Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

weniger Hofnung, daß Sie mir soviel auf einmal, Bitten, Fehler und
Entschuldigungen verzeihen werden, in gröster Hochachtung

Ew. Hochehrwürden [Spaltenumbruch] Hof den 16. Nov.
1784.
[Spaltenumbruch] gehors. Diener
J. P. F. Richter
5
82. An Oerthel in Leipzig.
Mein lieber Örthel,

Ich schikke dir hier deinen Mantel und blos die kalten Winde, von
denen ich mir gar keine Vorstellung in Leipzig gemacht hatte, sind
schuld, daß ich dir für ihn, so wie für die Überziehhosen weit mehr10
danken mus als ich anfangs nöthig zu haben glaubte: ohne beide wär'
ich -- um ohne Hyperbel zu reden -- sicher ganz hart gefroren bei den
Meinigen angekommen, stat daß ich iezt nur blos die rechte Hand er-
froren habe. Ich kan kaum mit ihr mehr schreiben, wie du leicht sehen
wirst. Kehret diese Unbeweglichkeit derselben, wie es bei allen erfrornen15
Gliedern gewöhnlich ist, ieden Winter zurük: so bin ich gezwungen, nur
im Sommer Satiren zu machen und dem bekanten Stachelschwein-
menschen in London zu gleichen, der seine Stacheln alzeit im Winter
abwarf und die Umarmung seiner Frau auf seine Mausezeit ver-
schob. -- Meine rothe Weste hat der aufmerksame Herman doch ein-20
zupakken vergessen: vielleicht schliessest du sie mir in deinem Wäsch-
kästgen mit bei. -- Der Zwikkauer Postmeister hielt mich wegen meiner
Hare für einen Griechen und fragte, ob ich des Handels wegen nach
Plauen gienge. -- Ich hörte einen Bauern zu einem andern, der
unter der Oberherschaft seines Weibes stand, sagen: du hast an ihr25
deinen Man gefunden. Ich halte das beinahe für ein Bonmot. --
Nichts kan wol mehr ein schönes Gesicht verschönern, als eine schmale
Binde, die eine Verlezung anzeigt, quer über die Stirn gebunden: ich
sah das an einem schönen Mädgen unterweges. Man solte sich da-
durch fast versuchen lassen, seiner Frau von Zeit zu Zeit geschikt30
einige Stirnwunden beizubringen, um sie in die Nothwendigkeit zu
sezen, sich mit dieser Bandage zu zieren. --

[139]Ich werde dir bald mein Manuskript zuschikken, damit du es an
Reiche übergiebst. -- Meine Hand, die sich immer mehr verschlimmert
und die Post, die abgehen wil, verbieten mir, dieses Papier aus einem35

weniger Hofnung, daß Sie mir ſoviel auf einmal, Bitten, Fehler und
Entſchuldigungen verzeihen werden, in gröſter Hochachtung

Ew. Hochehrwürden [Spaltenumbruch] Hof den 16. Nov.
1784.
[Spaltenumbruch] gehorſ. Diener
J. P. F. Richter
5
82. An Oerthel in Leipzig.
Mein lieber Örthel,

Ich ſchikke dir hier deinen Mantel und blos die kalten Winde, von
denen ich mir gar keine Vorſtellung in Leipzig gemacht hatte, ſind
ſchuld, daß ich dir für ihn, ſo wie für die Überziehhoſen weit mehr10
danken mus als ich anfangs nöthig zu haben glaubte: ohne beide wär’
ich — um ohne Hyperbel zu reden — ſicher ganz hart gefroren bei den
Meinigen angekommen, ſtat daß ich iezt nur blos die rechte Hand er-
froren habe. Ich kan kaum mit ihr mehr ſchreiben, wie du leicht ſehen
wirſt. Kehret dieſe Unbeweglichkeit derſelben, wie es bei allen erfrornen15
Gliedern gewöhnlich iſt, ieden Winter zurük: ſo bin ich gezwungen, nur
im Sommer Satiren zu machen und dem bekanten Stachelſchwein-
menſchen in London zu gleichen, der ſeine Stacheln alzeit im Winter
abwarf und die Umarmung ſeiner Frau auf ſeine Mauſezeit ver-
ſchob. — Meine rothe Weſte hat der aufmerkſame Herman doch ein-20
zupakken vergeſſen: vielleicht ſchlieſſeſt du ſie mir in deinem Wäſch-
käſtgen mit bei. — Der Zwikkauer Poſtmeiſter hielt mich wegen meiner
Hare für einen Griechen und fragte, ob ich des Handels wegen nach
Plauen gienge. — Ich hörte einen Bauern zu einem andern, der
unter der Oberherſchaft ſeines Weibes ſtand, ſagen: du haſt an ihr25
deinen Man gefunden. Ich halte das beinahe für ein Bonmot. —
Nichts kan wol mehr ein ſchönes Geſicht verſchönern, als eine ſchmale
Binde, die eine Verlezung anzeigt, quer über die Stirn gebunden: ich
ſah das an einem ſchönen Mädgen unterweges. Man ſolte ſich da-
durch faſt verſuchen laſſen, ſeiner Frau von Zeit zu Zeit geſchikt30
einige Stirnwunden beizubringen, um ſie in die Nothwendigkeit zu
ſezen, ſich mit dieſer Bandage zu zieren. —

