftig-
keit der Niedrigern unangegriffen und un-
gekränkt lassen, und dadurch würde die
Keuschheit auch unter selbigen bewahret
werden. Allein dieses muß ja nicht gesche-
hen. Man muß ja keine Schande auf die
Unzucht legen. Und warum nicht? Es
würde dieses zum Kindermord gar zu sehr
verführen. O wie zart ist das Gewissen
derer, die dieses vorgeben? Allein man sa-
ge ihnen, wenn sie so besorget für das Le-
ben eines armseligen Kindes wären, so
möchten sie doch für ihre eigenen unehelichen
Kinder und deren Mutter sorgen, daß sie
nicht im Elende umkommen müßten. Man
möchte ferner Verordnungen machen, daß
alle Väter sogleich mit Nachdruck ange-
halten würden, ihre unehelichen Kinder zu
ernähren. Hier ist sogleich die Antwort
da, das gemeine Beste und der Dienst
des Vaterlandes würde darunter leiden.
Die mehresten Väter unehelicher Kinder
haben nur so viel, als zu ihrer eigenen
Unterhaltung nöthig ist. Allein die un-
glückliche Mutter hat auch nichts. Man
schweiget hierauf. Der geheime Schluß
ist aber: die Canaille mag zusehen, daß
sie fertig wird. Laßt das Hurenbalg
crepiren!
Für Hunger und Elend mögen
also jährlich einige tausend Kinder umkom-

men,
T 5

vergehet, tragen muß, ſo wuͤrden jene eben
ſo keuſch ſeyn, wie dieſe, und deren gute
Zucht wuͤrde die natuͤrliche Schamhaftig-
keit der Niedrigern unangegriffen und un-
gekraͤnkt laſſen, und dadurch wuͤrde die
Keuſchheit auch unter ſelbigen bewahret
werden. Allein dieſes muß ja nicht geſche-
hen. Man muß ja keine Schande auf die
Unzucht legen. Und warum nicht? Es
wuͤrde dieſes zum Kindermord gar zu ſehr
verfuͤhren. O wie zart iſt das Gewiſſen
derer, die dieſes vorgeben? Allein man ſa-
ge ihnen, wenn ſie ſo beſorget fuͤr das Le-
ben eines armſeligen Kindes waͤren, ſo
moͤchten ſie doch fuͤr ihre eigenen unehelichen
Kinder und deren Mutter ſorgen, daß ſie
nicht im Elende umkommen muͤßten. Man
moͤchte ferner Verordnungen machen, daß
alle Vaͤter ſogleich mit Nachdruck ange-
halten wuͤrden, ihre unehelichen Kinder zu
ernaͤhren. Hier iſt ſogleich die Antwort
da, das gemeine Beſte und der Dienſt
des Vaterlandes wuͤrde darunter leiden.
Die mehreſten Vaͤter unehelicher Kinder
haben nur ſo viel, als zu ihrer eigenen
Unterhaltung noͤthig iſt. Allein die un-
gluͤckliche Mutter hat auch nichts. Man
ſchweiget hierauf. Der geheime Schluß
iſt aber: die Canaille mag zuſehen, daß
ſie fertig wird. Laßt das Hurenbalg
crepiren!
Fuͤr Hunger und Elend moͤgen
alſo jaͤhrlich einige tauſend Kinder umkom-

