Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

und trat ihm dadurch so nahe, dass jener den entscheidenden Einfluss auf seine Ausbildung als Mensch und Gelehrter gewinnen konnte. Wie bedeutend Reiz war, das lehren uns nicht so sehr seine wenigen Schriften, als die ehrende Anerkennung seiner Freunde und Schüler. Vor der Reinheit und Tiefe seines Charakters und Wissens beugte sich selbst F. A. Wolf, zu anerkennender Bewunderung sonst nicht geneigt. Und Hermann, in dessen Charakter Pietät und die Freude an dankbarer Erinnerung derer, die er liebte, ein so hervortretender Zug ist, ward nicht müde, seine Verehrung gegen ihn auszusprechen, und hat ihm mehr als ein schönes Denkmal seiner Liebe gesetzt. Mit tiefer Rührung erkennen wir in dem Bilde, das er uns von seinem hochverehrten Lehrer entwirft, die Züge wieder, welche uns in ihm selbst so edel und schön erscheinen; wie Reiz die Richtung seiner Studien bestimmt, zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten die erste Anregung gegeben hat, so ist er auch für seine sittliche Ausbildung das segensreiche Vorbild gewesen. Wohl dürfen wir es als eine grosse Gunst des Geschickes preisen, dass ihm wieder ein Lehrer zu Theil wurde, dem er sich mit ganzer Seele hingeben konnte, der erkannte, was ihm in diesem Schüler gegeben war, und seine volle Liebe und Sorgfalt auf ihn wandte, der fähig war, den ganzen, ungetheilten Menschen zu erfassen und zu bilden. Denn das ist es ja, was Hermann zu einer wahrhaft grossen Erscheinung macht, dass in ihm der Mensch und der Gelehrte, die wissenschaftliche Bedeutung und die sittliche Würde gar nicht zu trennen sind, dass seine wissenschaftliche Leistung stets auch eine sittliche That ist, dass wir in jeder Aeusserung den ganzen, einigen Menschen, den Mann im vollen Sinn des Wortes lieben und verehren müssen.

Friedrich Wolfgang Reiz war ein Mann von fleckenloser Reinheit und der edelsten Einfalt des Gemüthes, uneigennützig und aufopfernd, ohne alle Ansprüche und von der strengsten Wahrheitsliebe. Als Gelehrter war er ausgezeichnet durch die Genauigkeit und Präcision seines Wissens, das stets auf gründlicher Forschung und gewissenhafter Prüfung beruhte, die sich nicht mit empirischer Beobachtung genügte, sondern den Grund jeder Erscheinung zu erkennen bestrebt war. Seine Studien waren so weit umfassend, als im Einzelnen gründlich; nicht nur die Sprachen der Alten, in welchen er, wie man von ihm sagte, das ius de non appellando hatte, sondern auch ihre Geschichte, Alterthümer

und trat ihm dadurch so nahe, dass jener den entscheidenden Einfluss auf seine Ausbildung als Mensch und Gelehrter gewinnen konnte. Wie bedeutend Reiz war, das lehren uns nicht so sehr seine wenigen Schriften, als die ehrende Anerkennung seiner Freunde und Schüler. Vor der Reinheit und Tiefe seines Charakters und Wissens beugte sich selbst F. A. Wolf, zu anerkennender Bewunderung sonst nicht geneigt. Und Hermann, in dessen Charakter Pietät und die Freude an dankbarer Erinnerung derer, die er liebte, ein so hervortretender Zug ist, ward nicht müde, seine Verehrung gegen ihn auszusprechen, und hat ihm mehr als ein schönes Denkmal seiner Liebe gesetzt. Mit tiefer Rührung erkennen wir in dem Bilde, das er uns von seinem hochverehrten Lehrer entwirft, die Züge wieder, welche uns in ihm selbst so edel und schön erscheinen; wie Reiz die Richtung seiner Studien bestimmt, zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten die erste Anregung gegeben hat, so ist er auch für seine sittliche Ausbildung das segensreiche Vorbild gewesen. Wohl dürfen wir es als eine grosse Gunst des Geschickes preisen, dass ihm wieder ein Lehrer zu Theil wurde, dem er sich mit ganzer Seele hingeben konnte, der erkannte, was ihm in diesem Schüler gegeben war, und seine volle Liebe und Sorgfalt auf ihn wandte, der fähig war, den ganzen, ungetheilten Menschen zu erfassen und zu bilden. Denn das ist es ja, was Hermann zu einer wahrhaft grossen Erscheinung macht, dass in ihm der Mensch und der Gelehrte, die wissenschaftliche Bedeutung und die sittliche Würde gar nicht zu trennen sind, dass seine wissenschaftliche Leistung stets auch eine sittliche That ist, dass wir in jeder Aeusserung den ganzen, einigen Menschen, den Mann im vollen Sinn des Wortes lieben und verehren müssen.

