Ihrer vortreflichsten Gattin -- Leben Sie wol -- und werden Sie mehr belont, als man bisher in Ihrem undankbaren Vater[land] es Ihrem Verstand getan hat. Sein Sie versichert, daß ich nie auf- hören kan etc.
8. An Pfarrer Vogel in Rehau.5
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr! Insonders Hochzuvererender Herr Pfarrer!
Sehen Dieselben, wie ich mein Versprechen halte? Kaum bin ich etliche Tag' in Leipzig: so bekommen Sie schon einen Brief. Er wird eben nicht viel interessantes enthalten, und ziemlich mager sein -- aber10 genug, wenn er mir nur bald das Vergnügen zu wege bringt, einen von Ihnen lesen zu können. -- Der grosse Jurist Hommel wurde den Sontag begraben: er hinterlies ein Vermögen von 3 bis 4 Tonnen Golds. -- Der Magister Kirsch von Hof, der mit [mir] in Geselschaft nach Leipzig reiste, erzälte mir einen ziemlich scheinbaren Einwurf vom15 D. Ernesti gegen die Autentizität der Apokalyps -- diesen nämlich. An einem Orte der Apokalyps, ich weis nicht mer wo, steht: die Stadt die geistlich genant wird Jerusalem. Dieses Wort geistlich, pneumatikos wird hier in einem Verstande gebraucht, der den Schrift- stellern des N. T. und sogar den Kirchenvätern und Skribenten des20 ersten Jarhunderts nicht gewönlich war. Dies Wort wurd' erst dan in einem solchen Sinne genommen, da man anfieng zu allegorisiren, zu deuteln, und in iedem Worte der Bibel eine Anspielung auf etwas überirdisches zu finden. Weil also dieses Wort in diesem Jarhunderte nicht in diesem Sin gebraucht wurde; so kan ich schliessen, daß auch die25 Apokalyps nicht in diesem Jarhundert verfertigt worden ist. Einige Stärke scheint dieser Einwurf zu haben; nur ist's zu viel gewagt, aus einem einzigen Wort viel schliessen zu wollen. -- Wenn Lokke aus dem Spruch Matt. 25. viel für sein System glaubt beweisen zu[10] können: so irt er sich. Er beweist gerade wider den Lokke, und ist höch-30 stens ein argumentum bilaterum. "Gehet in's ewige Leben, und gehet in die ewige Pein" -- hier sagt er mus "Pein" Vernichtung und Tod heissen, weil beide Dinge hier einander entgegengesezt werden, Leben und Pein aber nicht entgegengesezt werden können; da sie heterogen sind. Allein hier kan man antworten: eben wenn Pein eine35
Ihrer vortreflichſten Gattin — Leben Sie wol — und werden Sie mehr belont, als man bisher in Ihrem undankbaren Vater[land] es Ihrem Verſtand getan hat. Sein Sie verſichert, daß ich nie auf- hören kan ꝛc.
8. An Pfarrer Vogel in Rehau.5
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr! Inſonders Hochzuvererender Herr Pfarrer!
