opferungen für das Vergnügen des andern scheuen und misbilligen und es mus ihm unbegreiflich sein, wie einer Zeit, Kräfte und Gesund- heit blos dem Vortheile eines fremden Ichs geloben könne: indessen ist diese ganze Aufopferung sogar noch überdies blos scheinbar und für das Vergnügen, das mich das Kasteien meiner niedrigern Triebe kostet,5 entschädigt mich die Befriedigung gewis genug, die eben dadurch der edelsten Regung, der Menschenliebe, wiederfähret. Und wer sagt, daß mein Schmerz die Quelle eines fremden Vergnügens ist: der sagt auch zugleich das mit, daß der Schmerz eines andern wieder die Quelle eines Vergnügens für mich sein wird; und dieser wechselseitige10 Einflus und Tausch der Schiksale erstattet wol zulezt gar auch dem niedrigen Triebe seine Auslagen wieder. Ich weis, du würdest dich für einen andern sogar körperlichen Leiden unterziehen: wenn du nun glauben köntest, daß deine iezigen andern vortheilhaft sind; würdest du sie nicht durch eine höhere Rüksicht adeln und den unfreiwilligen15 Verlust der Gesundheit durch eine menschenfreundliche Einwilligung, in eine tugendhafte Aufopferung verwandeln? -- Übrigens habe, wenn nicht mit der Hypochondrie, doch mit meiner Trostpredigt Geduld und ertrage wenigstens die leztere gesezt: sogar die Beantwortung derselben mus ich von dir fodern, welche mein lezter poetischer Brief vielleicht20 weniger verdiente.
Es ist hohe Zeit, daß ich dir für deinen Verweis (wegen des Doppel- maiers) einen ordentlichen Verweis gebe. Ich wolte wetten, du hast nach der Lesung meines Briefs über den Doppelmaier so zu dir oder zum Herman gesagt: "der Richter ist doch auch gar zu leichtgläubig und25 "er lässet sich was anders weis machen: sowol in der Leichtgläubigkeit "als in der Tracht, da ist er einem Engländer nicht sehr unähnlich." Alle die Schwachheiten, die du an ihm findest, erklären wol seine Ver- schlimmerung und geben ihr vielleicht eine verzeihlichere Gestalt: aber sie bleibt doch noch immer. Ferner: die Anekdote mit dem medizinischen30 Buche, hab' ich von keinem Höfer gehört, sondern von einem, der sein [166]Freund war und dem er das Buch (und noch andern) vorlas. Die medizinischen Geschichten, die darin vorkamen, waren zum Theil im Bezirke seiner Zuhörer vorgefallen, welche über die Verfälschung der- selben am ersten urtheilen konten. Endlich ist seine Abhandlung über35 die Alchymie so schlecht nicht, daß ihm ein höherer Beistand entbehrlich gewesen wäre. Der Erzähler von diesem allen ist selbst ein Alchymist:
opferungen für das Vergnügen des andern ſcheuen und misbilligen und es mus ihm unbegreiflich ſein, wie einer Zeit, Kräfte und Geſund- heit blos dem Vortheile eines fremden Ichs geloben könne: indeſſen iſt dieſe ganze Aufopferung ſogar noch überdies blos ſcheinbar und für das Vergnügen, das mich das Kaſteien meiner niedrigern Triebe koſtet,5 entſchädigt mich die Befriedigung gewis genug, die eben dadurch der edelſten Regung, der Menſchenliebe, wiederfähret. Und wer ſagt, daß mein Schmerz die Quelle eines fremden Vergnügens iſt: der ſagt auch zugleich das mit, daß der Schmerz eines andern wieder die Quelle eines Vergnügens für mich ſein wird; und dieſer wechſelſeitige10 Einflus und Tauſch der Schikſale erſtattet wol zulezt gar auch dem niedrigen Triebe ſeine Auslagen wieder. Ich weis, du würdeſt dich für einen andern ſogar körperlichen Leiden unterziehen: wenn du nun glauben könteſt, daß deine iezigen andern vortheilhaft ſind; würdeſt du ſie nicht durch eine höhere Rükſicht adeln und den unfreiwilligen15 Verluſt der Geſundheit durch eine menſchenfreundliche Einwilligung, in eine tugendhafte Aufopferung verwandeln? — Übrigens habe, wenn nicht mit der Hypochondrie, doch mit meiner Troſtpredigt Geduld und ertrage wenigſtens die leztere geſezt: ſogar die Beantwortung derſelben mus ich von dir fodern, welche mein lezter poetiſcher Brief vielleicht20 weniger verdiente.
