Ich habe mir vorgenommen, wenn du tod bist und ich nicht, deine Briefe an mich zum Drukke zu befödern: ich dürfte sie sogar, fals ich5 keinen Verleger dazu fände, auf meine eigne Kosten drukken lassen. Eine kleine Vorrede würd' ich ihnen vorausschikken, die ich lieber iezt ausfertigen wil, eh' du noch tod bist; denn wenn du schon hin wärest ins entfernte Land, so glaub' ich beinahe nicht, daß ich die Vorrede noch machen könte: mein Herz würd' es meinem Kopfe nicht zulassen, und10 ich gienge dan den ganzen Tag blos mit dem Gefühle des Ausspruchs herum "es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei". Nur der lebt einsam, der ohne Freund lebt; und am allereinsamsten ist er, wenn er dabei etwan noch gar unter recht vielen Menschen ist. Aber die Vor- rede, auf die du mit Recht so begierig bist:15
"Ich habe die Ehre, hier dem Leser ein Päkgen Briefe mit einiger "Grazie darzureichen, die aber nicht an ihn, sondern an mich ge- "schrieben sind: was meine Antworten darauf anlangt, so sind sie schon[152] "gröstentheils gedrukt und ich habe sie stükweise in meine satirischen "Aufsäze verschlagen mit einfliessen lassen: nichts gehöret also von20 "diesem Büchelgen mir als etwan die Vorrede. Es ist eine bekante "Regel, daß eine Vorrede solche Dinge enthalten mus, die sie nach "und nach volmachen; und mich dünkt, der meinigen wird man den "Vorwurf der unfigürlichen Leerheit wol nicht machen.
"Mein Freund starb an der Hypochondrie, die er auffieng, weil er25 "das Studium der Rechts- und Unrechtsgelehrsamkeit mit zuviel "Allotrien verband; und vielleicht auch, weil er einem gutgemeinten "Rath von mir ein wenig zuviel Gehör gegeben. Ich rieth ihm näm- "lich, als wir beide uns vor dem Tische, wo Bücher aufgetragen "wurden, niedersezten, seine[r] Sele recht viele Speise zu geben, ihr30 "nichts an den Fastenspeisen (der Jurisprudenz) abzubrechen und "an der Tafel wenigstens bis um 12 Uhr zu Nachts sizen zu bleiben, "wie alle Vornehme thun. Zum Unglük für seine Gesundheit wilfahrte "er meinem Rathe, den ich seither oft bereuet. Ich selbst habe mich "durch diese geistige Schwelgerei zu Grunde gerichtet und ich mus35 "dem Publikum sagen, daß ich zwar einer der scharfsinnigsten, aber "auch leider! einer der kränklichsten Autoren bin.
90. An Oerthel in Leipzig.
Hof den 1. Februar 1785.
Mein Örthel,
Ich habe mir vorgenommen, wenn du tod biſt und ich nicht, deine Briefe an mich zum Drukke zu befödern: ich dürfte ſie ſogar, fals ich5 keinen Verleger dazu fände, auf meine eigne Koſten drukken laſſen. Eine kleine Vorrede würd’ ich ihnen vorausſchikken, die ich lieber iezt ausfertigen wil, eh’ du noch tod biſt; denn wenn du ſchon hin wäreſt ins entfernte Land, ſo glaub’ ich beinahe nicht, daß ich die Vorrede noch machen könte: mein Herz würd’ es meinem Kopfe nicht zulaſſen, und10 ich gienge dan den ganzen Tag blos mit dem Gefühle des Ausſpruchs herum „es iſt nicht gut, daß der Menſch alleine ſei“. Nur der lebt einſam, der ohne Freund lebt; und am allereinſamſten iſt er, wenn er dabei etwan noch gar unter recht vielen Menſchen iſt. Aber die Vor- rede, auf die du mit Recht ſo begierig biſt:15
„Ich habe die Ehre, hier dem Leſer ein Päkgen Briefe mit einiger „Grazie darzureichen, die aber nicht an ihn, ſondern an mich ge- „ſchrieben ſind: was meine Antworten darauf anlangt, ſo ſind ſie ſchon[152] „gröſtentheils gedrukt und ich habe ſie ſtükweiſe in meine ſatiriſchen „Aufſäze verſchlagen mit einflieſſen laſſen: nichts gehöret alſo von20 „dieſem Büchelgen mir als etwan die Vorrede. Es iſt eine bekante „Regel, daß eine Vorrede ſolche Dinge enthalten mus, die ſie nach „und nach volmachen; und mich dünkt, der meinigen wird man den „Vorwurf der unfigürlichen Leerheit wol nicht machen.