Sehen Dieſelben, wie ich mein Verſprechen halte? Kaum bin ich etliche Tag’ in Leipzig: ſo bekommen Sie ſchon einen Brief. Er wird eben nicht viel intereſſantes enthalten, und ziemlich mager ſein — aber10 genug, wenn er mir nur bald das Vergnügen zu wege bringt, einen von Ihnen leſen zu können. — Der groſſe Juriſt Hommel wurde den Sontag begraben: er hinterlies ein Vermögen von 3 bis 4 Tonnen Golds. — Der Magiſter Kirſch von Hof, der mit [mir] in Geſelſchaft nach Leipzig reiſte, erzälte mir einen ziemlich ſcheinbaren Einwurf vom15 D. Erneſti gegen die Autentizität der Apokalyps — dieſen nämlich. An einem Orte der Apokalyps, ich weis nicht mer wo, ſteht: die Stadt die geiſtlich genant wird Jeruſalem. Dieſes Wort geiſtlich, πνευματικως wird hier in einem Verſtande gebraucht, der den Schrift- ſtellern des N. T. und ſogar den Kirchenvätern und Skribenten des20 erſten Jarhunderts nicht gewönlich war. Dies Wort wurd’ erſt dan in einem ſolchen Sinne genommen, da man anfieng zu allegoriſiren, zu deuteln, und in iedem Worte der Bibel eine Anſpielung auf etwas überirdiſches zu finden. Weil alſo dieſes Wort in dieſem Jarhunderte nicht in dieſem Sin gebraucht wurde; ſo kan ich ſchlieſſen, daß auch die25 Apokalyps nicht in dieſem Jarhundert verfertigt worden iſt. Einige Stärke ſcheint dieſer Einwurf zu haben; nur iſt’s zu viel gewagt, aus einem einzigen Wort viel ſchlieſſen zu wollen. — Wenn Lokke aus dem Spruch Matt. 25. viel für ſein Syſtem glaubt beweiſen zu[10] können: ſo irt er ſich. Er beweiſt gerade wider den Lokke, und iſt höch-30 ſtens ein argumentum bilaterum. „Gehet in’s ewige Leben, und gehet in die ewige Pein“ — hier ſagt er mus „Pein“ Vernichtung und Tod heiſſen, weil beide Dinge hier einander entgegengeſezt werden, Leben und Pein aber nicht entgegengeſezt werden können; da ſie heterogen ſind. Allein hier kan man antworten: eben wenn Pein eine35
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Ihrer vortreflichſten Gattin — Leben Sie wol — und werden Sie
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es Ihrem Verſtand getan hat. Sein Sie verſichert, daß ich nie auf-
hören kan ꝛc.
8. An Pfarrer Vogel in Rehau. 5
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr!
Inſonders Hochzuvererender Herr Pfarrer!
Sehen Dieſelben, wie ich mein Verſprechen halte? Kaum bin ich
etliche Tag’ in Leipzig: ſo bekommen Sie ſchon einen Brief. Er wird
eben nicht viel intereſſantes enthalten, und ziemlich mager ſein — aber 10
genug, wenn er mir nur bald das Vergnügen zu wege bringt, einen
von Ihnen leſen zu können. — Der groſſe Juriſt Hommel wurde den
Sontag begraben: er hinterlies ein Vermögen von 3 bis 4 Tonnen
Golds. — Der Magiſter Kirſch von Hof, der mit [mir] in Geſelſchaft
nach Leipzig reiſte, erzälte mir einen ziemlich ſcheinbaren Einwurf vom 15
D. Erneſti gegen die Autentizität der Apokalyps — dieſen nämlich.
An einem Orte der Apokalyps, ich weis nicht mer wo, ſteht: die Stadt
die geiſtlich genant wird Jeruſalem. Dieſes Wort geiſtlich,
πνευματικως wird hier in einem Verſtande gebraucht, der den Schrift-
ſtellern des N. T. und ſogar den Kirchenvätern und Skribenten des 20
erſten Jarhunderts nicht gewönlich war. Dies Wort wurd’ erſt dan
in einem ſolchen Sinne genommen, da man anfieng zu allegoriſiren, zu
deuteln, und in iedem Worte der Bibel eine Anſpielung auf etwas
überirdiſches zu finden. Weil alſo dieſes Wort in dieſem Jarhunderte
nicht in dieſem Sin gebraucht wurde; ſo kan ich ſchlieſſen, daß auch die 25
Apokalyps nicht in dieſem Jarhundert verfertigt worden iſt. Einige
Stärke ſcheint dieſer Einwurf zu haben; nur iſt’s zu viel gewagt, aus
einem einzigen Wort viel ſchlieſſen zu wollen. — Wenn Lokke aus
dem Spruch Matt. 25. viel für ſein Syſtem glaubt beweiſen zu
können: ſo irt er ſich. Er beweiſt gerade wider den Lokke, und iſt höch- 30
ſtens ein argumentum bilaterum. „Gehet in’s ewige Leben, und
gehet in die ewige Pein“ — hier ſagt er mus „Pein“ Vernichtung
und Tod heiſſen, weil beide Dinge hier einander entgegengeſezt werden,
Leben und Pein aber nicht entgegengeſezt werden können; da ſie
heterogen ſind. Allein hier kan man antworten: eben wenn Pein eine 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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