Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.Kraft und Lebhaftigkeit seines Geistes von dem bisherigen Spiel ab und dem Lernen zu zuwenden. Er selbst hatte eine gründliche und ausgebreitete Gelehrsamkeit mit auf die Universität gebracht, die er mehr seinen eigenen Studien als seinen Lehrern verdankte; er wusste die Lernbegierde seines Schülers zu reizen, der in neuen Schwierigkeiten stets einen Sporn zu neuer Anstrengung fand, und doch zu verhüten, dass seine Lebhaftigkeit nicht zur Flüchtigkeit wurde. Vieles war es nicht, das er mit ihm trieb; im Griechischen lasen sie in zwei Jahren (1784-1786) zwei Capitel aus Xenophons Memorabilien und vier Bücher der Ilias. Vor allen Dingen musste der Knabe selbst suchen und finden: eine Grammatik wurde nicht gebraucht, er selbst machte sich eine Grammatik der homerischen Sprache; sodann wurde Alles auf das Genaueste besprochen, von Allem Rechenschaft gefordert und die Gründe sorgfältig erwogen. Der Schüler, der seine ungeduldige Lebhaftigkeit unter der festen Hand seines Lehrers bemeistern musste, vergalt es diesem, indem er nun auch seinerseits nicht müde wurde ihn mit Fragen, Zweifeln, Bedenken zu bestürmen, so dass dieser alle Mühe anwenden musste, um ihm gerecht zu werden. So bildete sich zwischen beiden ein lebhafter Verkehr, der über die Lehrstunden hinausging. In späteren Jahren sprach er stets mit freudiger Begeisterung von dem Glücke, dass er in diesem Unterricht gefunden, der die Grundlage einer treuen Freundschaft wurde, welche die Männer durch das ganze Leben verband, und von Hermann durch einen schönen Nachruf an Ilgen besiegelt wurde. Nach zwei Jahren war Hermann so weit fortgeschritten, dass er die Universität beziehen konnte (1786); er besass nicht nur im Griechischen und Lateinischen gründliche Kenntnisse, er hatte gelernt zu arbeiten, selbst zu denken und zu prüfen, und Schwierigkeiten wie Anstrengung nicht zu scheuen. Nach dem Willen seines Vaters sollte er Jurisprudenz studieren, und hörte auch die Vorlesungen dieses Faches, allein seine Neigung und Studien blieben den alten Sprachen zugewandt. Die ausschliessliche Beschäftigung mit denselben gab damals nur unsichere Aussichten auf zureichende Versorgung, und mit nicht geringer Mühe wurde der Vater bewogen, seine Einwilligung zu geben, dass er der Jurisprudenz entsagte, und sich ganz der Philologie widmete. Es war hauptsächlich Reiz, durch dessen Verwendung dieses erreicht wurde; ihm war Hermann verwandt; Kraft und Lebhaftigkeit seines Geistes von dem bisherigen Spiel ab und dem Lernen zu zuwenden. Er selbst hatte eine gründliche und ausgebreitete Gelehrsamkeit mit auf die Universität gebracht, die er mehr seinen eigenen Studien als seinen Lehrern verdankte; er wusste die Lernbegierde seines Schülers zu reizen, der in neuen Schwierigkeiten stets einen Sporn zu neuer Anstrengung fand, und doch zu verhüten, dass seine Lebhaftigkeit nicht zur Flüchtigkeit wurde. Vieles war es nicht, das er mit ihm trieb; im Griechischen lasen sie in zwei Jahren (1784–1786) zwei Capitel aus Xenophons Memorabilien und vier Bücher der Ilias. Vor allen Dingen musste der Knabe selbst suchen und finden: eine Grammatik wurde nicht gebraucht, er selbst machte sich eine Grammatik der homerischen Sprache; sodann wurde Alles auf das Genaueste besprochen, von Allem Rechenschaft gefordert und die Gründe sorgfältig erwogen. Der Schüler, der seine ungeduldige Lebhaftigkeit unter der festen Hand seines Lehrers bemeistern musste, vergalt es diesem, indem er nun auch seinerseits nicht müde wurde ihn mit Fragen, Zweifeln, Bedenken zu bestürmen, so dass dieser alle Mühe anwenden musste, um ihm gerecht zu werden. So bildete sich zwischen beiden ein lebhafter Verkehr, der über die Lehrstunden hinausging. In späteren Jahren sprach er stets mit freudiger Begeisterung von dem Glücke, dass er in diesem Unterricht gefunden, der die Grundlage einer treuen Freundschaft wurde, welche die Männer durch das ganze Leben verband, und von Hermann durch einen schönen Nachruf an Ilgen besiegelt wurde. Nach zwei Jahren war Hermann so weit fortgeschritten, dass er die Universität beziehen konnte (1786); er besass nicht nur im Griechischen und Lateinischen gründliche Kenntnisse, er hatte gelernt zu arbeiten, selbst zu denken und zu prüfen, und Schwierigkeiten wie Anstrengung nicht zu scheuen. Nach dem Willen seines Vaters sollte er Jurisprudenz studieren, und hörte auch die Vorlesungen dieses Faches, allein seine Neigung und Studien blieben den alten Sprachen zugewandt. Die ausschliessliche Beschäftigung mit denselben gab damals nur unsichere Aussichten auf zureichende Versorgung, und mit nicht geringer Mühe wurde der Vater bewogen, seine Einwilligung zu geben, dass er der Jurisprudenz entsagte, und sich ganz der Philologie widmete. Es war hauptsächlich Reiz, durch dessen Verwendung dieses erreicht wurde; ihm war Hermann verwandt; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0005" n="5"/> Kraft und