sind Alltagsleute zufrieden. Denn einen ganzen Menschen verstehen wie sich selbst, liebend und überlegend sein eigenstes Wesen aus dem Sein auffassen, bedarf einer Geschwisterseele, ohne die so manches Edelherz verglühn und erkalten muß, und der Pöbel richtert. Pförtner, Kundschafter und Aufpasser -- behelfen sich mit einer Kniff¬ lehre, die sie "Umgang mit Menschen" nennen. Das Stichwort aller derer, welche der Mensch¬ heit Fahne verlassen, heißt: "Man muß die Menschen nehmen wie sie sind, die Welt wie sie ist, es gehn lassen wie's geht, sich nicht kümmern wie's sein sollte." Damit glauben sie dann Al¬ les abgethan, wenn sie erbärmliche Pfiffe aus¬ kramen, oftgebrauchte Ränke empfehlen, und das Übel in der Welt wie eine reichhaltige Fund¬ grube ansehen. Eins nur vergessen sie! Daß die Welt gerade deshalb so arg ist, weil schon so lange Wesen ihres Gelichters, Taugenichte, Thunichtgute, Stöhrenfriede darin gehaust ha¬ ben, von diesem Ungeziefer aber niemand anders will, und auch keinen andern bessern mag.
Was nicht ist wie es sein soll -- taugt nicht. Das zu begreifen gehört nicht hohe Weis¬
ſind Alltagsleute zufrieden. Denn einen ganzen Menſchen verſtehen wie ſich ſelbſt, liebend und überlegend ſein eigenſtes Weſen aus dem Sein auffaſſen, bedarf einer Geſchwiſterſeele, ohne die ſo manches Edelherz verglühn und erkalten muß, und der Pöbel richtert. Pförtner, Kundſchafter und Aufpaſſer — behelfen ſich mit einer Kniff¬ lehre, die ſie „Umgang mit Menſchen“ nennen. Das Stichwort aller derer, welche der Menſch¬ heit Fahne verlaſſen, heißt: „Man muß die Menſchen nehmen wie ſie ſind, die Welt wie ſie iſt, es gehn laſſen wie’s geht, ſich nicht kümmern wie’s ſein ſollte.“ Damit glauben ſie dann Al¬ les abgethan, wenn ſie erbärmliche Pfiffe aus¬ kramen, oftgebrauchte Ränke empfehlen, und das Übel in der Welt wie eine reichhaltige Fund¬ grube anſehen. Eins nur vergeſſen ſie! Daß die Welt gerade deshalb ſo arg iſt, weil ſchon ſo lange Weſen ihres Gelichters, Taugenichte, Thunichtgute, Stöhrenfriede darin gehauſt ha¬ ben, von dieſem Ungeziefer aber niemand anders will, und auch keinen andern beſſern mag.
Was nicht iſt wie es ſein ſoll — taugt nicht. Das zu begreifen gehört nicht hohe Weis¬
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ſind Alltagsleute zufrieden. Denn einen ganzen
Menſchen verſtehen wie ſich ſelbſt, liebend und
überlegend ſein eigenſtes Weſen aus dem Sein
auffaſſen, bedarf einer Geſchwiſterſeele, ohne die
ſo manches Edelherz verglühn und erkalten muß,
und der Pöbel richtert. Pförtner, Kundſchafter
und Aufpaſſer — behelfen ſich mit einer Kniff¬
lehre, die ſie „Umgang mit Menſchen“ nennen.
Das Stichwort aller derer, welche der Menſch¬
heit Fahne verlaſſen, heißt: „Man muß die
Menſchen nehmen wie ſie ſind, die Welt wie ſie
iſt, es gehn laſſen wie’s geht, ſich nicht kümmern
wie’s ſein ſollte.“ Damit glauben ſie dann Al¬
les abgethan, wenn ſie erbärmliche Pfiffe aus¬
kramen, oftgebrauchte Ränke empfehlen, und das
Übel in der Welt wie eine reichhaltige Fund¬
grube anſehen. Eins nur vergeſſen ſie! Daß
die Welt gerade deshalb ſo arg iſt, weil ſchon
ſo lange Weſen ihres Gelichters, Taugenichte,
Thunichtgute, Stöhrenfriede darin gehauſt ha¬
ben, von dieſem Ungeziefer aber niemand anders
will, und auch keinen andern beſſern mag.
Was nicht iſt wie es ſein ſoll — taugt
nicht. Das zu begreifen gehört nicht hohe Weis¬
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/235>, abgerufen am 27.11.2024.
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