N. S. Nur die Liebe solte in Briefen das Recht haben, Postskripte zu machen: denn nur sie kan niemals ihre Materie erschöpfen. Wenn die Geliebten sich sehen, so spricht alles an ihnen; was die Zunge nicht sagt, sagt das Auge und die küssenden Lippen volenden das, wozu das Auge und die Zunge stum waren -- demungeachtet sprechen sie für5 einander noch zu wenig; wie viel weniger können sie sich sat sprechen, wenn sie schreiben, wo sie mit nichts als der -- Feder sprechen können! ... Eh' ich mer sage, mus ich Ihnen etliche Verse aus dem Spanischen [?] hersezen, die nicht schöner sein könten. / Der Bote eilt; ich mus schliessen. Die Gegenwart eines andern unterbricht bei mir alle10 Empfindung. Morgen wird sie niemand unterbrechen.
[116]60. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Kopie][Leipzig, 14. Sept. 1783]
Ser schwer müsten Sie zu erzürnen sein, wenn Sie es über mein Stilschweigen nicht wären. "Zögert er schon mit dem ersten Brief15 "solange, werden Sie zeither gedacht haben, wie saumselig wird er erst "in den folgenden sein!" Dies lezte dürfen Sie aber nicht besorgen; weil der Zukunft die Ursache felen wird, die mein ieziges Stilschweigen ver- anlaste und entschuldigt. Mein Brief solte nämlich Ihren lezten nicht blos beantworten, sondern auch das enthalten, was er enthielt; meine20 Silhouette, auf die ich Ihnen eben so lange warten lassen müssen. Aber warum lass' ich doch die kalte Entschuldigung vor d[em] wärmern Dank sich vorausdrängen? Für Ihren so schönen Brief nämlich, "der Ihrem Kopfe soviel Ere macht", würd' ich hinzusezen, wenn ich Sie blos schäzte, one Sie zu lieben; aber über die Liebe vergesse ich iedes25 andre Lob Ihres Briefs als dies, daß er Ihrem Herzen Ere macht, daß er im Ausdrukke Ihrer Liebe mir halb die schönen Augen ersezt, in denen ich sie sonst las. Dieser Brief malet Ihr Bild mit richtigern Zügen als der Schattenris, der ihn begleitet und für den ich nur mit meinem Ihnen danken kan. Ich bin schwer zu treffen; aber besser, wie im30 gegenwärtigen Schattenris kan ich nicht getroffen werden und dennoch ist er mir immer nicht ser änlich. In etlichen Wochen schikk' ich Ihnen eine Abbildung, worin ich besser werde getroffen sein -- ich meine mein Buch. Auch die Verfertigung des leztern, zu deren Beschleunigung die
N. S. Nur die Liebe ſolte in Briefen das Recht haben, Poſtſkripte zu machen: denn nur ſie kan niemals ihre Materie erſchöpfen. Wenn die Geliebten ſich ſehen, ſo ſpricht alles an ihnen; was die Zunge nicht ſagt, ſagt das Auge und die küſſenden Lippen volenden das, wozu das Auge und die Zunge ſtum waren — demungeachtet ſprechen ſie für5 einander noch zu wenig; wie viel weniger können ſie ſich ſat ſprechen, wenn ſie ſchreiben, wo ſie mit nichts als der — Feder ſprechen können! … Eh’ ich mer ſage, mus ich Ihnen etliche Verſe aus dem Spaniſchen [?] herſezen, die nicht ſchöner ſein könten. / Der Bote eilt; ich mus ſchlieſſen. Die Gegenwart eines andern unterbricht bei mir alle10 Empfindung. Morgen wird ſie niemand unterbrechen.
