Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

ser nie fallen, sondern jederzeit ihren Glanz
und Reichthümer behalten *). Dieses
heisset klug gedacht. Wer anders denket,
ist blind und tumm. Allein, da man so
sehr klug ist, so habe man doch Mitleiden
mit uns einfältigen Geistlichen, und un-
terrichte uns auf folgende Fragen. Man
hält es für eine unerträgliche Last, wenn
Mannspersonen einem gewissen Triebe der
Natur auf einige Zeit absagen sollen.
Bey der jetzt beschriebenen Einrichtung
aber, die so sehr weise seyn soll, bleibet
der allergrößte Theil des vornehmen weib-
lichen Geschlechtes unverheirathet, wie soll
denn selbigen auf eine anständige Art gera-
then werden? Wie sollen denn selbige einen
gewissen Trieb in einer keuschen Ordnung
erhalten, welchem sogar die jungen und
tapfern Helden nicht einmal sollen wider-
stehen und den Sieg abgewinnen können?
Wie soll ferner den Concubinen geholfen
werden, wenn sie den vollblütigen jungen
Herren ihre Schönheit aufgeopfert und
nun mit einigen Kindern verstossen werden?
Sollte Gott für selbige eben so wenig sor-
gen, und so hart und unbarmherzig gegen sie
seyn, als solche wollüstige Herren? Wenn
eine keusche Enthaltung so unmöglich ist,
als die Vertheidiger eines trennbaren

Con-
*) Man sehe Glafeys Recht der Vernunft am
angezogenen Orte nach.
U 5

ſer nie fallen, ſondern jederzeit ihren Glanz
und Reichthuͤmer behalten *). Dieſes
heiſſet klug gedacht. Wer anders denket,
iſt blind und tumm. Allein, da man ſo
ſehr klug iſt, ſo habe man doch Mitleiden
mit uns einfaͤltigen Geiſtlichen, und un-
terrichte uns auf folgende Fragen. Man
haͤlt es fuͤr eine unertraͤgliche Laſt, wenn
Mannsperſonen einem gewiſſen Triebe der
Natur auf einige Zeit abſagen ſollen.
Bey der jetzt beſchriebenen Einrichtung
aber, die ſo ſehr weiſe ſeyn ſoll, bleibet
der allergroͤßte Theil des vornehmen weib-
lichen Geſchlechtes unverheirathet, wie ſoll
denn ſelbigen auf eine anſtaͤndige Art gera-
then werden? Wie ſollen denn ſelbige einen
gewiſſen Trieb in einer keuſchen Ordnung
erhalten, welchem ſogar die jungen und
tapfern Helden nicht einmal ſollen wider-
ſtehen und den Sieg abgewinnen koͤnnen?
Wie ſoll ferner den Concubinen geholfen
werden, wenn ſie den vollbluͤtigen jungen
Herren ihre Schoͤnheit aufgeopfert und
nun mit einigen Kindern verſtoſſen werden?
Sollte Gott fuͤr ſelbige eben ſo wenig ſor-
gen, und ſo hart und unbarmherzig gegen ſie
ſeyn, als ſolche wolluͤſtige Herren? Wenn
eine keuſche Enthaltung ſo unmoͤglich iſt,
als die Vertheidiger eines trennbaren

