Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

heit ihr heiliges inneres Band, und in ihrem
Hochpanier stammt die Strahlenschrift: Unsterb¬
lichkeit.

Und was uns erinnert, daß der Mensch
mehr ist als Weidethier, und besser als Schlacht¬
vieh; was die übersinnliche Welt mit der sinn¬
lichen in Verbindung bringt, die durch düstere
Abgründe getrennten Dießseits und Jenseits zu¬
sammenbrückt; was einen unzerreißbaren Faden
reicht zum Leitband für die Wanderschaft der
langen Nacht -- Religion sollte bloß als ein
frommgläubiges Kinderspiel geduldet werden?
Und der Religion äußere Stellvertreterin, und
öffentliche Anwaltin, die Kirche nur als ein
altfränkisches Staatsgeräth der Merkwürdigkeit
wegen annoch beibehalten, als leidliches Schau¬
spiel gestattet, und als ungefährliches Spielzeug
vergönnt?

Die Kirche ist dem Staat nicht übergeord¬
net, weder unter- noch neben-geordnet; sie ist
ingeordnet. Aber vorwürken muß der Staat,
daß sie selbst nachwürken kann. Er soll ihre
Tugendlehre nicht als Zaum und Gebiß nützen,
und dieses Lenkmittels halber lieber ein fröm¬

heit ihr heiliges inneres Band, und in ihrem
Hochpanier ſtammt die Strahlenſchrift: Unſterb¬
lichkeit.

Und was uns erinnert, daß der Menſch
mehr iſt als Weidethier, und beſſer als Schlacht¬
vieh; was die überſinnliche Welt mit der ſinn¬
lichen in Verbindung bringt, die durch düſtere
Abgründe getrennten Dießſeits und Jenſeits zu¬
ſammenbrückt; was einen unzerreißbaren Faden
reicht zum Leitband für die Wanderſchaft der
langen Nacht — Religion ſollte bloß als ein
frommgläubiges Kinderſpiel geduldet werden?
Und der Religion äußere Stellvertreterin, und
öffentliche Anwaltin, die Kirche nur als ein
altfränkiſches Staatsgeräth der Merkwürdigkeit
wegen annoch beibehalten, als leidliches Schau¬
ſpiel geſtattet, und als ungefährliches Spielzeug
vergönnt?

Die Kirche iſt dem Staat nicht übergeord¬
net, weder unter- noch neben-geordnet; ſie iſt
ingeordnet. Aber vorwürken muß der Staat,
daß ſie ſelbſt nachwürken kann. Er ſoll ihre
Tugendlehre nicht als Zaum und Gebiß nützen,
und dieſes Lenkmittels halber lieber ein fröm¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="130"/><fw type="pageNum" place="top">130<lb/></fw>heit ihr heiliges inneres Band, und in ihrem<lb/>
Hochpanier &#x017F;tammt die Strahlen&#x017F;chrift: Un&#x017F;terb¬<lb/>
lichkeit.</p><lb/>
          <p>Und was uns erinnert, daß der Men&#x017F;ch<lb/>
mehr i&#x017F;t als Weidethier, und be&#x017F;&#x017F;er als Schlacht¬<lb/>
vieh; was die über&#x017F;innliche Welt mit der &#x017F;inn¬<lb/>
lichen in Verbindung bringt, die durch dü&#x017F;tere<lb/>
Abgründe getrennten Dieß&#x017F;eits und Jen&#x017F;eits zu¬<lb/>
&#x017F;ammenbrückt; was einen unzerreißbaren Faden<lb/>
reicht zum Leitband für die Wander&#x017F;chaft der<lb/>
langen Nacht &#x2014; <hi rendition="#g">Religion</hi> &#x017F;ollte bloß als ein<lb/>
frommgläubiges Kinder&#x017F;piel geduldet werden?<lb/>
Und der Religion äußere Stellvertreterin, und<lb/>
öffentliche Anwaltin, <hi rendition="#g">die Kirche</hi> nur als ein<lb/>
altfränki&#x017F;ches Staatsgeräth der Merkwürdigkeit<lb/>
wegen annoch beibehalten, als leidliches Schau¬<lb/>
&#x017F;piel ge&#x017F;tattet, und als ungefährliches Spielzeug<lb/>
vergönnt?</p><lb/>
          <p>Die Kirche i&#x017F;t dem Staat nicht übergeord¬<lb/>
net, weder unter- noch neben-geordnet; &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
ingeordnet. Aber vorwürken muß der Staat,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nachwürken kann. Er &#x017F;oll ihre<lb/>
Tugendlehre nicht als Zaum und Gebiß nützen,<lb/>
und die&#x017F;es Lenkmittels halber lieber ein fröm¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0160] 130 heit ihr heiliges inneres Band, und in ihrem Hochpanier ſtammt die Strahlenſchrift: Unſterb¬ lichkeit. Und was uns erinnert, daß der Menſch mehr iſt als Weidethier, und beſſer als Schlacht¬ vieh; was die überſinnliche Welt mit der ſinn¬ lichen in Verbindung bringt, die durch düſtere Abgründe getrennten Dießſeits und Jenſeits zu¬ ſammenbrückt; was einen unzerreißbaren Faden reicht zum Leitband für die Wanderſchaft der langen Nacht — Religion ſollte bloß als ein frommgläubiges Kinderſpiel geduldet werden? Und der Religion äußere Stellvertreterin, und öffentliche Anwaltin, die Kirche nur als ein altfränkiſches Staatsgeräth der Merkwürdigkeit wegen annoch beibehalten, als leidliches Schau¬ ſpiel geſtattet, und als ungefährliches Spielzeug vergönnt? Die Kirche iſt dem Staat nicht übergeord¬ net, weder unter- noch neben-geordnet; ſie iſt ingeordnet. Aber vorwürken muß der Staat, daß ſie ſelbſt nachwürken kann. Er ſoll ihre Tugendlehre nicht als Zaum und Gebiß nützen, und dieſes Lenkmittels halber lieber ein fröm¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/160
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/160>, abgerufen am 18.12.2024.