Friedrich Wolfgang Reiz war ein Mann von fleckenloser Reinheit und der edelsten Einfalt des Gemüthes, uneigennützig und aufopfernd, ohne alle Ansprüche und von der strengsten Wahrheitsliebe. Als Gelehrter war er ausgezeichnet durch die Genauigkeit und Präcision seines Wissens, das stets auf gründlicher Forschung und gewissenhafter Prüfung beruhte, die sich nicht mit empirischer Beobachtung genügte, sondern den Grund jeder Erscheinung zu erkennen bestrebt war. Seine Studien waren so weit umfassend, als im Einzelnen gründlich; nicht nur die Sprachen der Alten, in welchen er, wie man von ihm sagte, das ius de non appellando hatte, sondern auch ihre Geschichte, Alterthümer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0006" n="6"/>
und trat ihm dadurch so nahe, dass jener den entscheidenden Einfluss auf seine Ausbildung als Mensch und Gelehrter gewinnen konnte. Wie bedeutend Reiz war, das lehren uns nicht so sehr seine wenigen Schriften, als die ehrende Anerkennung seiner Freunde und Schüler. Vor der Reinheit und Tiefe seines Charakters und Wissens beugte sich selbst F. A. Wolf, zu anerkennender Bewunderung sonst nicht geneigt. Und Hermann, in dessen Charakter Pietät und die Freude an dankbarer Erinnerung derer, die er liebte, ein so hervortretender Zug ist, ward nicht müde, seine Verehrung gegen ihn auszusprechen, und hat ihm mehr als ein schönes Denkmal seiner Liebe gesetzt. Mit tiefer Rührung erkennen wir in dem Bilde, das er uns von seinem hochverehrten Lehrer entwirft, die Züge wieder, welche uns in ihm selbst so edel und schön erscheinen; wie Reiz die Richtung seiner Studien bestimmt, zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten die erste Anregung gegeben hat, so ist er auch für seine sittliche Ausbildung das segensreiche Vorbild gewesen. Wohl dürfen wir es als eine grosse Gunst des Geschickes preisen, dass ihm wieder ein Lehrer zu Theil wurde, dem er sich mit ganzer Seele hingeben konnte, der erkannte, was ihm in diesem Schüler gegeben war, und seine volle Liebe und Sorgfalt auf ihn wandte, der fähig war, den ganzen, ungetheilten Menschen zu erfassen und zu bilden. Denn das ist es ja, was Hermann zu einer wahrhaft grossen Erscheinung macht, dass in ihm der Mensch und der Gelehrte, die wissenschaftliche Bedeutung und die sittliche Würde gar nicht zu trennen sind, dass seine wissenschaftliche Leistung stets auch eine sittliche That ist, dass wir in jeder Aeusserung den ganzen, einigen Menschen, den Mann im vollen Sinn des Wortes lieben und verehren müssen.</p>
        <p><hi rendition="#i">Friedrich Wolfgang Reiz</hi> war ein Mann von fleckenloser Reinheit und der edelsten Einfalt des Gemüthes, uneigennützig und aufopfernd, ohne alle Ansprüche und von der strengsten Wahrheitsliebe. Als Gelehrter war er ausgezeichnet durch die Genauigkeit und Präcision seines Wissens, das stets auf gründlicher Forschung und gewissenhafter Prüfung beruhte, die sich nicht mit empirischer Beobachtung genügte, sondern den Grund jeder Erscheinung zu erkennen bestrebt war. Seine Studien waren so weit umfassend, als im Einzelnen gründlich; nicht nur die Sprachen der Alten, in welchen er, wie man von ihm sagte, das <hi rendition="#i">ius de non appellando</hi> hatte, sondern auch ihre Geschichte, Alterthümer
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0006] und trat ihm dadurch so nahe, dass jener den entscheidenden Einfluss auf seine Ausbildung als Mensch und Gelehrter gewinnen konnte. Wie bedeutend Reiz war, das lehren uns nicht so sehr seine wenigen Schriften, als die ehrende Anerkennung seiner Freunde und Schüler. Vor der Reinheit und Tiefe seines Charakters und Wissens beugte sich selbst F. A. Wolf, zu anerkennender Bewunderung sonst nicht geneigt. Und Hermann, in dessen Charakter Pietät und die Freude an dankbarer Erinnerung derer, die er liebte, ein so hervortretender Zug ist, ward nicht müde, seine Verehrung gegen ihn auszusprechen, und hat ihm mehr als ein schönes Denkmal seiner Liebe gesetzt. Mit tiefer Rührung erkennen wir in dem Bilde, das er uns von seinem hochverehrten Lehrer entwirft, die Züge wieder, welche uns in ihm selbst so edel und schön erscheinen; wie Reiz die Richtung seiner Studien bestimmt, zu seinen bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten die erste Anregung gegeben hat, so ist er auch für seine sittliche Ausbildung das segensreiche Vorbild gewesen. Wohl dürfen wir es als eine grosse Gunst des Geschickes preisen, dass ihm wieder ein Lehrer zu Theil wurde, dem er sich mit ganzer Seele hingeben konnte, der erkannte, was ihm in diesem Schüler gegeben war, und seine volle Liebe und Sorgfalt auf ihn wandte, der fähig war, den ganzen, ungetheilten Menschen zu erfassen und zu bilden. Denn das ist es ja, was Hermann zu einer wahrhaft grossen Erscheinung macht, dass in ihm der Mensch und der Gelehrte, die wissenschaftliche Bedeutung und die sittliche Würde gar nicht zu trennen sind, dass seine wissenschaftliche Leistung stets auch eine sittliche That ist, dass wir in jeder Aeusserung den ganzen, einigen Menschen, den Mann im vollen Sinn des Wortes lieben und verehren müssen. Friedrich Wolfgang Reiz war ein Mann von fleckenloser Reinheit und der edelsten Einfalt des Gemüthes, uneigennützig und aufopfernd, ohne alle Ansprüche und von der strengsten Wahrheitsliebe. Als Gelehrter war er ausgezeichnet durch die Genauigkeit und Präcision seines Wissens, das stets auf gründlicher Forschung und gewissenhafter Prüfung beruhte, die sich nicht mit empirischer Beobachtung genügte, sondern den Grund jeder Erscheinung zu erkennen bestrebt war. Seine Studien waren so weit umfassend, als im Einzelnen gründlich; nicht nur die Sprachen der Alten, in welchen er, wie man von ihm sagte, das ius de non appellando hatte, sondern auch ihre Geschichte, Alterthümer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/6
Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/6>, abgerufen am 03.12.2024.