men,
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0317" n="297"/>
vergehet, tragen muß, &#x017F;o wu&#x0364;rden jene eben<lb/>
&#x017F;o keu&#x017F;ch &#x017F;eyn, wie die&#x017F;e, und deren gute<lb/>
Zucht wu&#x0364;rde die natu&#x0364;rliche Schamhaftig-<lb/>
keit der Niedrigern unangegriffen und un-<lb/>
gekra&#x0364;nkt la&#x017F;&#x017F;en, und dadurch wu&#x0364;rde die<lb/>
Keu&#x017F;chheit auch unter &#x017F;elbigen bewahret<lb/>
werden. Allein die&#x017F;es muß ja nicht ge&#x017F;che-<lb/>
hen. Man muß ja keine Schande auf die<lb/>
Unzucht legen. Und warum nicht? Es<lb/>
wu&#x0364;rde die&#x017F;es zum Kindermord gar zu &#x017F;ehr<lb/>
verfu&#x0364;hren. O wie zart i&#x017F;t das Gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
derer, die die&#x017F;es vorgeben? Allein man &#x017F;a-<lb/>
ge ihnen, wenn &#x017F;ie &#x017F;o be&#x017F;orget fu&#x0364;r das Le-<lb/>
ben eines arm&#x017F;eligen Kindes wa&#x0364;ren, &#x017F;o<lb/>
mo&#x0364;chten &#x017F;ie doch fu&#x0364;r ihre eigenen unehelichen<lb/>
Kinder und deren Mutter &#x017F;orgen, daß &#x017F;ie<lb/>
nicht im Elende umkommen mu&#x0364;ßten. Man<lb/>
mo&#x0364;chte ferner Verordnungen machen, daß<lb/>
alle Va&#x0364;ter &#x017F;ogleich mit Nachdruck ange-<lb/>
halten wu&#x0364;rden, ihre unehelichen Kinder zu<lb/>
erna&#x0364;hren. Hier i&#x017F;t &#x017F;ogleich die Antwort<lb/>
da, das gemeine Be&#x017F;te und der Dien&#x017F;t<lb/>
des Vaterlandes wu&#x0364;rde darunter leiden.<lb/>
Die mehre&#x017F;ten Va&#x0364;ter unehelicher Kinder<lb/>
haben nur &#x017F;o viel, als zu ihrer eigenen<lb/>
Unterhaltung no&#x0364;thig i&#x017F;t. Allein die un-<lb/>
glu&#x0364;ckliche Mutter hat auch nichts. Man<lb/>
&#x017F;chweiget hierauf. Der geheime Schluß<lb/>
i&#x017F;t aber: <hi rendition="#fr">die Canaille mag zu&#x017F;ehen, daß<lb/>
&#x017F;ie fertig wird. Laßt das Hurenbalg<lb/>
crepiren!</hi> Fu&#x0364;r Hunger und Elend mo&#x0364;gen<lb/>
al&#x017F;o ja&#x0364;hrlich einige tau&#x017F;end Kinder umkom-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 5</fw><fw place="bottom" type="catch">men,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0317] vergehet, tragen muß, ſo wuͤrden jene eben ſo keuſch ſeyn, wie dieſe, und deren gute Zucht wuͤrde die natuͤrliche Schamhaftig- keit der Niedrigern unangegriffen und un- gekraͤnkt laſſen, und dadurch wuͤrde die Keuſchheit auch unter ſelbigen bewahret werden. Allein dieſes muß ja nicht geſche- hen. Man muß ja keine Schande auf die Unzucht legen. Und warum nicht? Es wuͤrde dieſes zum Kindermord gar zu ſehr verfuͤhren. O wie zart iſt das Gewiſſen derer, die dieſes vorgeben? Allein man ſa- ge ihnen, wenn ſie ſo beſorget fuͤr das Le- ben eines armſeligen Kindes waͤren, ſo moͤchten ſie doch fuͤr ihre eigenen unehelichen Kinder und deren Mutter ſorgen, daß ſie nicht im Elende umkommen muͤßten. Man moͤchte ferner Verordnungen machen, daß alle Vaͤter ſogleich mit Nachdruck ange- halten wuͤrden, ihre unehelichen Kinder zu ernaͤhren. Hier iſt ſogleich die Antwort da, das gemeine Beſte und der Dienſt des Vaterlandes wuͤrde darunter leiden. Die mehreſten Vaͤter unehelicher Kinder haben nur ſo viel, als zu ihrer eigenen Unterhaltung noͤthig iſt. Allein die un- gluͤckliche Mutter hat auch nichts. Man ſchweiget hierauf. Der geheime Schluß iſt aber: die Canaille mag zuſehen, daß ſie fertig wird. Laßt das Hurenbalg crepiren! Fuͤr Hunger und Elend moͤgen alſo jaͤhrlich einige tauſend Kinder umkom- men, T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/317
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/317>, abgerufen am 02.06.2024.