die Noth und der Mangel der Mutter trifft auch uns. Unser Magen empfindet den schmerzlichsten Hunger. Wir wimmern Tag und Nacht. Unsere hülflose Mutter ringet mit Ungedult und Verzweifelung. Sie wirft uns hin, sie nimmt uns mit Thränen wieder, sie stopft uns mit Kost, die uns zu schwer. Die Gedärme arbei- ten daran mit einem krampfigten Leib- grimmen. Vorher nagte uns der Hunger, nun quälet uns noch ein heftiger Schmerz, der alle Glieder zusammen ziehet. Ach höret einmal unser klägliches Weinen. Höret ein Kind, daß euch um Mitleiden anrufet. Womit haben wir euch beleidi- get, daß ihr uns in ein so unleidliches Elend gestürzet? Ach welch ein Schmerz! Sehet unsere vom Jammer verzogenen und bebenden Lippen. Höret unser Win- seln. Höret - - - - - - Ach euer Ohr ist verstopft, und euer Herz ist voll Haß. Wir arme Würmchen sollen sterben. Und o wie gerne! komm, o Tod! komm bald, und ende unsere Quaal. Aber sie endet sich noch nicht. Unser Körperchen war ge- sund, und kann nicht anders als durch viele Schmerzen zermalmet werden. Und o Väter, warum lasset ihr uns Unschuldi- ge eines so harten und langsamen Todes sterben? Warum lasset ihr uns eure sünd- liche Wollust auf eine so schmähliche Art büssen?
O
die Noth und der Mangel der Mutter trifft auch uns. Unſer Magen empfindet den ſchmerzlichſten Hunger. Wir wimmern Tag und Nacht. Unſere huͤlfloſe Mutter ringet mit Ungedult und Verzweifelung. Sie wirft uns hin, ſie nimmt uns mit Thraͤnen wieder, ſie ſtopft uns mit Koſt, die uns zu ſchwer. Die Gedaͤrme arbei- ten daran mit einem krampfigten Leib- grimmen. Vorher nagte uns der Hunger, nun quaͤlet uns noch ein heftiger Schmerz, der alle Glieder zuſammen ziehet. Ach hoͤret einmal unſer klaͤgliches Weinen. Hoͤret ein Kind, daß euch um Mitleiden anrufet. Womit haben wir euch beleidi- get, daß ihr uns in ein ſo unleidliches Elend geſtuͤrzet? Ach welch ein Schmerz! Sehet unſere vom Jammer verzogenen und bebenden Lippen. Hoͤret unſer Win- ſeln. Hoͤret ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ach euer Ohr iſt verſtopft, und euer Herz iſt voll Haß. Wir arme Wuͤrmchen ſollen ſterben. Und o wie gerne! komm, o Tod! komm bald, und ende unſere Quaal. Aber ſie endet ſich noch nicht. Unſer Koͤrperchen war ge- ſund, und kann nicht anders als durch viele Schmerzen zermalmet werden. Und o Vaͤter, warum laſſet ihr uns Unſchuldi- ge eines ſo harten und langſamen Todes ſterben? Warum laſſet ihr uns eure ſuͤnd- liche Wolluſt auf eine ſo ſchmaͤhliche Art buͤſſen?
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die Noth und der Mangel der Mutter trifft
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ſchmerzlichſten Hunger. Wir wimmern
Tag und Nacht. Unſere huͤlfloſe Mutter
ringet mit Ungedult und Verzweifelung.
Sie wirft uns hin, ſie nimmt uns mit
Thraͤnen wieder, ſie ſtopft uns mit Koſt,
die uns zu ſchwer. Die Gedaͤrme arbei-
ten daran mit einem krampfigten Leib-
grimmen. Vorher nagte uns der Hunger,
nun quaͤlet uns noch ein heftiger Schmerz,
der alle Glieder zuſammen ziehet. Ach
hoͤret einmal unſer klaͤgliches Weinen.
Hoͤret ein Kind, daß euch um Mitleiden
anrufet. Womit haben wir euch beleidi-
get, daß ihr uns in ein ſo unleidliches
Elend geſtuͤrzet? Ach welch ein Schmerz!
Sehet unſere vom Jammer verzogenen
und bebenden Lippen. Hoͤret unſer Win-
ſeln. Hoͤret ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ach euer Ohr
iſt verſtopft, und euer Herz iſt voll Haß.
Wir arme Wuͤrmchen ſollen ſterben. Und
o wie gerne! komm, o Tod! komm bald,
und ende unſere Quaal. Aber ſie endet
ſich noch nicht. Unſer Koͤrperchen war ge-
ſund, und kann nicht anders als durch
viele Schmerzen zermalmet werden. Und
o Vaͤter, warum laſſet ihr uns Unſchuldi-
ge eines ſo harten und langſamen Todes
ſterben? Warum laſſet ihr uns eure ſuͤnd-
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buͤſſen?
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/337>, abgerufen am 22.11.2024.
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