gilt ein leerer Schall als genug zur Bezeich¬ nung; hier kann es nie genug, und nicht gut genug ausdrücken. Mögen die krittelnden Wort¬ mäkler, und Sachwalter der fremden Schleich¬ waaren, nicht vergessen: Daß ein Kunstwort im¬ mer ein Wort bleibt, keine Abhandlung der Sache werden darf, sie nur entsprechend andeu¬ ten soll.
Jch möchte eine Lebensgeschichte der Deut¬ schen neugebildeten Wörter, die man erst als Ketzer in Bann und Acht that, späterhin für anrüchig hielt, allmählich in gute Gesellschaft zog, wo sie jetzt tonangebend walten. Haller gebrauchte zuerst Sternwarte; die Zeitungs¬ schreiber während des siebenjährigen Krieges nahmen statt Bagage Gepäcke; Sterne bildete das Englische Wort sentimental, seine Verdeut¬ scher empfindsam; Büsching wählte Erd¬ beschreibung; Campe gab uns das unent¬ behrliche Zerrbild. Auf diesem Wege nur dreist weiter gegangen, in den Uranfängen der Sprache geforscht, in ihren Mundarten sich um¬ gesehen, und sich von Wohllaut und Geschmack leiten lassen! Das kann man unsern Schriftstellern
gilt ein leerer Schall als genug zur Bezeich¬ nung; hier kann es nie genug, und nicht gut genug ausdrücken. Mögen die krittelnden Wort¬ mäkler, und Sachwalter der fremden Schleich¬ waaren, nicht vergeſſen: Daß ein Kunſtwort im¬ mer ein Wort bleibt, keine Abhandlung der Sache werden darf, ſie nur entſprechend andeu¬ ten ſoll.
Jch möchte eine Lebensgeſchichte der Deut¬ ſchen neugebildeten Wörter, die man erſt als Ketzer in Bann und Acht that, ſpäterhin für anrüchig hielt, allmählich in gute Geſellſchaft zog, wo ſie jetzt tonangebend walten. Haller gebrauchte zuerſt Sternwarte; die Zeitungs¬ ſchreiber während des ſiebenjährigen Krieges nahmen ſtatt Bagage Gepäcke; Sterne bildete das Engliſche Wort sentimental, ſeine Verdeut¬ ſcher empfindſam; Büſching wählte Erd¬ beſchreibung; Campe gab uns das unent¬ behrliche Zerrbild. Auf dieſem Wege nur dreiſt weiter gegangen, in den Uranfängen der Sprache geforſcht, in ihren Mundarten ſich um¬ geſehen, und ſich von Wohllaut und Geſchmack leiten laſſen! Das kann man unſern Schriftſtellern
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gilt ein leerer Schall als genug zur Bezeich¬
nung; hier kann es nie genug, und nicht gut
genug ausdrücken. Mögen die krittelnden Wort¬
mäkler, und Sachwalter der fremden Schleich¬
waaren, nicht vergeſſen: Daß ein Kunſtwort im¬
mer ein Wort bleibt, keine Abhandlung der
Sache werden darf, ſie nur entſprechend andeu¬
ten ſoll.
Jch möchte eine Lebensgeſchichte der Deut¬
ſchen neugebildeten Wörter, die man erſt als
Ketzer in Bann und Acht that, ſpäterhin für
anrüchig hielt, allmählich in gute Geſellſchaft
zog, wo ſie jetzt tonangebend walten. Haller
gebrauchte zuerſt Sternwarte; die Zeitungs¬
ſchreiber während des ſiebenjährigen Krieges
nahmen ſtatt Bagage Gepäcke; Sterne bildete
das Engliſche Wort sentimental, ſeine Verdeut¬
ſcher empfindſam; Büſching wählte Erd¬
beſchreibung; Campe gab uns das unent¬
behrliche Zerrbild. Auf dieſem Wege nur
dreiſt weiter gegangen, in den Uranfängen der
Sprache geforſcht, in ihren Mundarten ſich um¬
geſehen, und ſich von Wohllaut und Geſchmack
leiten laſſen! Das kann man unſern Schriftſtellern
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/405>, abgerufen am 25.11.2024.
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