Ich bin, wie du siehest, nicht in Hof: gleichwol mach' ich mir diese Gelegenheit Erlaubnis zum Stilschweigen nicht zu Nuze.5
Deinem Einfal: "vielleicht wäre (durch deine Gesundheit) einem "Bewohner des Sirius Abbruch geschehen" seze ich eine Fabel ent- gegen, deren Ausbildung du mir aber erlassen wirst. Schwerlich kante iene Purpurschnekke, von der ich iezt erzählen wil, die Menschen, die ihr viel zu gros vorkommen musten, um ihr nur Riesen zu scheinen und10 die in ihren Augen Welten sein musten, die sich nicht bewegen: die Purpurschnekke konte mithin ihre Verbindung mit dem Menschen so wenig fassen als ich oder du die unsrige mit dem Sirius. Indessen nahm einmal ein Römer einen Stein und erschmis die Schnekke. Eine philosophische Schnekke lies einige Trostgründe für unsere Schnekke15 fallen, die mit den schmerzlichsten Empfindungen rang und suchte sie durch die Vorstellung des wolthätigen Einflusses, den ihr Leiden auf das Ganze haben könte, geschikt zu beruhigen. "O! rief das leidende Ge- "schöpf mit einem Spotte aus, den man dem Schmerze gern, aber "schwerlich dem Voltaire verzeiht, vielleicht wird durch den Untergang20 "einer Schnekke wol gar eine Welt (sie meinte einen Menschen) ihrem "Untergange wieder abgeiagt." Und das war auch wahr. Denn der Römer hatte sie getödet, um ihr Blut in das Schreibzeug seines Kaisers einzuliefern. Dieser unterschrieb damit (mich dünkt, das Blut, womit noch iezt Friedenstraktaten unterzeichnet werden, ist wol nicht25 von Schnekken) eine Schrift, deren rothe oder kaiserliche Unter- zeichnung einem angeblichen Missethäter das Leben errettete. -- "Aber "die Vernunftmässigkeit dieser schmerzlichen Verbindung und Ver- "kettung, gegen die das offenbare Unvermögen unsers Blikkes, sie "nach allen Linien oder auch bis ans Ende einer einzigen fortzuver-30 "folgen, noch kein Einwurf sein mag, auch zugestanden: was ist das "für mich für ein Trost, wenn ich unglüklich bin, damit es andere "nicht sind? Höchstens kan er die beruhigen, die von meinen Schmerzen[165] "diesen Nuzen ziehen und deren Glük ich mit meinem Unglük erkaufe!" Wer über die Nothwendigkeit, daß seine Leiden die Bedingung eines35 fremden Wolseins sind, unwillig ist: der mus auch die übrigen Auf-
96. An Oerthel in Leipzig.
Schwarzenbach an der Saal den 9. März. 1785.
Lieber Örthel
Ich bin, wie du ſieheſt, nicht in Hof: gleichwol mach’ ich mir dieſe Gelegenheit 〈Erlaubnis〉 zum Stilſchweigen nicht zu Nuze.5
Deinem Einfal: „vielleicht wäre (durch deine Geſundheit) einem „Bewohner des Sirius Abbruch geſchehen“ ſeze ich eine Fabel ent- gegen, deren Ausbildung du mir aber erlaſſen wirſt. Schwerlich kante iene Purpurſchnekke, von der ich iezt erzählen wil, die Menſchen, die ihr viel zu gros vorkommen muſten, um ihr nur Rieſen zu ſcheinen und10 die in ihren Augen Welten ſein muſten, die ſich nicht bewegen: die Purpurſchnekke konte mithin ihre Verbindung mit dem Menſchen ſo wenig faſſen als ich oder du die unſrige mit dem Sirius. Indeſſen nahm einmal ein Römer einen Stein und erſchmis die Schnekke. Eine philoſophiſche Schnekke lies einige Troſtgründe für unſere Schnekke15 fallen, die mit den ſchmerzlichſten Empfindungen rang und ſuchte ſie durch die Vorſtellung des wolthätigen Einfluſſes, den ihr Leiden auf das Ganze haben könte, geſchikt zu beruhigen. „O! rief das leidende Ge- „ſchöpf mit einem Spotte aus, den man dem Schmerze gern, aber „ſchwerlich dem Voltaire verzeiht, vielleicht wird durch den Untergang20 „einer Schnekke wol gar eine Welt (ſie meinte einen Menſchen) ihrem „Untergange wieder abgeiagt.“ Und das war auch wahr. Denn der Römer hatte ſie getödet, um ihr Blut in das Schreibzeug ſeines Kaiſers einzuliefern. Dieſer unterſchrieb damit (mich dünkt, das Blut, womit noch iezt Friedenstraktaten unterzeichnet werden, iſt wol nicht25 von Schnekken) eine Schrift, deren rothe oder kaiſerliche Unter- zeichnung einem angeblichen Miſſethäter das Leben errettete. — „Aber „die Vernunftmäſſigkeit dieſer ſchmerzlichen Verbindung und Ver- „kettung, gegen die das offenbare Unvermögen unſers Blikkes, ſie „nach allen Linien oder auch bis ans Ende einer einzigen fortzuver-30 „folgen, noch kein Einwurf ſein mag, auch zugeſtanden: was iſt das „für mich für ein Troſt, wenn ich unglüklich bin, damit es andere „nicht ſind? Höchſtens kan er die beruhigen, die von meinen Schmerzen[165] „dieſen Nuzen ziehen und deren Glük ich mit meinem Unglük erkaufe!“ Wer über die Nothwendigkeit, daß ſeine Leiden die Bedingung eines35 fremden Wolſeins ſind, unwillig iſt: der mus auch die übrigen Auf-
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96. An Oerthel in Leipzig.
