Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend
nicht ohne Bürger bestehen! Jhr werdet Alles haben, wenn
ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden ist nicht das Werk
Eines Tages, und wenn man Menschen an ihnen haben will,
muß man sie schon als Kinder unterweisen. Wenn man sie
bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in sei¬
nen Verhältnissen mit dem Staatskörper zu betrachten, und
ihre eigene Existenz so zu sagen nicht anders gewahr zu wer¬
den, als in so fern selbige einen Theil seiner Existenz aus¬
macht: So werden sie sich endlich mit diesem größern Gan¬
zen für identisch halten; so werden sie fühlen, daß sie Glieder
des Vaterlandes sind. Nicht nur die Philosophie erweiset die
Möglichkeit solcher Richtungen der Seele, sondern die Ge¬
schichte stellt tausend solcher glänzenden Beispiele auf. Wenn
sie bei uns seltner sind, so rührt es davon her, weil sich nie¬
mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man
noch weniger darauf denkt, wie man sie dazu bilden möge.
Dann ist es nicht mehr Zeit, den Menschen umzuschaffen,
wenn einmahl die Selbstsucht ihr niederträchtig geschäftiges
Wesen verbreitet hat, welches jede Tugend verschlingt, und
das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie soll die Liebe zum
Vaterlande mitten unter so vielen andern Leidenschaften, die
sie ersticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wollust und
Eitelkeit sich schon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird
wohl von diesem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben?

Aus dem 5ten Theil der Encyclopedie nach dem
neuen Hamburgischen Magazin.

Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend
nicht ohne Bürger beſtehen! Jhr werdet Alles haben, wenn
ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden iſt nicht das Werk
Eines Tages, und wenn man Menſchen an ihnen haben will,
muß man ſie ſchon als Kinder unterweiſen. Wenn man ſie
bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in ſei¬
nen Verhältniſſen mit dem Staatskörper zu betrachten, und
ihre eigene Exiſtenz ſo zu ſagen nicht anders gewahr zu wer¬
den, als in ſo fern ſelbige einen Theil ſeiner Exiſtenz aus¬
macht: So werden ſie ſich endlich mit dieſem größern Gan¬
zen für identiſch halten; ſo werden ſie fühlen, daß ſie Glieder
des Vaterlandes ſind. Nicht nur die Philoſophie erweiſet die
Möglichkeit ſolcher Richtungen der Seele, ſondern die Ge¬
ſchichte ſtellt tauſend ſolcher glänzenden Beiſpiele auf. Wenn
ſie bei uns ſeltner ſind, ſo rührt es davon her, weil ſich nie¬
mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man
noch weniger darauf denkt, wie man ſie dazu bilden möge.
Dann iſt es nicht mehr Zeit, den Menſchen umzuſchaffen,
wenn einmahl die Selbſtſucht ihr niederträchtig geſchäftiges
Weſen verbreitet hat, welches jede Tugend verſchlingt, und
das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie ſoll die Liebe zum
Vaterlande mitten unter ſo vielen andern Leidenſchaften, die
ſie erſticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wolluſt und
Eitelkeit ſich ſchon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird
wohl von dieſem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben?

