Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

die Noth und der Mangel der Mutter trifft
auch uns. Unser Magen empfindet den
schmerzlichsten Hunger. Wir wimmern
Tag und Nacht. Unsere hülflose Mutter
ringet mit Ungedult und Verzweifelung.
Sie wirft uns hin, sie nimmt uns mit
Thränen wieder, sie stopft uns mit Kost,
die uns zu schwer. Die Gedärme arbei-
ten daran mit einem krampfigten Leib-
grimmen. Vorher nagte uns der Hunger,
nun quälet uns noch ein heftiger Schmerz,
der alle Glieder zusammen ziehet. Ach
höret einmal unser klägliches Weinen.
Höret ein Kind, daß euch um Mitleiden
anrufet. Womit haben wir euch beleidi-
get, daß ihr uns in ein so unleidliches
Elend gestürzet? Ach welch ein Schmerz!
Sehet unsere vom Jammer verzogenen
und bebenden Lippen. Höret unser Win-
seln. Höret - - - - - - Ach euer Ohr
ist verstopft, und euer Herz ist voll Haß.
Wir arme Würmchen sollen sterben. Und
o wie gerne! komm, o Tod! komm bald,
und ende unsere Quaal. Aber sie endet
sich noch nicht. Unser Körperchen war ge-
sund, und kann nicht anders als durch
viele Schmerzen zermalmet werden. Und
o Väter, warum lasset ihr uns Unschuldi-
ge eines so harten und langsamen Todes
sterben? Warum lasset ihr uns eure sünd-
liche Wollust auf eine so schmähliche Art
büssen?

O

die Noth und der Mangel der Mutter trifft
auch uns. Unſer Magen empfindet den
ſchmerzlichſten Hunger. Wir wimmern
Tag und Nacht. Unſere huͤlfloſe Mutter
ringet mit Ungedult und Verzweifelung.
Sie wirft uns hin, ſie nimmt uns mit
Thraͤnen wieder, ſie ſtopft uns mit Koſt,
die uns zu ſchwer. Die Gedaͤrme arbei-
ten daran mit einem krampfigten Leib-
grimmen. Vorher nagte uns der Hunger,
nun quaͤlet uns noch ein heftiger Schmerz,
der alle Glieder zuſammen ziehet. Ach
hoͤret einmal unſer klaͤgliches Weinen.
Hoͤret ein Kind, daß euch um Mitleiden
anrufet. Womit haben wir euch beleidi-
get, daß ihr uns in ein ſo unleidliches
Elend geſtuͤrzet? Ach welch ein Schmerz!
Sehet unſere vom Jammer verzogenen
und bebenden Lippen. Hoͤret unſer Win-
ſeln. Hoͤret ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ach euer Ohr
iſt verſtopft, und euer Herz iſt voll Haß.
Wir arme Wuͤrmchen ſollen ſterben. Und
o wie gerne! komm, o Tod! komm bald,
und ende unſere Quaal. Aber ſie endet
ſich noch nicht. Unſer Koͤrperchen war ge-
ſund, und kann nicht anders als durch
viele Schmerzen zermalmet werden. Und
o Vaͤter, warum laſſet ihr uns Unſchuldi-
ge eines ſo harten und langſamen Todes
ſterben? Warum laſſet ihr uns eure ſuͤnd-
liche Wolluſt auf eine ſo ſchmaͤhliche Art
buͤſſen?