Schwarzenbach an der Saal den 9. März. 1785.
Lieber Örthel
Ich bin, wie du ſieheſt, nicht in Hof: gleichwol mach’ ich mir dieſe
Gelegenheit 〈Erlaubnis〉 zum Stilſchweigen nicht zu Nuze. 5
Deinem Einfal: „vielleicht wäre (durch deine Geſundheit) einem
„Bewohner des Sirius Abbruch geſchehen“ ſeze ich eine Fabel ent-
gegen, deren Ausbildung du mir aber erlaſſen wirſt. Schwerlich kante
iene Purpurſchnekke, von der ich iezt erzählen wil, die Menſchen, die
ihr viel zu gros vorkommen muſten, um ihr nur Rieſen zu ſcheinen und 10
die in ihren Augen Welten ſein muſten, die ſich nicht bewegen: die
Purpurſchnekke konte mithin ihre Verbindung mit dem Menſchen ſo
wenig faſſen als ich oder du die unſrige mit dem Sirius. Indeſſen
nahm einmal ein Römer einen Stein und erſchmis die Schnekke. Eine
philoſophiſche Schnekke lies einige Troſtgründe für unſere Schnekke 15
fallen, die mit den ſchmerzlichſten Empfindungen rang und ſuchte ſie
durch die Vorſtellung des wolthätigen Einfluſſes, den ihr Leiden auf das
Ganze haben könte, geſchikt zu beruhigen. „O! rief das leidende Ge-
„ſchöpf mit einem Spotte aus, den man dem Schmerze gern, aber
„ſchwerlich dem Voltaire verzeiht, vielleicht wird durch den Untergang 20
„einer Schnekke wol gar eine Welt (ſie meinte einen Menſchen) ihrem
„Untergange wieder abgeiagt.“ Und das war auch wahr. Denn der
Römer hatte ſie getödet, um ihr Blut in das Schreibzeug ſeines
Kaiſers einzuliefern. Dieſer unterſchrieb damit (mich dünkt, das Blut,
womit noch iezt Friedenstraktaten unterzeichnet werden, iſt wol nicht 25
von Schnekken) eine Schrift, deren rothe oder kaiſerliche Unter-
zeichnung einem angeblichen Miſſethäter das Leben errettete. — „Aber
„die Vernunftmäſſigkeit dieſer ſchmerzlichen Verbindung und Ver-
„kettung, gegen die das offenbare Unvermögen unſers Blikkes, ſie
„nach allen Linien oder auch bis ans Ende einer einzigen fortzuver- 30
„folgen, noch kein Einwurf ſein mag, auch zugeſtanden: was iſt das
„für mich für ein Troſt, wenn ich unglüklich bin, damit es andere
„nicht ſind? Höchſtens kan er die beruhigen, die von meinen Schmerzen
„dieſen Nuzen ziehen und deren Glük ich mit meinem Unglük erkaufe!“
Wer über die Nothwendigkeit, daß ſeine Leiden die Bedingung eines 35
fremden Wolſeins ſind, unwillig iſt: der mus auch die übrigen Auf-
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/179>, abgerufen am 18.12.2024.
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