Con-
*) Man ſehe Glafeys Recht der Vernunft am
angezogenen Orte nach.
U 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="313"/>
&#x017F;er nie fallen, &#x017F;ondern jederzeit ihren Glanz<lb/>
und Reichthu&#x0364;mer behalten <note place="foot" n="*)">Man &#x017F;ehe <hi rendition="#fr">Glafeys</hi> Recht der Vernunft am<lb/>
angezogenen Orte nach.</note>. Die&#x017F;es<lb/>
hei&#x017F;&#x017F;et klug gedacht. Wer anders denket,<lb/>
i&#x017F;t blind und tumm. Allein, da man &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr klug i&#x017F;t, &#x017F;o habe man doch Mitleiden<lb/>
mit uns einfa&#x0364;ltigen Gei&#x017F;tlichen, und un-<lb/>
terrichte uns auf folgende Fragen. Man<lb/>
ha&#x0364;lt es fu&#x0364;r eine unertra&#x0364;gliche La&#x017F;t, wenn<lb/>
Mannsper&#x017F;onen einem gewi&#x017F;&#x017F;en Triebe der<lb/>
Natur auf einige Zeit ab&#x017F;agen &#x017F;ollen.<lb/>
Bey der jetzt be&#x017F;chriebenen Einrichtung<lb/>
aber, die &#x017F;o &#x017F;ehr wei&#x017F;e &#x017F;eyn &#x017F;oll, bleibet<lb/>
der allergro&#x0364;ßte Theil des vornehmen weib-<lb/>
lichen Ge&#x017F;chlechtes unverheirathet, wie &#x017F;oll<lb/>
denn &#x017F;elbigen auf eine an&#x017F;ta&#x0364;ndige Art gera-<lb/>
then werden? Wie &#x017F;ollen denn &#x017F;elbige einen<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Trieb in einer keu&#x017F;chen Ordnung<lb/>
erhalten, welchem &#x017F;ogar die jungen und<lb/>
tapfern Helden nicht einmal &#x017F;ollen wider-<lb/>
&#x017F;tehen und den Sieg abgewinnen ko&#x0364;nnen?<lb/>
Wie &#x017F;oll ferner den Concubinen geholfen<lb/>
werden, wenn &#x017F;ie den vollblu&#x0364;tigen jungen<lb/>
Herren ihre Scho&#x0364;nheit aufgeopfert und<lb/>
nun mit einigen Kindern ver&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en werden?<lb/>
Sollte Gott fu&#x0364;r &#x017F;elbige eben &#x017F;o wenig &#x017F;or-<lb/>
gen, und &#x017F;o hart und unbarmherzig gegen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;eyn, als &#x017F;olche wollu&#x0364;&#x017F;tige Herren? Wenn<lb/>
eine keu&#x017F;che Enthaltung &#x017F;o unmo&#x0364;glich i&#x017F;t,<lb/>
als die Vertheidiger eines trennbaren<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Con-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0333] ſer nie fallen, ſondern jederzeit ihren Glanz und Reichthuͤmer behalten *). Dieſes heiſſet klug gedacht. Wer anders denket, iſt blind und tumm. Allein, da man ſo ſehr klug iſt, ſo habe man doch Mitleiden mit uns einfaͤltigen Geiſtlichen, und un- terrichte uns auf folgende Fragen. Man haͤlt es fuͤr eine unertraͤgliche Laſt, wenn Mannsperſonen einem gewiſſen Triebe der Natur auf einige Zeit abſagen ſollen. Bey der jetzt beſchriebenen Einrichtung aber, die ſo ſehr weiſe ſeyn ſoll, bleibet der allergroͤßte Theil des vornehmen weib- lichen Geſchlechtes unverheirathet, wie ſoll denn ſelbigen auf eine anſtaͤndige Art gera- then werden? Wie ſollen denn ſelbige einen gewiſſen Trieb in einer keuſchen Ordnung erhalten, welchem ſogar die jungen und tapfern Helden nicht einmal ſollen wider- ſtehen und den Sieg abgewinnen koͤnnen? Wie ſoll ferner den Concubinen geholfen werden, wenn ſie den vollbluͤtigen jungen Herren ihre Schoͤnheit aufgeopfert und nun mit einigen Kindern verſtoſſen werden? Sollte Gott fuͤr ſelbige eben ſo wenig ſor- gen, und ſo hart und unbarmherzig gegen ſie ſeyn, als ſolche wolluͤſtige Herren? Wenn eine keuſche Enthaltung ſo unmoͤglich iſt, als die Vertheidiger eines trennbaren Con- *) Man ſehe Glafeys Recht der Vernunft am angezogenen Orte nach. U 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/333
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/333>, abgerufen am 22.11.2024.