wo damals das Christenthum gepflanzet wurde, gar nicht gewöhnlich und erlaubt, folglich wäre es vergeblich gewesen, dieje- nigen von dem Amte der Diaconissinnen auszuschliessen, welche mit vielen Män- nern zugleich in einer Ehe gelebet. Es ist daher auch nicht muthmaßlich, daß die erste Regel der Vielweiberey entgegen ge- setzet sey. Noch weniger ist wahrschein- lich, daß Paulus diejenigen von Kirchen- ämtern ausschliessen wollen, welche nach dem Tode des ersten Ehegatten zu einer zwoten Heirath schreiten. Paulus hat ja selber in einem solchen Falle jungen Leu- ten eine zwote Verehelichung sehr ernstlich angerathen *), und selbige folglich weder für unerlaubt noch unanständig gehalten. Und warum sollte hier die Regel nicht statt finden, welche Paulus als eine ganz allge- meine Regel 1 Cor. C. 7. v. 9. ausgedrü- cket? Man saget: wer zu einer zwoten Ehe schreitet, verräth ein wollüstiges Ge- müth, und dieses schicket sich nicht für eine geistliche Person. Allein man zeige mir doch, warum man dieses nicht eben so gut der ersten Verehelichung entgegen setzen könne? Warum soll derjenige weniger wollüstig scheinen, der dreyssig Jahre mit Einer Frau in einer Ehe lebet, als derje- nige, der nach dem Tode der ersten Ehe- gatten eine zwote nimmt, und mit beyden
viel-
*) 1 Tim. C. 5. v. 14.
wo damals das Chriſtenthum gepflanzet wurde, gar nicht gewoͤhnlich und erlaubt, folglich waͤre es vergeblich geweſen, dieje- nigen von dem Amte der Diaconiſſinnen auszuſchlieſſen, welche mit vielen Maͤn- nern zugleich in einer Ehe gelebet. Es iſt daher auch nicht muthmaßlich, daß die erſte Regel der Vielweiberey entgegen ge- ſetzet ſey. Noch weniger iſt wahrſchein- lich, daß Paulus diejenigen von Kirchen- aͤmtern ausſchlieſſen wollen, welche nach dem Tode des erſten Ehegatten zu einer zwoten Heirath ſchreiten. Paulus hat ja ſelber in einem ſolchen Falle jungen Leu- ten eine zwote Verehelichung ſehr ernſtlich angerathen *), und ſelbige folglich weder fuͤr unerlaubt noch unanſtaͤndig gehalten. Und warum ſollte hier die Regel nicht ſtatt finden, welche Paulus als eine ganz allge- meine Regel 1 Cor. C. 7. v. 9. ausgedruͤ- cket? Man ſaget: wer zu einer zwoten Ehe ſchreitet, verraͤth ein wolluͤſtiges Ge- muͤth, und dieſes ſchicket ſich nicht fuͤr eine geiſtliche Perſon. Allein man zeige mir doch, warum man dieſes nicht eben ſo gut der erſten Verehelichung entgegen ſetzen koͤnne? Warum ſoll derjenige weniger wolluͤſtig ſcheinen, der dreyſſig Jahre mit Einer Frau in einer Ehe lebet, als derje- nige, der nach dem Tode der erſten Ehe- gatten eine zwote nimmt, und mit beyden
viel-
*) 1 Tim. C. 5. v. 14.
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wo damals das Chriſtenthum gepflanzet
wurde, gar nicht gewoͤhnlich und erlaubt,
folglich waͤre es vergeblich geweſen, dieje-
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auszuſchlieſſen, welche mit vielen Maͤn-
nern zugleich in einer Ehe gelebet. Es iſt
daher auch nicht muthmaßlich, daß die
erſte Regel der Vielweiberey entgegen ge-
ſetzet ſey. Noch weniger iſt wahrſchein-
lich, daß Paulus diejenigen von Kirchen-
aͤmtern ausſchlieſſen wollen, welche nach
dem Tode des erſten Ehegatten zu einer
zwoten Heirath ſchreiten. Paulus hat
ja ſelber in einem ſolchen Falle jungen Leu-
ten eine zwote Verehelichung ſehr ernſtlich
angerathen *), und ſelbige folglich weder
fuͤr unerlaubt noch unanſtaͤndig gehalten.
Und warum ſollte hier die Regel nicht ſtatt
finden, welche Paulus als eine ganz allge-
meine Regel 1 Cor. C. 7. v. 9. ausgedruͤ-
cket? Man ſaget: wer zu einer zwoten
Ehe ſchreitet, verraͤth ein wolluͤſtiges Ge-
muͤth, und dieſes ſchicket ſich nicht fuͤr eine
geiſtliche Perſon. Allein man zeige mir
doch, warum man dieſes nicht eben ſo gut
der erſten Verehelichung entgegen ſetzen
koͤnne? Warum ſoll derjenige weniger
wolluͤſtig ſcheinen, der dreyſſig Jahre mit
Einer Frau in einer Ehe lebet, als derje-
nige, der nach dem Tode der erſten Ehe-
gatten eine zwote nimmt, und mit beyden
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*) 1 Tim. C. 5. v. 14.
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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