„Mein Freund ſtarb an der Hypochondrie, die er auffieng, weil er25 „das Studium der Rechts- und Unrechtsgelehrſamkeit mit zuviel „Allotrien verband; und vielleicht auch, weil er einem gutgemeinten „Rath von mir ein wenig zuviel Gehör gegeben. Ich rieth ihm näm- „lich, als wir beide uns vor dem Tiſche, wo Bücher aufgetragen „wurden, niederſezten, ſeine[r] Sele recht viele Speiſe zu geben, ihr30 „nichts an den Faſtenſpeiſen (der Jurisprudenz) abzubrechen und „an der Tafel wenigſtens bis um 12 Uhr zu Nachts ſizen zu bleiben, „wie alle Vornehme thun. Zum Unglük für ſeine Geſundheit wilfahrte „er meinem Rathe, den ich ſeither oft bereuet. Ich ſelbſt habe mich „durch dieſe geiſtige Schwelgerei zu Grunde gerichtet und ich mus35 „dem Publikum ſagen, daß ich zwar einer der ſcharfſinnigſten, aber „auch leider! einer der kränklichſten Autoren bin.
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90. An Oerthel in Leipzig.
Hof den 1. Februar 1785.
Mein Örthel,
Ich habe mir vorgenommen, wenn du tod biſt und ich nicht, deine
Briefe an mich zum Drukke zu befödern: ich dürfte ſie ſogar, fals ich 5
keinen Verleger dazu fände, auf meine eigne Koſten drukken laſſen.
Eine kleine Vorrede würd’ ich ihnen vorausſchikken, die ich lieber iezt
ausfertigen wil, eh’ du noch tod biſt; denn wenn du ſchon hin wäreſt ins
entfernte Land, ſo glaub’ ich beinahe nicht, daß ich die Vorrede noch
machen könte: mein Herz würd’ es meinem Kopfe nicht zulaſſen, und 10
ich gienge dan den ganzen Tag blos mit dem Gefühle des Ausſpruchs
herum „es iſt nicht gut, daß der Menſch alleine ſei“. Nur der lebt
einſam, der ohne Freund lebt; und am allereinſamſten iſt er, wenn er
dabei etwan noch gar unter recht vielen Menſchen iſt. Aber die Vor-
rede, auf die du mit Recht ſo begierig biſt: 15
„Ich habe die Ehre, hier dem Leſer ein Päkgen Briefe mit einiger
„Grazie darzureichen, die aber nicht an ihn, ſondern an mich ge-
„ſchrieben ſind: was meine Antworten darauf anlangt, ſo ſind ſie ſchon
„gröſtentheils gedrukt und ich habe ſie ſtükweiſe in meine ſatiriſchen
„Aufſäze verſchlagen mit einflieſſen laſſen: nichts gehöret alſo von 20
„dieſem Büchelgen mir als etwan die Vorrede. Es iſt eine bekante
„Regel, daß eine Vorrede ſolche Dinge enthalten mus, die ſie nach
„und nach volmachen; und mich dünkt, der meinigen wird man den
„Vorwurf der unfigürlichen Leerheit wol nicht machen.
[152]
„Mein Freund ſtarb an der Hypochondrie, die er auffieng, weil er 25
„das Studium der Rechts- und Unrechtsgelehrſamkeit mit zuviel
„Allotrien verband; und vielleicht auch, weil er einem gutgemeinten
„Rath von mir ein wenig zuviel Gehör gegeben. Ich rieth ihm näm-
„lich, als wir beide uns vor dem Tiſche, wo Bücher aufgetragen
„wurden, niederſezten, ſeine[r] Sele recht viele Speiſe zu geben, ihr 30
„nichts an den Faſtenſpeiſen (der Jurisprudenz) abzubrechen und
„an der Tafel wenigſtens bis um 12 Uhr zu Nachts ſizen zu bleiben,
„wie alle Vornehme thun. Zum Unglük für ſeine Geſundheit wilfahrte
„er meinem Rathe, den ich ſeither oft bereuet. Ich ſelbſt habe mich
„durch dieſe geiſtige Schwelgerei zu Grunde gerichtet und ich mus 35
„dem Publikum ſagen, daß ich zwar einer der ſcharfſinnigſten, aber
„auch leider! einer der kränklichſten Autoren bin.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/167>, abgerufen am 18.12.2024.
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