O
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0337" n="317"/>
die Noth und der Mangel der Mutter trifft<lb/>
auch uns. Un&#x017F;er Magen empfindet den<lb/>
&#x017F;chmerzlich&#x017F;ten Hunger. Wir wimmern<lb/>
Tag und Nacht. Un&#x017F;ere hu&#x0364;lflo&#x017F;e Mutter<lb/>
ringet mit Ungedult und Verzweifelung.<lb/>
Sie wirft uns hin, &#x017F;ie nimmt uns mit<lb/>
Thra&#x0364;nen wieder, &#x017F;ie &#x017F;topft uns mit Ko&#x017F;t,<lb/>
die uns zu &#x017F;chwer. Die Geda&#x0364;rme arbei-<lb/>
ten daran mit einem krampfigten Leib-<lb/>
grimmen. Vorher nagte uns der Hunger,<lb/>
nun qua&#x0364;let uns noch ein heftiger Schmerz,<lb/>
der alle Glieder zu&#x017F;ammen ziehet. Ach<lb/>
ho&#x0364;ret einmal un&#x017F;er kla&#x0364;gliches Weinen.<lb/>
Ho&#x0364;ret ein Kind, daß euch um Mitleiden<lb/>
anrufet. Womit haben wir euch beleidi-<lb/>
get, daß ihr uns in ein &#x017F;o unleidliches<lb/>
Elend ge&#x017F;tu&#x0364;rzet? Ach welch ein Schmerz!<lb/>
Sehet un&#x017F;ere vom Jammer verzogenen<lb/>
und bebenden Lippen. Ho&#x0364;ret un&#x017F;er Win-<lb/>
&#x017F;eln. Ho&#x0364;ret &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; Ach euer Ohr<lb/>
i&#x017F;t ver&#x017F;topft, und euer Herz i&#x017F;t voll Haß.<lb/>
Wir arme Wu&#x0364;rmchen &#x017F;ollen &#x017F;terben. Und<lb/>
o wie gerne! komm, o Tod! komm bald,<lb/>
und ende un&#x017F;ere Quaal. Aber &#x017F;ie endet<lb/>
&#x017F;ich noch nicht. Un&#x017F;er Ko&#x0364;rperchen war ge-<lb/>
&#x017F;und, und kann nicht anders als durch<lb/>
viele Schmerzen zermalmet werden. Und<lb/>
o Va&#x0364;ter, warum la&#x017F;&#x017F;et ihr uns Un&#x017F;chuldi-<lb/>
ge eines &#x017F;o harten und lang&#x017F;amen Todes<lb/>
&#x017F;terben? Warum la&#x017F;&#x017F;et ihr uns eure &#x017F;u&#x0364;nd-<lb/>
liche Wollu&#x017F;t auf eine &#x017F;o &#x017F;chma&#x0364;hliche Art<lb/>
bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">O</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0337] die Noth und der Mangel der Mutter trifft auch uns. Unſer Magen empfindet den ſchmerzlichſten Hunger. Wir wimmern Tag und Nacht. Unſere huͤlfloſe Mutter ringet mit Ungedult und Verzweifelung. Sie wirft uns hin, ſie nimmt uns mit Thraͤnen wieder, ſie ſtopft uns mit Koſt, die uns zu ſchwer. Die Gedaͤrme arbei- ten daran mit einem krampfigten Leib- grimmen. Vorher nagte uns der Hunger, nun quaͤlet uns noch ein heftiger Schmerz, der alle Glieder zuſammen ziehet. Ach hoͤret einmal unſer klaͤgliches Weinen. Hoͤret ein Kind, daß euch um Mitleiden anrufet. Womit haben wir euch beleidi- get, daß ihr uns in ein ſo unleidliches Elend geſtuͤrzet? Ach welch ein Schmerz! Sehet unſere vom Jammer verzogenen und bebenden Lippen. Hoͤret unſer Win- ſeln. Hoͤret ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ach euer Ohr iſt verſtopft, und euer Herz iſt voll Haß. Wir arme Wuͤrmchen ſollen ſterben. Und o wie gerne! komm, o Tod! komm bald, und ende unſere Quaal. Aber ſie endet ſich noch nicht. Unſer Koͤrperchen war ge- ſund, und kann nicht anders als durch viele Schmerzen zermalmet werden. Und o Vaͤter, warum laſſet ihr uns Unſchuldi- ge eines ſo harten und langſamen Todes ſterben? Warum laſſet ihr uns eure ſuͤnd- liche Wolluſt auf eine ſo ſchmaͤhliche Art buͤſſen? O

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/337
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/337>, abgerufen am 22.11.2024.