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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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und bildende Kunst waren Gegenstände seiner Untersuchungen; auf Veranlassung der russischen Regierung bereitete er sich auf eine antiquarische Reise nach Griechenland vor, welche zu seinem Leidwesen dann unterblieb. Seine Vorlesungen, welche er mit der grössten Gewissenhaftigkeit vorbereitete, waren durch einen wohldurchdachten, klaren Vortrag, welcher besonders im lateinischen Ausdruck ungemein treffend und präcis war, und durch die Methode musterhaft, welche mit gründlicher Bedächtigkeit Alles erwog, was zur Sache gehörte, aber Alles bei Seite liess, was überflüssig war. Kurz, man kann mit Wahrheit sagen, dass Reiz Alles leistete, was ein klarer, scharfer Verstand, verbunden mit dem angestrengtesten Fleiss ohne eigentliche Genialität zu erreichen vermag. Er wurde Hermanns Lehrer, nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern im vertrauten häuslichen Verkehr war auch er vorzugsweise geeignet, das rasch lodernde Feuer seines genialen Schülers nicht zu dämpfen, aber zu mässigen, und das in ihm auszubilden, was ohne einen solchen Einfluss vielleicht weniger entwickelt worden wäre. Denn allerdings war das reine und rückhaltslose Streben nach Wahrheit in Hermanns Natur ebenso tief begründet, als der Eifer des angestrengten Arbeitens und die Freude Schwierigkeiten mit aller Anspannung seiner Kräfte zu überwinden; aber bei der ausserordentlichen Schärfe seines Blicks, bei der Leichtigkeit, mit welcher er immer Neues fand, bei dem stürmischen Drang, welcher ihn rastlos vorwärts trieb, konnte nichts heilsamer sein, als der Einfluss eines Mannes, der seinen glänzenden und glücklichen Eigenschaften volle Gerechtigkeit widerfahren liess und an ihnen seine Freude hatte, aber ihn bei jedem Schritt festhielt, von Allem genaue Rechenschaft verlangte, wie er sie selbst zu geben wusste, und ihm so die Nothwendigkeit fest einprägte, bei jeder Untersuchung auch dem Einzelnen und Geringen die aufmerksamste Sorgfalt zuzuwenden. Das würde ihm, bei dem entschiedenen Widerwillen gegen Alles blos Empirische, der in Hermanns Natur lag, nicht gelungen sein, wenn er nicht, philosophisch gründlich gebildet, das Bedürfniss seines Schülers nach rationaler Erkenntniss in gleichem Masse befriedigt und ihn stets darauf hingeführt hätte, nicht nur die Sache, sondern den Grund und innern Zusammenhang derselben als das eigentliche Ziel des Forschens zu betrachten. In seiner einfachen, unbefangenen Weise verkehrte er mehr als Freund und Mitforscher, denn als Lehrer mit ihm, was seinen Einfluss auf den

und bildende Kunst waren Gegenstände seiner Untersuchungen; auf Veranlassung der russischen Regierung bereitete er sich auf eine antiquarische Reise nach Griechenland vor, welche zu seinem Leidwesen dann unterblieb. Seine Vorlesungen, welche er mit der grössten Gewissenhaftigkeit vorbereitete, waren durch einen wohldurchdachten, klaren Vortrag, welcher besonders im lateinischen Ausdruck ungemein treffend und präcis war, und durch die Methode musterhaft, welche mit gründlicher Bedächtigkeit Alles erwog, was zur Sache gehörte, aber Alles bei Seite liess, was überflüssig war. Kurz, man kann mit Wahrheit sagen, dass Reiz Alles leistete, was ein klarer, scharfer Verstand, verbunden mit dem angestrengtesten Fleiss ohne eigentliche Genialität zu erreichen vermag. Er wurde Hermanns Lehrer, nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern im vertrauten häuslichen Verkehr war auch er vorzugsweise geeignet, das rasch lodernde Feuer seines genialen Schülers nicht zu dämpfen, aber zu mässigen, und das in ihm auszubilden, was ohne einen solchen Einfluss vielleicht weniger entwickelt worden wäre. Denn allerdings war das reine und rückhaltslose Streben nach Wahrheit in Hermanns Natur ebenso tief begründet, als der Eifer des angestrengten Arbeitens und die Freude Schwierigkeiten mit aller Anspannung seiner Kräfte zu überwinden; aber bei der ausserordentlichen Schärfe seines Blicks, bei der Leichtigkeit, mit welcher er immer Neues fand, bei dem stürmischen Drang, welcher ihn rastlos vorwärts trieb, konnte nichts heilsamer sein, als der Einfluss eines Mannes, der seinen glänzenden und glücklichen Eigenschaften volle Gerechtigkeit widerfahren liess und an ihnen seine Freude hatte, aber ihn bei jedem Schritt festhielt, von Allem genaue Rechenschaft verlangte, wie er sie selbst zu geben wusste, und ihm so die Nothwendigkeit fest einprägte, bei jeder Untersuchung auch dem Einzelnen und Geringen die aufmerksamste Sorgfalt zuzuwenden. Das würde ihm, bei dem entschiedenen Widerwillen gegen Alles blos Empirische, der in Hermanns Natur lag, nicht gelungen sein, wenn er nicht, philosophisch gründlich gebildet, das Bedürfniss seines Schülers nach rationaler Erkenntniss in gleichem Masse befriedigt und ihn stets darauf hingeführt hätte, nicht nur die Sache, sondern den Grund und innern Zusammenhang derselben als das eigentliche Ziel des Forschens zu betrachten. In seiner einfachen, unbefangenen Weise verkehrte er mehr als Freund und Mitforscher, denn als Lehrer mit ihm, was seinen Einfluss auf den

