tor selbst mit tanzte, und er mus nicht nur zuviel getrunken gehabt haben.
Über die verwelkten Kindheits Jahre weht auf uns ein Wolgeruch herüber, der schwer zu erklären ist, wenn man auch 2erlei weis -- daß erstlich die KindesSinne nicht wie unsre die Eindrücke auf-5 nehmen sondern aufgreiffen, indes bei uns ieder Gegenstand sein Petschaft auf erkaltetes und hartes Siegellak drükt -- und daß 2tens diese neuen Sinne lauter neuen Objekten begegnen, die mit [320]allen Vortheilen des ersten Eindruks wirken. Denn es ist noch un- erklärlich, wie irgend eine Empfindung durch Wiederholung (da doch10 die Seele keiner körperlichen Veränderung, Abspannung fähig ist) von ihrer Stärke einzubüssen fähig ist: aufs Gehirn ists nicht zu schieben, dem als Körper ieder wiederholte Eindruk ein neuer ist -- diese beiden Ursachen bringen auch unter der Kindheit, [dem] Früh- ling und dem Morgen eine Familienähnlichkeit -- alle 3 verdoppeln15 den Lebensgenus, das Gefühl unsres Seins und den Glanz eines ieden Gegenstandes -- wie umgekehrt der Herbst, das Alter und die Stunde vor dem Betgehen uns mit Gedanken des ausgepresseten kahlen und ewig um sich kreisenden Lebens drücken. -- Der Gelehrte Fortius räth iedem Gelehrten 6, 12 monatliche Veränderung der Städte an; und20 er hat Recht: iede neue Lage (und wärs ein Stubenwechsel) ist stärkende frische Luft; wir fahren und graben sonst unser Gleis und unsern Hol- weg so tief ein, daß wir enge drin stecken ohne Himmel und Erde zu sehen. Seit vielen Jahren schrieb ich nicht soviel Ernsthaftes als im heurigen. Ausser Ihnen [?] mus noch, da ich obendrein von Tag zu25 Tag wieder mich zum 12ten J[ahre] zurükbegebe, in dem man am weichsten, entweder das Machen eines Romans daran schuld sein oder das Spielen desselben. Ich wil wünschen, daß ich mich bald kopulieren lasse -- damit ich weis wohin mit meinen Empfindungen und zweitens meiner armen Frau wegen, die es iezt bei gegenwärtigem Briefsteller30 am besten hätte. Wärs zu machen: so wäre iezt der rechte Zeitpunkt: -- ich wolte Verse und Pas machen lernen -- ich liesse mich frisieren und silhouettieren -- meinen ganzen alten Adam zög' ich bis auf die kleinste Franze aus, besonders meine Quarree Stiefel -- ich nähme mir vor, ieden Tag nur Eine Schönheit meiner Frau zu studieren und35 am andern eine andre zu besehen -- ich gienge mit ihr spazieren von Sonnen Unter- bis Aufgang -- die Philosophie und meine Warzen
tor ſelbſt mit tanzte, und er mus nicht nur zuviel getrunken gehabt haben.
Über die verwelkten Kindheits Jahre weht auf uns ein Wolgeruch herüber, der ſchwer zu erklären iſt, wenn man auch 2erlei weis — daß erſtlich die KindesSinne nicht wie unſre die Eindrücke auf-5 nehmen ſondern aufgreiffen, indes bei uns ieder Gegenſtand ſein Petſchaft auf erkaltetes und hartes Siegellak drükt — und daß 2tens dieſe neuen Sinne lauter neuen Objekten begegnen, die mit [320]allen Vortheilen des erſten Eindruks wirken. Denn es iſt noch un- erklärlich, wie irgend eine Empfindung durch Wiederholung (da doch10 die Seele keiner körperlichen Veränderung, Abſpannung fähig iſt) von ihrer Stärke einzubüſſen fähig iſt: aufs Gehirn iſts nicht zu ſchieben, dem als Körper ieder wiederholte Eindruk ein neuer iſt — dieſe beiden Urſachen bringen auch unter der Kindheit, [dem] Früh- ling und dem Morgen eine Familienähnlichkeit — alle 3 verdoppeln15 den Lebensgenus, das Gefühl unſres Seins und den Glanz eines ieden Gegenſtandes — wie umgekehrt der Herbſt, das Alter und die Stunde vor dem Betgehen uns mit Gedanken des ausgepreſſeten kahlen und ewig um ſich kreiſenden Lebens drücken. — Der Gelehrte Fortius räth iedem Gelehrten 6, 12 monatliche Veränderung der Städte an; und20 er hat Recht: iede neue Lage (und wärs ein Stubenwechſel) iſt ſtärkende friſche Luft; wir fahren und graben ſonſt unſer Gleis und unſern Hol- weg ſo tief ein, daß wir enge drin ſtecken ohne Himmel und Erde zu ſehen. Seit vielen Jahren ſchrieb ich nicht ſoviel Ernſthaftes als im heurigen. Auſſer Ihnen [?] mus noch, da ich obendrein von Tag zu25 Tag wieder mich zum 12ten J[ahre] zurükbegebe, in dem man am weichſten, entweder das Machen eines Romans daran ſchuld ſein oder das Spielen deſſelben. Ich wil wünſchen, daß ich mich bald kopulieren laſſe — damit ich weis wohin mit meinen Empfindungen und zweitens meiner armen Frau wegen, die es iezt bei gegenwärtigem Briefſteller30 am beſten hätte. Wärs zu machen: ſo wäre iezt der rechte Zeitpunkt: — ich wolte Verſe und Pas machen lernen — ich lieſſe mich friſieren und ſilhouettieren — meinen ganzen alten Adam zög’ ich bis auf die kleinſte Franze aus, beſonders meine Quarrée Stiefel — ich nähme mir vor, ieden Tag nur Eine Schönheit meiner Frau zu ſtudieren und35 am andern eine andre zu beſehen — ich gienge mit ihr ſpazieren von Sonnen Unter- bis Aufgang — die Philoſophie und meine Warzen
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tor ſelbſt mit tanzte, und er mus nicht nur zuviel getrunken gehabt
haben.
Über die verwelkten Kindheits Jahre weht auf uns ein Wolgeruch
herüber, der ſchwer zu erklären iſt, wenn man auch 2erlei weis —
daß erſtlich die KindesSinne nicht wie unſre die Eindrücke auf- 5
nehmen ſondern aufgreiffen, indes bei uns ieder Gegenſtand ſein
Petſchaft auf erkaltetes und hartes Siegellak drükt — und daß
2tens dieſe neuen Sinne lauter neuen Objekten begegnen, die mit
allen Vortheilen des erſten Eindruks wirken. Denn es iſt noch un-
erklärlich, wie irgend eine Empfindung durch Wiederholung (da doch 10
die Seele keiner körperlichen Veränderung, Abſpannung fähig iſt)
von ihrer Stärke einzubüſſen fähig iſt: aufs Gehirn iſts nicht zu
ſchieben, dem als Körper ieder wiederholte Eindruk ein neuer iſt —
dieſe beiden Urſachen bringen auch unter der Kindheit, [dem] Früh-
ling und dem Morgen eine Familienähnlichkeit — alle 3 verdoppeln 15
den Lebensgenus, das Gefühl unſres Seins und den Glanz eines ieden
Gegenſtandes — wie umgekehrt der Herbſt, das Alter und die Stunde
vor dem Betgehen uns mit Gedanken des ausgepreſſeten kahlen und
ewig um ſich kreiſenden Lebens drücken. — Der Gelehrte Fortius räth
iedem Gelehrten 6, 12 monatliche Veränderung der Städte an; und 20
er hat Recht: iede neue Lage (und wärs ein Stubenwechſel) iſt ſtärkende
friſche Luft; wir fahren und graben ſonſt unſer Gleis und unſern Hol-
weg ſo tief ein, daß wir enge drin ſtecken ohne Himmel und Erde zu
ſehen. Seit vielen Jahren ſchrieb ich nicht ſoviel Ernſthaftes als im
heurigen. Auſſer Ihnen [?] mus noch, da ich obendrein von Tag zu 25
Tag wieder mich zum 12ten J[ahre] zurükbegebe, in dem man am
weichſten, entweder das Machen eines Romans daran ſchuld ſein oder
das Spielen deſſelben. Ich wil wünſchen, daß ich mich bald kopulieren
laſſe — damit ich weis wohin mit meinen Empfindungen und zweitens
meiner armen Frau wegen, die es iezt bei gegenwärtigem Briefſteller 30
am beſten hätte. Wärs zu machen: ſo wäre iezt der rechte Zeitpunkt:
— ich wolte Verſe und Pas machen lernen — ich lieſſe mich friſieren
und ſilhouettieren — meinen ganzen alten Adam zög’ ich bis auf die
kleinſte Franze aus, beſonders meine Quarrée Stiefel — ich nähme
mir vor, ieden Tag nur Eine Schönheit meiner Frau zu ſtudieren und 35
am andern eine andre zu beſehen — ich gienge mit ihr ſpazieren von
Sonnen Unter- bis Aufgang — die Philoſophie und meine Warzen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/330>, abgerufen am 21.11.2024.
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