[139]Ich werde dir bald mein Manuſkript zuſchikken, damit du es an
Reiche übergiebſt. — Meine Hand, die ſich immer mehr verſchlimmert
und die Poſt, die abgehen wil, verbieten mir, dieſes Papier aus einem35

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="130"/>
weniger Hofnung, daß Sie mir &#x017F;oviel auf einmal, Bitten, Fehler und<lb/>
Ent&#x017F;chuldigungen verzeihen werden, in grö&#x017F;ter Hochachtung</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#et">Ew. Hochehrwürden</hi> <cb/>
            <date> <hi rendition="#left">Hof den 16. Nov.<lb/>
1784.</hi> </date>
            <cb/> <hi rendition="#right">gehor&#x017F;. Diener<lb/>
J. P. F. Richter</hi> <lb n="5"/>
          </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>82. An <hi rendition="#g">Oerthel in Leipzig.</hi></head><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Mein lieber Örthel,</hi> </salute>
        </opener><lb/>
        <p>Ich &#x017F;chikke dir hier deinen Mantel und blos die kalten Winde, von<lb/>
denen ich mir gar keine Vor&#x017F;tellung in Leipzig gemacht hatte, &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;chuld, daß ich dir für ihn, &#x017F;o wie für die Überziehho&#x017F;en weit mehr<lb n="10"/>
danken mus als ich anfangs nöthig zu haben glaubte: ohne beide wär&#x2019;<lb/>
ich &#x2014; um ohne Hyperbel zu reden &#x2014; &#x017F;icher ganz hart gefroren bei den<lb/>
Meinigen angekommen, &#x017F;tat daß ich iezt nur blos die rechte Hand er-<lb/>
froren habe. Ich kan kaum mit ihr mehr &#x017F;chreiben, wie du leicht &#x017F;ehen<lb/>
wir&#x017F;t. Kehret die&#x017F;e Unbeweglichkeit der&#x017F;elben, wie es bei allen erfrornen<lb n="15"/>
Gliedern gewöhnlich i&#x017F;t, ieden Winter zurük: &#x017F;o bin ich gezwungen, nur<lb/>
im Sommer Satiren zu machen und dem bekanten Stachel&#x017F;chwein-<lb/>
men&#x017F;chen in London zu gleichen, der &#x017F;eine Stacheln alzeit im Winter<lb/>
abwarf und die Umarmung &#x017F;einer Frau auf &#x017F;eine Mau&#x017F;ezeit ver-<lb/>
&#x017F;chob. &#x2014; Meine rothe We&#x017F;te hat der aufmerk&#x017F;ame Herman doch ein-<lb n="20"/>
zupakken verge&#x017F;&#x017F;en: vielleicht &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t du &#x017F;ie mir in deinem Wä&#x017F;ch-<lb/>&#x017F;tgen mit bei. &#x2014; Der Zwikkauer Po&#x017F;tmei&#x017F;ter hielt mich wegen meiner<lb/>
Hare für einen Griechen und fragte, ob ich des Handels wegen nach<lb/>
Plauen gienge. &#x2014; Ich hörte einen Bauern zu einem andern, der<lb/>
unter der Oberher&#x017F;chaft &#x017F;eines Weibes &#x017F;tand, &#x017F;agen: du ha&#x017F;t an ihr<lb n="25"/>
deinen <hi rendition="#g">Man</hi> gefunden. Ich halte das beinahe für ein Bonmot. &#x2014;<lb/>
Nichts kan wol mehr ein &#x017F;chönes Ge&#x017F;icht ver&#x017F;chönern, als eine &#x017F;chmale<lb/>
Binde, die eine Verlezung anzeigt, <hi rendition="#g">quer</hi> über die Stirn gebunden: ich<lb/>
&#x017F;ah das an einem &#x017F;chönen Mädgen unterweges. Man &#x017F;olte &#x017F;ich da-<lb/>