Lebhaftigkeit seines Geistes von dem bisherigen Spiel ab und dem Lernen zu zuwenden. Er selbst hatte eine gründliche und ausgebreitete Gelehrsamkeit mit auf die Universität gebracht, die er mehr seinen eigenen Studien als seinen Lehrern verdankte; er wusste die Lernbegierde seines Schülers zu reizen, der in neuen Schwierigkeiten stets einen Sporn zu neuer Anstrengung fand, und doch zu verhüten, dass seine Lebhaftigkeit nicht zur Flüchtigkeit wurde. Vieles war es nicht, das er mit ihm trieb; im Griechischen lasen sie in zwei Jahren (1784–1786) zwei Capitel aus Xenophons Memorabilien und vier Bücher der Ilias. Vor allen Dingen musste der Knabe selbst suchen und finden: eine Grammatik wurde nicht gebraucht, er selbst machte sich eine Grammatik der homerischen Sprache; sodann wurde Alles auf das Genaueste besprochen, von Allem Rechenschaft gefordert und die Gründe sorgfältig erwogen. Der Schüler, der seine ungeduldige Lebhaftigkeit unter der festen Hand seines Lehrers bemeistern musste, vergalt es diesem, indem er nun auch seinerseits nicht müde wurde ihn mit Fragen, Zweifeln, Bedenken zu bestürmen, so dass dieser alle Mühe anwenden musste, um ihm gerecht zu werden. So bildete sich zwischen beiden ein lebhafter Verkehr, der über die Lehrstunden hinausging.</p> <p>In späteren Jahren sprach er stets mit freudiger Begeisterung von dem Glücke, dass er in diesem Unterricht gefunden, der die Grundlage einer treuen Freundschaft wurde, welche die Männer durch das ganze Leben verband, und von Hermann durch einen schönen Nachruf an Ilgen besiegelt wurde. Nach zwei Jahren war Hermann so weit fortgeschritten, dass er die Universität beziehen konnte (1786); er besass nicht nur im Griechischen und Lateinischen gründliche Kenntnisse, er hatte gelernt zu arbeiten, selbst zu denken und zu prüfen, und Schwierigkeiten wie Anstrengung nicht zu scheuen.</p> <p>Nach dem Willen seines Vaters sollte er Jurisprudenz studieren, und hörte auch die Vorlesungen dieses Faches, allein seine Neigung und Studien blieben den alten Sprachen zugewandt. Die ausschliessliche Beschäftigung mit denselben gab damals nur unsichere Aussichten auf zureichende Versorgung, und mit nicht geringer Mühe wurde der Vater bewogen, seine Einwilligung zu geben, dass er der Jurisprudenz entsagte, und sich ganz der Philologie widmete. Es war hauptsächlich <hi rendition="#i">Reiz</hi>, durch dessen Verwendung dieses erreicht wurde; ihm war Hermann verwandt; </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
Kraft und Lebhaftigkeit seines Geistes von dem bisherigen Spiel ab und dem Lernen zu zuwenden. Er selbst hatte eine gründliche und ausgebreitete Gelehrsamkeit mit auf die Universität gebracht, die er mehr seinen eigenen Studien als seinen Lehrern verdankte; er wusste die Lernbegierde seines Schülers zu reizen, der in neuen Schwierigkeiten stets einen Sporn zu neuer Anstrengung fand, und doch zu verhüten, dass seine Lebhaftigkeit nicht zur Flüchtigkeit wurde. Vieles war es nicht, das er mit ihm trieb; im Griechischen lasen sie in zwei Jahren (1784–1786) zwei Capitel aus Xenophons Memorabilien und vier Bücher der Ilias. Vor allen Dingen musste der Knabe selbst suchen und finden: eine Grammatik wurde nicht gebraucht, er selbst machte sich eine Grammatik der homerischen Sprache; sodann wurde Alles auf das Genaueste besprochen, von Allem Rechenschaft gefordert und die Gründe sorgfältig erwogen. Der Schüler, der seine ungeduldige Lebhaftigkeit unter der festen Hand seines Lehrers bemeistern musste, vergalt es diesem, indem er nun auch seinerseits nicht müde wurde ihn mit Fragen, Zweifeln, Bedenken zu bestürmen, so dass dieser alle Mühe anwenden musste, um ihm gerecht zu werden. So bildete sich zwischen beiden ein lebhafter Verkehr, der über die Lehrstunden hinausging.
In späteren Jahren sprach er stets mit freudiger Begeisterung von dem Glücke, dass er in diesem Unterricht gefunden, der die Grundlage einer treuen Freundschaft wurde, welche die Männer durch das ganze Leben verband, und von Hermann durch einen schönen Nachruf an Ilgen besiegelt wurde. Nach zwei Jahren war Hermann so weit fortgeschritten, dass er die Universität beziehen konnte (1786); er besass nicht nur im Griechischen und Lateinischen gründliche Kenntnisse, er hatte gelernt zu arbeiten, selbst zu denken und zu prüfen, und Schwierigkeiten wie Anstrengung nicht zu scheuen.
Nach dem Willen seines Vaters sollte er Jurisprudenz studieren, und hörte auch die Vorlesungen dieses Faches, allein seine Neigung und Studien blieben den alten Sprachen zugewandt. Die ausschliessliche Beschäftigung mit denselben gab damals nur unsichere Aussichten auf zureichende Versorgung, und mit nicht geringer Mühe wurde der Vater bewogen, seine Einwilligung zu geben, dass er der Jurisprudenz entsagte, und sich ganz der Philologie widmete. Es war hauptsächlich Reiz, durch dessen Verwendung dieses erreicht wurde; ihm war Hermann verwandt;
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