Es iſt hohe Zeit, daß ich dir für deinen Verweis (wegen des Doppel- maiers) einen ordentlichen Verweis gebe. Ich wolte wetten, du haſt nach der Leſung meines Briefs über den Doppelmaier ſo zu dir oder zum Herman geſagt: „der Richter iſt doch auch gar zu leichtgläubig und25 „er läſſet ſich was anders weis machen: ſowol in der Leichtgläubigkeit „als in der Tracht, da iſt er einem Engländer nicht ſehr unähnlich.“ Alle die Schwachheiten, die du an ihm findeſt, erklären wol ſeine Ver- ſchlimmerung und geben ihr vielleicht eine verzeihlichere Geſtalt: aber ſie bleibt doch noch immer. Ferner: die Anekdote mit dem mediziniſchen30 Buche, hab’ ich von keinem Höfer gehört, ſondern von einem, der ſein [166]Freund war und dem er das Buch (und noch andern) vorlas. Die mediziniſchen Geſchichten, die darin vorkamen, waren zum Theil im Bezirke ſeiner Zuhörer vorgefallen, welche über die Verfälſchung der- ſelben am erſten urtheilen konten. Endlich iſt ſeine Abhandlung über35 die Alchymie ſo ſchlecht nicht, daß ihm ein höherer Beiſtand entbehrlich geweſen wäre. Der Erzähler von dieſem allen iſt ſelbſt ein Alchymiſt:
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opferungen für das Vergnügen des andern ſcheuen und misbilligen
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dieſe ganze Aufopferung ſogar noch überdies blos ſcheinbar und für
das Vergnügen, das mich das Kaſteien meiner niedrigern Triebe koſtet, 5
entſchädigt mich die Befriedigung gewis genug, die eben dadurch der
edelſten Regung, der Menſchenliebe, wiederfähret. Und wer ſagt, daß
mein Schmerz die Quelle eines fremden Vergnügens iſt: der ſagt
auch zugleich das mit, daß der Schmerz eines andern wieder die
Quelle eines Vergnügens für mich ſein wird; und dieſer wechſelſeitige 10
Einflus und Tauſch der Schikſale erſtattet wol zulezt gar auch dem
niedrigen Triebe ſeine Auslagen wieder. Ich weis, du würdeſt dich für
einen andern ſogar körperlichen Leiden unterziehen: wenn du nun
glauben könteſt, daß deine iezigen andern vortheilhaft ſind; würdeſt
du ſie nicht durch eine höhere Rükſicht adeln und den unfreiwilligen 15
Verluſt der Geſundheit durch eine menſchenfreundliche Einwilligung, in
eine tugendhafte Aufopferung verwandeln? — Übrigens habe, wenn
nicht mit der Hypochondrie, doch mit meiner Troſtpredigt Geduld und
ertrage wenigſtens die leztere geſezt: ſogar die Beantwortung derſelben
mus ich von dir fodern, welche mein lezter poetiſcher Brief vielleicht 20
weniger verdiente.
Es iſt hohe Zeit, daß ich dir für deinen Verweis (wegen des Doppel-
maiers) einen ordentlichen Verweis gebe. Ich wolte wetten, du haſt
nach der Leſung meines Briefs über den Doppelmaier ſo zu dir oder
zum Herman geſagt: „der Richter iſt doch auch gar zu leichtgläubig und 25
„er läſſet ſich was anders weis machen: ſowol in der Leichtgläubigkeit
„als in der Tracht, da iſt er einem Engländer nicht ſehr unähnlich.“
Alle die Schwachheiten, die du an ihm findeſt, erklären wol ſeine Ver-
ſchlimmerung und geben ihr vielleicht eine verzeihlichere Geſtalt: aber
ſie bleibt doch noch immer. Ferner: die Anekdote mit dem mediziniſchen 30
Buche, hab’ ich von keinem Höfer gehört, ſondern von einem, der ſein
Freund war und dem er das Buch (und noch andern) vorlas. Die
mediziniſchen Geſchichten, die darin vorkamen, waren zum Theil im
Bezirke ſeiner Zuhörer vorgefallen, welche über die Verfälſchung der-
ſelben am erſten urtheilen konten. Endlich iſt ſeine Abhandlung über 35
die Alchymie ſo ſchlecht nicht, daß ihm ein höherer Beiſtand entbehrlich
geweſen wäre. Der Erzähler von dieſem allen iſt ſelbſt ein Alchymiſt:
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/180>, abgerufen am 18.12.2024.
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