bescheiden ist und gute Erinnerungen macht, an der aber immer das zu tadeln bleiben wird, daß sie nicht so dik ist wie das Buch, das sie berichtigt und lobt.
Von Kant, von seinen Büchern und von seiner Existenz weis hier zu Lande niemand etwas; indessen würde der Schlus, daß man daher5 in Hof wol wenig lesen und denken müsse, nicht sehr richtig sein: viel- mehr kan man den Kommerzienrath Maier zum Zeugen aufstellen, daß die "Reisen eines Franzosen" hierum algemein gelesen und von [157]Personen beiderlei Geschlechts glüklich beurtheilet worden sind. Ich bin heute zwar sehr schläfrig und mat; aber eine Anekdote, die wörtlich10 wahr ist, wil ich dir doch erzählen.
Ein Edelmängen fuhr vor dem Laden Maiers vorbei und, um den iungen Damen, die er unterhielt und denen er den Himmel ihrer Kutsche zu einem wahren Himmel (oder auch Bethimmel) machte, zu zeigen, daß er und die Litteratur sich einander gar wol kenten,15 sprang er aus der Kutsche in den Laden hinein. Er begehrte vom Ladeniungen ein gutes, schönes neues Buch; er nante aber keines. Dieser hinterbrachte es dem Maier, daß drunten ein Herr wäre, der ein schönes gutes etc. Buch verlange. Bei dem wiederholte der Edelman sein Begehren. Die Vorstellungen des Maiers, daß unmöglich der20 Krämer den Käufern sagen könne, was für Ware sie haben wolten, schlugen endlich wirklich an und der Edelman gebar nach einigem Nachdenken die Worte: "Nun so wolle er sich Lavaters Physio- gnomie*) ausgebeten haben". Auf die leicht zu errathende Antwort des Buchhändlers versezte er: "das wäre schlecht, ein so wichtiges25 "Werk nicht im Laden zu haben; er wolle es sich aber verschreiben "lassen, wenn das Buch auch etwas über ein Paar Gulden machte" etc. Der Edelman kaufte für keinen Dreier ab.
Neulich kauften in meiner Gegenwart zwo Edeldamen (die eine schien iung und unbemant zu sein) ungefähr für 6 Bazen gedrukte30 Neuiahrswünsche. Da es nicht mehr als 6 Bazen waren: so brachen sie auch nur einige Kreuzer ab. Der Diener schüzte indessen vor: "das "gienge nicht wol an: sein Herr hätte sie selber nur in Kommission". Mich freuete hier die wizige und scherzhafte Wendung, womit die ältere sich aus dieser Klippe ihres Geizes und ihrer Ehre zog. "Ach!35
*) Kinder und Narren reden die Wahrheit.
beſcheiden iſt und gute Erinnerungen macht, an der aber immer das zu tadeln bleiben wird, daß ſie nicht ſo dik iſt wie das Buch, das ſie berichtigt und lobt.
Von Kant, von ſeinen Büchern und von ſeiner Exiſtenz weis hier zu Lande niemand etwas; indeſſen würde der Schlus, daß man daher5 in Hof wol wenig leſen und denken müſſe, nicht ſehr richtig ſein: viel- mehr kan man den Kommerzienrath Maier zum Zeugen aufſtellen, daß die „Reiſen eines Franzoſen“ hierum algemein geleſen und von [157]Perſonen beiderlei Geſchlechts glüklich beurtheilet worden ſind. Ich bin heute zwar ſehr ſchläfrig und mat; aber eine Anekdote, die wörtlich10 wahr iſt, wil ich dir doch erzählen.