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und bildende Kunst waren Gegenstände seiner Untersuchungen; auf Veranlassung der russischen Regierung bereitete er sich auf eine antiquarische Reise nach Griechenland vor, welche zu seinem Leidwesen dann unterblieb. Seine Vorlesungen, welche er mit der grössten Gewissenhaftigkeit vorbereitete, waren durch einen wohldurchdachten, klaren Vortrag, welcher besonders im lateinischen Ausdruck ungemein treffend und präcis war, und durch die Methode musterhaft, welche mit gründlicher Bedächtigkeit Alles erwog, was zur Sache gehörte, aber Alles bei Seite liess, was überflüssig war. Kurz, man kann mit Wahrheit sagen, dass Reiz Alles leistete, was ein klarer, scharfer Verstand, verbunden mit dem angestrengtesten Fleiss ohne eigentliche Genialität zu erreichen vermag. Er wurde Hermanns Lehrer, nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern im vertrauten häuslichen Verkehr war auch er vorzugsweise geeignet, das rasch lodernde Feuer seines genialen Schülers nicht zu dämpfen, aber zu mässigen, und das in ihm auszubilden, was ohne einen solchen Einfluss vielleicht weniger entwickelt worden wäre. Denn allerdings war das reine und rückhaltslose Streben nach Wahrheit in Hermanns Natur ebenso tief begründet, als der Eifer des angestrengten Arbeitens und die Freude Schwierigkeiten mit aller Anspannung seiner Kräfte zu überwinden; aber bei der ausserordentlichen Schärfe seines Blicks, bei der Leichtigkeit, mit welcher er immer Neues fand, bei dem stürmischen Drang, welcher ihn rastlos vorwärts trieb, konnte nichts heilsamer sein, als der Einfluss eines Mannes, der seinen glänzenden und glücklichen Eigenschaften volle Gerechtigkeit widerfahren liess und an ihnen seine Freude hatte, aber ihn bei jedem Schritt festhielt, von Allem genaue Rechenschaft verlangte, wie er sie selbst zu geben wusste, und ihm so die Nothwendigkeit fest einprägte, bei jeder Untersuchung auch dem Einzelnen und Geringen die aufmerksamste Sorgfalt zuzuwenden. Das würde ihm, bei dem entschiedenen Widerwillen gegen Alles blos Empirische, der in Hermanns Natur lag, nicht gelungen sein, wenn er nicht, philosophisch gründlich gebildet, das Bedürfniss seines Schülers nach rationaler Erkenntniss in gleichem Masse befriedigt und ihn stets darauf hingeführt hätte, nicht nur die Sache, sondern den Grund und innern Zusammenhang derselben als das eigentliche Ziel des Forschens zu betrachten. In seiner einfachen, unbefangenen Weise verkehrte er mehr als Freund und Mitforscher, denn als Lehrer mit ihm, was seinen Einfluss auf den
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[7/0007] und bildende Kunst waren Gegenstände seiner Untersuchungen; auf Veranlassung der russischen Regierung bereitete er sich auf eine antiquarische Reise nach Griechenland vor, welche zu seinem Leidwesen dann unterblieb. Seine Vorlesungen, welche er mit der grössten Gewissenhaftigkeit vorbereitete, waren durch einen wohldurchdachten, klaren Vortrag, welcher besonders im lateinischen Ausdruck ungemein treffend und präcis war, und durch die Methode musterhaft, welche mit gründlicher Bedächtigkeit Alles erwog, was zur Sache gehörte, aber Alles bei Seite liess, was überflüssig war. Kurz, man kann mit Wahrheit sagen, dass Reiz Alles leistete, was ein klarer, scharfer Verstand, verbunden mit dem angestrengtesten Fleiss ohne eigentliche Genialität zu erreichen vermag. Er wurde Hermanns Lehrer, nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern im vertrauten häuslichen Verkehr war auch er vorzugsweise geeignet, das rasch lodernde Feuer seines genialen Schülers nicht zu dämpfen, aber zu mässigen, und das in ihm auszubilden, was ohne einen solchen Einfluss vielleicht weniger entwickelt worden wäre. Denn allerdings war das reine und rückhaltslose Streben nach Wahrheit in Hermanns Natur ebenso tief begründet, als der Eifer des angestrengten Arbeitens und die Freude Schwierigkeiten mit aller Anspannung seiner Kräfte zu überwinden; aber bei der ausserordentlichen Schärfe seines Blicks, bei der Leichtigkeit, mit welcher er immer Neues fand, bei dem stürmischen Drang, welcher ihn rastlos vorwärts trieb, konnte nichts heilsamer sein, als der Einfluss eines Mannes, der seinen glänzenden und glücklichen Eigenschaften volle Gerechtigkeit widerfahren liess und an ihnen seine Freude hatte, aber ihn bei jedem Schritt festhielt, von Allem genaue Rechenschaft verlangte, wie er sie selbst zu geben wusste, und ihm so die Nothwendigkeit fest einprägte, bei jeder Untersuchung auch dem Einzelnen und Geringen die aufmerksamste Sorgfalt zuzuwenden. Das würde ihm, bei dem entschiedenen Widerwillen gegen Alles blos Empirische, der in Hermanns Natur lag, nicht gelungen sein, wenn er nicht, philosophisch gründlich gebildet, das Bedürfniss seines Schülers nach rationaler Erkenntniss in gleichem Masse befriedigt und ihn stets darauf hingeführt hätte, nicht nur die Sache, sondern den Grund und innern Zusammenhang derselben als das eigentliche Ziel des Forschens zu betrachten. In seiner einfachen, unbefangenen Weise verkehrte er mehr als Freund und Mitforscher, denn als Lehrer mit ihm, was seinen Einfluss auf den

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/7>, abgerufen am 21.11.2024.