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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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Festhalten zu denken; heute ein wissenschaftliches
Gebäude wie ein Kartenhaus leicht nnd leer
aufgerichtet, morgen über den Haufen gestoßen,
weil es andern Spielereien im Wege steht; je¬
dem nachgelaufen, der mit marktschreierischer Ei¬
senstirn Neues! Neues! ausruft, ohne leise nach
dem Bessern zu fragen. Alle diese Erscheinun¬
gen sprechen es deutlich aus, daß die Menge
von nichts fester überzeugt ist, als von der
Schlechtheit ihres Verfahrens, von der Unzweck¬
mäßigkeit ihrer Arbeiten. Alle die sich jagenden,
zerarbeitenden, verfolgenden, vernichtenden Schrif¬
ten, beweisen durch ihr bloßes Dasein, daß we¬
nig für die Erziehung als Wissenschaft feststeht.
Wer nicht mehr in den Menschen und dem
Weltlauf lieset, als in den Büchern der Erzie¬
her für Erzieher (die Schulbüchersammlung von
Campe und ähnliche ausgenommen), verzieht
sich selbst ohne Erbarmen und wird kindisch vor
der Zeit. Über das wahre Nichts ward von
jeher mit Sprechen, Schreiben und Handeln die
meiste Zeit verdorben. "Alles Gute kommt von
Oben herab" aus dem innern Wesen der Mensch¬
heit. Denn die Menschen lassen nicht bloß

Feſthalten zu denken; heute ein wiſſenſchaftliches
Gebäude wie ein Kartenhaus leicht nnd leer
aufgerichtet, morgen über den Haufen geſtoßen,
weil es andern Spielereien im Wege ſteht; je¬
dem nachgelaufen, der mit marktſchreieriſcher Ei¬
ſenſtirn Neues! Neues! ausruft, ohne leiſe nach
dem Beſſern zu fragen. Alle dieſe Erſcheinun¬
gen ſprechen es deutlich aus, daß die Menge
von nichts feſter überzeugt iſt, als von der
Schlechtheit ihres Verfahrens, von der Unzweck¬
mäßigkeit ihrer Arbeiten. Alle die ſich jagenden,
zerarbeitenden, verfolgenden, vernichtenden Schrif¬
ten, beweiſen durch ihr bloßes Daſein, daß we¬
nig für die Erziehung als Wiſſenſchaft feſtſteht.
Wer nicht mehr in den Menſchen und dem
Weltlauf lieſet, als in den Büchern der Erzie¬
her für Erzieher (die Schulbücherſammlung von
Campe und ähnliche ausgenommen), verzieht
ſich ſelbſt ohne Erbarmen und wird kindiſch vor
der Zeit. Über das wahre Nichts ward von
jeher mit Sprechen, Schreiben und Handeln die
meiſte Zeit verdorben. „Alles Gute kommt von
Oben herab″ aus dem innern Weſen der Menſch¬
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[172/0202] 172 Feſthalten zu denken; heute ein wiſſenſchaftliches Gebäude wie ein Kartenhaus leicht nnd leer aufgerichtet, morgen über den Haufen geſtoßen, weil es andern Spielereien im Wege ſteht; je¬ dem nachgelaufen, der mit marktſchreieriſcher Ei¬ ſenſtirn Neues! Neues! ausruft, ohne leiſe nach dem Beſſern zu fragen. Alle dieſe Erſcheinun¬ gen ſprechen es deutlich aus, daß die Menge von nichts feſter überzeugt iſt, als von der Schlechtheit ihres Verfahrens, von der Unzweck¬ mäßigkeit ihrer Arbeiten. Alle die ſich jagenden, zerarbeitenden, verfolgenden, vernichtenden Schrif¬ ten, beweiſen durch ihr bloßes Daſein, daß we¬ nig für die Erziehung als Wiſſenſchaft feſtſteht. Wer nicht mehr in den Menſchen und dem Weltlauf lieſet, als in den Büchern der Erzie¬ her für Erzieher (die Schulbücherſammlung von Campe und ähnliche ausgenommen), verzieht ſich ſelbſt ohne Erbarmen und wird kindiſch vor der Zeit. Über das wahre Nichts ward von jeher mit Sprechen, Schreiben und Handeln die meiſte Zeit verdorben. „Alles Gute kommt von Oben herab″ aus dem innern Weſen der Menſch¬ heit. Denn die Menſchen laſſen nicht bloß

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/202>, abgerufen am 27.11.2024.