Ein Edelmängen fuhr vor dem Laden Maiers vorbei und, um den iungen Damen, die er unterhielt und denen er den Himmel ihrer Kutſche zu einem wahren Himmel (oder auch Bethimmel) machte, zu zeigen, daß er und die Litteratur ſich einander gar wol kenten,15 ſprang er aus der Kutſche in den Laden hinein. Er begehrte vom Ladeniungen ein gutes, ſchönes neues Buch; er nante aber keines. Dieſer hinterbrachte es dem Maier, daß drunten ein Herr wäre, der ein ſchönes gutes ꝛc. Buch verlange. Bei dem wiederholte der Edelman ſein Begehren. Die Vorſtellungen des Maiers, daß unmöglich der20 Krämer den Käufern ſagen könne, was für Ware ſie haben wolten, ſchlugen endlich wirklich an und der Edelman gebar nach einigem Nachdenken die Worte: „Nun ſo wolle er ſich Lavaters Phyſio- gnomie*) ausgebeten haben“. Auf die leicht zu errathende Antwort des Buchhändlers verſezte er: „das wäre ſchlecht, ein ſo wichtiges25 „Werk nicht im Laden zu haben; er wolle es ſich aber verſchreiben „laſſen, wenn das Buch auch etwas über ein Paar Gulden machte“ ꝛc. Der Edelman kaufte für keinen Dreier ab.
Neulich kauften in meiner Gegenwart zwo Edeldamen (die eine ſchien iung und unbemant zu ſein) ungefähr für 6 Bazen gedrukte30 Neuiahrswünſche. Da es nicht mehr als 6 Bazen waren: ſo brachen ſie auch nur einige Kreuzer ab. Der Diener ſchüzte indeſſen vor: „das „gienge nicht wol an: ſein Herr hätte ſie ſelber nur in Kommiſſion“. Mich freuete hier die wizige und ſcherzhafte Wendung, womit die ältere ſich aus dieſer Klippe ihres Geizes und ihrer Ehre zog. „Ach!35
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beſcheiden iſt und gute Erinnerungen macht, an der aber immer das
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Von Kant, von ſeinen Büchern und von ſeiner Exiſtenz weis hier
zu Lande niemand etwas; indeſſen würde der Schlus, daß man daher 5
in Hof wol wenig leſen und denken müſſe, nicht ſehr richtig ſein: viel-
mehr kan man den Kommerzienrath Maier zum Zeugen aufſtellen,
daß die „Reiſen eines Franzoſen“ hierum algemein geleſen und von
Perſonen beiderlei Geſchlechts glüklich beurtheilet worden ſind. Ich
bin heute zwar ſehr ſchläfrig und mat; aber eine Anekdote, die wörtlich 10
wahr iſt, wil ich dir doch erzählen.
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Ein Edelmängen fuhr vor dem Laden Maiers vorbei und, um
den iungen Damen, die er unterhielt und denen er den Himmel ihrer
Kutſche zu einem wahren Himmel (oder auch Bethimmel) machte,
zu zeigen, daß er und die Litteratur ſich einander gar wol kenten, 15
ſprang er aus der Kutſche in den Laden hinein. Er begehrte vom
Ladeniungen ein gutes, ſchönes neues Buch; er nante aber keines.
Dieſer hinterbrachte es dem Maier, daß drunten ein Herr wäre, der
ein ſchönes gutes ꝛc. Buch verlange. Bei dem wiederholte der Edelman
ſein Begehren. Die Vorſtellungen des Maiers, daß unmöglich der 20
Krämer den Käufern ſagen könne, was für Ware ſie haben wolten,
ſchlugen endlich wirklich an und der Edelman gebar nach einigem
Nachdenken die Worte: „Nun ſo wolle er ſich Lavaters Phyſio-
gnomie *) ausgebeten haben“. Auf die leicht zu errathende Antwort
des Buchhändlers verſezte er: „das wäre ſchlecht, ein ſo wichtiges 25
„Werk nicht im Laden zu haben; er wolle es ſich aber verſchreiben
„laſſen, wenn das Buch auch etwas über ein Paar Gulden machte“ ꝛc.
Der Edelman kaufte für keinen Dreier ab.
Neulich kauften in meiner Gegenwart zwo Edeldamen (die eine
ſchien iung und unbemant zu ſein) ungefähr für 6 Bazen gedrukte 30
Neuiahrswünſche. Da es nicht mehr als 6 Bazen waren: ſo brachen
ſie auch nur einige Kreuzer ab. Der Diener ſchüzte indeſſen vor: „das
„gienge nicht wol an: ſein Herr hätte ſie ſelber nur in Kommiſſion“.
Mich freuete hier die wizige und ſcherzhafte Wendung, womit die
ältere ſich aus dieſer Klippe ihres Geizes und ihrer Ehre zog. „Ach! 35
*) Kinder und Narren reden die Wahrheit.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/172>, abgerufen am 21.11.2024.
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