[116]60. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Kopie][Leipzig, 14. Sept. 1783]
Ser ſchwer müſten Sie zu erzürnen ſein, wenn Sie es über mein Stilſchweigen nicht wären. „Zögert er ſchon mit dem erſten Brief15 „ſolange, werden Sie zeither gedacht haben, wie ſaumſelig wird er erſt „in den folgenden ſein!“ Dies lezte dürfen Sie aber nicht beſorgen; weil der Zukunft die Urſache felen wird, die mein ieziges Stilſchweigen ver- anlaſte und entſchuldigt. Mein Brief ſolte nämlich Ihren lezten nicht blos beantworten, ſondern auch das enthalten, was er enthielt; meine20 Silhouette, auf die ich Ihnen eben ſo lange warten laſſen müſſen. Aber warum laſſ’ ich doch die kalte Entſchuldigung vor d[em] wärmern Dank ſich vorausdrängen? Für Ihren ſo ſchönen Brief nämlich, „der Ihrem Kopfe ſoviel Ere macht“, würd’ ich hinzuſezen, wenn ich Sie blos ſchäzte, one Sie zu lieben; aber über die Liebe vergeſſe ich iedes25 andre Lob Ihres Briefs als dies, daß er Ihrem Herzen Ere macht, daß er im Ausdrukke Ihrer Liebe mir halb die ſchönen Augen erſezt, in denen ich ſie ſonſt las. Dieſer Brief malet Ihr Bild mit richtigern Zügen als der Schattenris, der ihn begleitet und für den ich nur mit meinem Ihnen danken kan. Ich bin ſchwer zu treffen; aber beſſer, wie im30 gegenwärtigen Schattenris kan ich nicht getroffen werden und dennoch iſt er mir immer nicht ſer änlich. In etlichen Wochen ſchikk’ ich Ihnen eine Abbildung, worin ich beſſer werde getroffen ſein — ich meine mein Buch. Auch die Verfertigung des leztern, zu deren Beſchleunigung die
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Auge und die Zunge ſtum waren — demungeachtet ſprechen ſie für 5
einander noch zu wenig; wie viel weniger können ſie ſich ſat ſprechen,
wenn ſie ſchreiben, wo ſie mit nichts als der — Feder ſprechen
können! … Eh’ ich mer ſage, mus ich Ihnen etliche Verſe aus dem
Spaniſchen [?] herſezen, die nicht ſchöner ſein könten. / Der Bote eilt;
ich mus ſchlieſſen. Die Gegenwart eines andern unterbricht bei mir alle 10
Empfindung. Morgen wird ſie niemand unterbrechen.
60. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Leipzig, 14. Sept. 1783]
Ser ſchwer müſten Sie zu erzürnen ſein, wenn Sie es über mein
Stilſchweigen nicht wären. „Zögert er ſchon mit dem erſten Brief 15
„ſolange, werden Sie zeither gedacht haben, wie ſaumſelig wird er erſt
„in den folgenden ſein!“ Dies lezte dürfen Sie aber nicht beſorgen; weil
der Zukunft die Urſache felen wird, die mein ieziges Stilſchweigen ver-
anlaſte und entſchuldigt. Mein Brief ſolte nämlich Ihren lezten nicht
blos beantworten, ſondern auch das enthalten, was er enthielt; meine 20
Silhouette, auf die ich Ihnen eben ſo lange warten laſſen müſſen.
Aber warum laſſ’ ich doch die kalte Entſchuldigung vor d[em] wärmern
Dank ſich vorausdrängen? Für Ihren ſo ſchönen Brief nämlich, „der
Ihrem Kopfe ſoviel Ere macht“, würd’ ich hinzuſezen, wenn ich Sie
blos ſchäzte, one Sie zu lieben; aber über die Liebe vergeſſe ich iedes 25
andre Lob Ihres Briefs als dies, daß er Ihrem Herzen Ere macht, daß
er im Ausdrukke Ihrer Liebe mir halb die ſchönen Augen erſezt, in
denen ich ſie ſonſt las. Dieſer Brief malet Ihr Bild mit richtigern Zügen
als der Schattenris, der ihn begleitet und für den ich nur mit meinem
Ihnen danken kan. Ich bin ſchwer zu treffen; aber beſſer, wie im 30
gegenwärtigen Schattenris kan ich nicht getroffen werden und dennoch
iſt er mir immer nicht ſer änlich. In etlichen Wochen ſchikk’ ich Ihnen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/131>, abgerufen am 21.11.2024.
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