Aus dem 5ten Theil der Encyclopédie nach dem
neuen Hamburgiſchen Magazin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0198" n="[168]"/>
        <cit>
          <quote>Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend<lb/>
nicht ohne Bürger be&#x017F;tehen! Jhr werdet Alles haben, wenn<lb/>
ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden i&#x017F;t nicht das Werk<lb/>
Eines Tages, und wenn man Men&#x017F;chen an ihnen haben will,<lb/>
muß man &#x017F;ie &#x017F;chon als Kinder unterwei&#x017F;en. Wenn man &#x017F;ie<lb/>
bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in &#x017F;ei¬<lb/>
nen Verhältni&#x017F;&#x017F;en mit dem Staatskörper zu betrachten, und<lb/>
ihre eigene Exi&#x017F;tenz &#x017F;o zu &#x017F;agen nicht anders gewahr zu wer¬<lb/>
den, als in &#x017F;o fern &#x017F;elbige einen Theil &#x017F;einer Exi&#x017F;tenz aus¬<lb/>
macht: So werden &#x017F;ie &#x017F;ich endlich mit die&#x017F;em größern Gan¬<lb/>
zen für identi&#x017F;ch halten; &#x017F;o werden &#x017F;ie fühlen, daß &#x017F;ie Glieder<lb/>
des Vaterlandes &#x017F;ind. Nicht nur die Philo&#x017F;ophie erwei&#x017F;et die<lb/>
Möglichkeit &#x017F;olcher Richtungen der Seele, &#x017F;ondern die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte &#x017F;tellt tau&#x017F;end &#x017F;olcher glänzenden Bei&#x017F;piele auf. Wenn<lb/>
&#x017F;ie bei uns &#x017F;eltner &#x017F;ind, &#x017F;o rührt es davon her, weil &#x017F;ich nie¬<lb/>
mand darum bekümmert, daß es Bürger             gebe, und weil man<lb/>
noch weniger darauf denkt, wie man &#x017F;ie dazu bilden möge.<lb/>
Dann i&#x017F;t es nicht mehr Zeit, den Men&#x017F;chen umzu&#x017F;chaffen,<lb/>
wenn einmahl die Selb&#x017F;t&#x017F;ucht ihr niederträchtig ge&#x017F;chäftiges<lb/>
We&#x017F;en verbreitet hat, welches jede Tugend ver&#x017F;chlingt, und<lb/>
das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie &#x017F;oll die Liebe zum<lb/>
Vaterlande mitten unter &#x017F;o vielen andern Leiden&#x017F;chaften, die<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;ticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wollu&#x017F;t und<lb/>
Eitelkeit &#x017F;ich &#x017F;chon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird<lb/>
wohl von die&#x017F;em Herzen für die Mitbürger übrig bleiben?</quote><lb/>
          <bibl> <hi rendition="#right">Aus dem 5ten Theil der <hi rendition="#aq">Encyclopédie</hi> nach dem<lb/>
neuen Hamburgi&#x017F;chen Magazin.</hi> </bibl>
        </cit><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[168]/0198] Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend nicht ohne Bürger beſtehen! Jhr werdet Alles haben, wenn ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden iſt nicht das Werk Eines Tages, und wenn man Menſchen an ihnen haben will, muß man ſie ſchon als Kinder unterweiſen. Wenn man ſie bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in ſei¬ nen Verhältniſſen mit dem Staatskörper zu betrachten, und ihre eigene Exiſtenz ſo zu ſagen nicht anders gewahr zu wer¬ den, als in ſo fern ſelbige einen Theil ſeiner Exiſtenz aus¬ macht: So werden ſie ſich endlich mit dieſem größern Gan¬ zen für identiſch halten; ſo werden ſie fühlen, daß ſie Glieder des Vaterlandes ſind. Nicht nur die Philoſophie erweiſet die Möglichkeit ſolcher Richtungen der Seele, ſondern die Ge¬ ſchichte ſtellt tauſend ſolcher glänzenden Beiſpiele auf. Wenn ſie bei uns ſeltner ſind, ſo rührt es davon her, weil ſich nie¬ mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man noch weniger darauf denkt, wie man ſie dazu bilden möge. Dann iſt es nicht mehr Zeit, den Menſchen umzuſchaffen, wenn einmahl die Selbſtſucht ihr niederträchtig geſchäftiges Weſen verbreitet hat, welches jede Tugend verſchlingt, und das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie ſoll die Liebe zum Vaterlande mitten unter ſo vielen andern Leidenſchaften, die ſie erſticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wolluſt und Eitelkeit ſich ſchon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird wohl von dieſem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben? Aus dem 5ten Theil der Encyclopédie nach dem neuen Hamburgiſchen Magazin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/198
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. [168]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/198>, abgerufen am 21.11.2024.