durch fa&#x017F;t ver&#x017F;uchen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;einer Frau von Zeit zu Zeit ge&#x017F;chikt<lb n="30"/>
einige Stirnwunden beizubringen, um &#x017F;ie in die Nothwendigkeit zu<lb/>
&#x017F;ezen, &#x017F;ich mit die&#x017F;er Bandage zu zieren. &#x2014;</p><lb/>
        <p><note place="left"><ref target="1922_Bd#_139">[139]</ref></note>Ich werde dir bald mein Manu&#x017F;kript zu&#x017F;chikken, damit du es an<lb/>
Reiche übergieb&#x017F;t. &#x2014; Meine Hand, die &#x017F;ich immer mehr ver&#x017F;chlimmert<lb/>
und die Po&#x017F;t, die abgehen wil, verbieten mir, die&#x017F;es Papier aus einem<lb n="35"/><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0154] weniger Hofnung, daß Sie mir ſoviel auf einmal, Bitten, Fehler und Entſchuldigungen verzeihen werden, in gröſter Hochachtung Ew. Hochehrwürden Hof den 16. Nov. 1784. gehorſ. Diener J. P. F. Richter 5 82. An Oerthel in Leipzig. Mein lieber Örthel, Ich ſchikke dir hier deinen Mantel und blos die kalten Winde, von denen ich mir gar keine Vorſtellung in Leipzig gemacht hatte, ſind ſchuld, daß ich dir für ihn, ſo wie für die Überziehhoſen weit mehr 10 danken mus als ich anfangs nöthig zu haben glaubte: ohne beide wär’ ich — um ohne Hyperbel zu reden — ſicher ganz hart gefroren bei den Meinigen angekommen, ſtat daß ich iezt nur blos die rechte Hand er- froren habe. Ich kan kaum mit ihr mehr ſchreiben, wie du leicht ſehen wirſt. Kehret dieſe Unbeweglichkeit derſelben, wie es bei allen erfrornen 15 Gliedern gewöhnlich iſt, ieden Winter zurük: ſo bin ich gezwungen, nur im Sommer Satiren zu machen und dem bekanten Stachelſchwein- menſchen in London zu gleichen, der ſeine Stacheln alzeit im Winter abwarf und die Umarmung ſeiner Frau auf ſeine Mauſezeit ver- ſchob. — Meine rothe Weſte hat der aufmerkſame Herman doch ein- 20 zupakken vergeſſen: vielleicht ſchlieſſeſt du ſie mir in deinem Wäſch- käſtgen mit bei. — Der Zwikkauer Poſtmeiſter hielt mich wegen meiner Hare für einen Griechen und fragte, ob ich des Handels wegen nach Plauen gienge. — Ich hörte einen Bauern zu einem andern, der unter der Oberherſchaft ſeines Weibes ſtand, ſagen: du haſt an ihr 25 deinen Man gefunden. Ich halte das beinahe für ein Bonmot. — Nichts kan wol mehr ein ſchönes Geſicht verſchönern, als eine ſchmale Binde, die eine Verlezung anzeigt, quer über die Stirn gebunden: ich ſah das an einem ſchönen Mädgen unterweges. Man ſolte ſich da- durch faſt verſuchen laſſen, ſeiner Frau von Zeit zu Zeit geſchikt 30 einige Stirnwunden beizubringen, um ſie in die Nothwendigkeit zu ſezen, ſich mit dieſer Bandage zu zieren. — Ich werde dir bald mein Manuſkript zuſchikken, damit du es an Reiche übergiebſt. — Meine Hand, die ſich immer mehr verſchlimmert und die Poſt, die abgehen wil, verbieten mir, dieſes Papier aus einem 35 [139]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/154
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/154>, abgerufen am 24.11.2024.