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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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Hier geht im schlimmsten Falle nur das Dasein
verloren, dort das Leben. Der ungeschickte Arzt
begräbt seine Schande, es wächst Gras darauf,
man vergißt sie und ihn. Den gewissenlosen
Erzieher klagen die Rabensteine an, und die
Zuchthäuser, und Erbsünden, für welche die
Weltgeschichte keine Vergebung hat. Ein Glück
für die Menschheit, daß ein Mensch viel Stür¬
me an Leib, Geist und Herz überstehen kann.

Nicht den Prahlworten der ungeheuern
Menge sogenannter Erziehungsschriften muß
man glauben, die immer wieder aufs Neue die
Zeitung verkünden, das Ganze der irdischen
Menschenschöpfung "nunmehr" ergründet zu
haben. Kaum hat ein neuer sich ausbietender
Aufhelfer in die Weltposaune gestoßen; so schreien
die Unwissenheit, Neuerungssucht, Veränderlich¬
keit, Müßiggangshoffnung, Schadenfreude, und
der Hunger sogar mit in dem angestimmten To¬
ne, bis spätere ärgere Schreier zur Nacht abru¬
fen. Selbst nur Affen tappen die blinden Füh¬
rer und die Jünger ihnen nach, bis ihre Zög¬
linge die hundertarmige Verderbniß umklam¬
mert. Zweck und Mittel umgekehrt; an kein

Hier geht im ſchlimmſten Falle nur das Daſein
verloren, dort das Leben. Der ungeſchickte Arzt
begräbt ſeine Schande, es wächſt Gras darauf,
man vergißt ſie und ihn. Den gewiſſenloſen
Erzieher klagen die Rabenſteine an, und die
Zuchthäuſer, und Erbſünden, für welche die
Weltgeſchichte keine Vergebung hat. Ein Glück
für die Menſchheit, daß ein Menſch viel Stür¬
me an Leib, Geiſt und Herz überſtehen kann.

Nicht den Prahlworten der ungeheuern
Menge ſogenannter Erziehungsſchriften muß
man glauben, die immer wieder aufs Neue die
Zeitung verkünden, das Ganze der irdiſchen
Menſchenſchöpfung „nunmehr“ ergründet zu
haben. Kaum hat ein neuer ſich ausbietender
Aufhelfer in die Weltpoſaune geſtoßen; ſo ſchreien
die Unwiſſenheit, Neuerungsſucht, Veränderlich¬
keit, Müßiggangshoffnung, Schadenfreude, und
der Hunger ſogar mit in dem angeſtimmten To¬
ne, bis ſpätere ärgere Schreier zur Nacht abru¬
fen. Selbſt nur Affen tappen die blinden Füh¬
rer und die Jünger ihnen nach, bis ihre Zög¬
linge die hundertarmige Verderbniß umklam¬
mert. Zweck und Mittel umgekehrt; an kein

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[171/0201] 171 Hier geht im ſchlimmſten Falle nur das Daſein verloren, dort das Leben. Der ungeſchickte Arzt begräbt ſeine Schande, es wächſt Gras darauf, man vergißt ſie und ihn. Den gewiſſenloſen Erzieher klagen die Rabenſteine an, und die Zuchthäuſer, und Erbſünden, für welche die Weltgeſchichte keine Vergebung hat. Ein Glück für die Menſchheit, daß ein Menſch viel Stür¬ me an Leib, Geiſt und Herz überſtehen kann. Nicht den Prahlworten der ungeheuern Menge ſogenannter Erziehungsſchriften muß man glauben, die immer wieder aufs Neue die Zeitung verkünden, das Ganze der irdiſchen Menſchenſchöpfung „nunmehr“ ergründet zu haben. Kaum hat ein neuer ſich ausbietender Aufhelfer in die Weltpoſaune geſtoßen; ſo ſchreien die Unwiſſenheit, Neuerungsſucht, Veränderlich¬ keit, Müßiggangshoffnung, Schadenfreude, und der Hunger ſogar mit in dem angeſtimmten To¬ ne, bis ſpätere ärgere Schreier zur Nacht abru¬ fen. Selbſt nur Affen tappen die blinden Füh¬ rer und die Jünger ihnen nach, bis ihre Zög¬ linge die hundertarmige Verderbniß umklam¬ mert. Zweck und Mittel umgekehrt; an kein

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/201>, abgerufen am 27.11.2024.