Ich als eine bleiche Mumie, die sich täglich abbröckelt, kan von nichts anderm als von Mumien Vater werden. Ich wünsche, daß Sie wenigstens den kleineren Mumien eine Stelle in Ihrem Zimmer geben,5 in die ich sie mit soviel Vergnügen führe als ich sie machte. Wenn sie gleich nicht so alt werden wie mein Schachantipode: so werden sie doch nicht so jung sterben wie ihr Verfasser. -- Es ist für einen, der soviel Freuden zusammenjagt wie ich, niederschlagend, daß er denen, die sie ihm reichen wie Sie, nichts geben kan als was jeder Buchhändler10 giebt -- ein Buch. Das einzige Agio, das ich diesem Scherflein beifüge, ist das Geständnis, daß mein Herz nicht so leer ist wie meine Hände und daß ich die Freundschaft, die ich nicht belohnen kan, wenigstens zu er- wiedern suche. Ihnen und mir wünsch' ich auf dieser mit Staub und Koth abwechselnden Kugel die Sonnenblicke des Schiksals, die uns mit15 Noth warm halten und die wir mit einem durchfrornen Dezember bezahlen. Mir ist immer als wenn ich etwas vergessen hätte. Darunter gehört aber nicht die Versicherung etc.
415. An Renate Wirth in Hof.
Hof d. 9 März 1793 [Sonnabend].20
Mademoiselle,
Da ich selbst eine dürre todte Mumie bin: so müssen auch meine Kinder Mumien sein. Ich wünsche, daß Sie in der Geselschaft derer, die ich Ihnen hier sende, keine Langeweile sondern wenigstens die Hälfte des Vergnügens finden, das ich in Ihrer Geselschaft alzeit25 genos. Nach 20 Jahren werd' ich Sie bitten, mir mein Buch wieder zu zeigen und mir an dem hineingelegten Seidenflekgen zu weisen, wie weit Sie darin schon gelesen haben.
Da ich Ihnen so viel zum Lesen übergebe: so wil ichs nicht durch den[393] Brief vermehren; da ichs Ihnen ohnehin -- nach einigen Minuten30 mündlich noch weitläuftiger sagen werde, daß ich die Ehre habe, mit wahrer Hochachtung zu sein
Ihr gehorsamer Diener und Freund F. Richter35
N. S. Meine gehorsame Empfehlung an Ihre Eltern.
414. An Johann Georg Herold in Hof.
[Kopie][Schwarzenbach, 5. (?) März 1793]
Ich als eine bleiche Mumie, die ſich täglich abbröckelt, kan von nichts anderm als von Mumien Vater werden. Ich wünſche, daß Sie wenigſtens den kleineren Mumien eine Stelle in Ihrem Zimmer geben,5 in die ich ſie mit ſoviel Vergnügen führe als ich ſie machte. Wenn ſie gleich nicht ſo alt werden wie mein Schachantipode: ſo werden ſie doch nicht ſo jung ſterben wie ihr Verfaſſer. — Es iſt für einen, der ſoviel Freuden zuſammenjagt wie ich, niederſchlagend, daß er denen, die ſie ihm reichen wie Sie, nichts geben kan als was jeder Buchhändler10 giebt — ein Buch. Das einzige Agio, das ich dieſem Scherflein beifüge, iſt das Geſtändnis, daß mein Herz nicht ſo leer iſt wie meine Hände und daß ich die Freundſchaft, die ich nicht belohnen kan, wenigſtens zu er- wiedern ſuche. Ihnen und mir wünſch’ ich auf dieſer mit Staub und Koth abwechſelnden Kugel die Sonnenblicke des Schikſals, die uns mit15 Noth warm halten und die wir mit einem durchfrornen Dezember bezahlen. Mir iſt immer als wenn ich etwas vergeſſen hätte. Darunter gehört aber nicht die Verſicherung ꝛc.
415. An Renate Wirth in Hof.
Hof d. 9 März 1793 [Sonnabend].20
Mademoiſelle,
Da ich ſelbſt eine dürre todte Mumie bin: ſo müſſen auch meine Kinder Mumien ſein. Ich wünſche, daß Sie in der Geſelſchaft derer, die ich Ihnen hier ſende, keine Langeweile ſondern wenigſtens die Hälfte des Vergnügens finden, das ich in Ihrer Geſelſchaft alzeit25 genos. Nach 20 Jahren werd’ ich Sie bitten, mir mein Buch wieder zu zeigen und mir an dem hineingelegten Seidenflekgen zu weiſen, wie weit Sie darin ſchon geleſen haben.
Da ich Ihnen ſo viel zum Leſen übergebe: ſo wil ichs nicht durch den[393] Brief vermehren; da ichs Ihnen ohnehin — nach einigen Minuten30 mündlich noch weitläuftiger ſagen werde, daß ich die Ehre habe, mit wahrer Hochachtung zu ſein
Ihr gehorſamer Diener und Freund F. Richter35
N. S. Meine gehorſame Empfehlung an Ihre Eltern.
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[373/0401]
414. An Johann Georg Herold in Hof.
[Schwarzenbach, 5. (?) März 1793]
Ich als eine bleiche Mumie, die ſich täglich abbröckelt, kan von
nichts anderm als von Mumien Vater werden. Ich wünſche, daß Sie
wenigſtens den kleineren Mumien eine Stelle in Ihrem Zimmer geben, 5
in die ich ſie mit ſoviel Vergnügen führe als ich ſie machte. Wenn ſie
gleich nicht ſo alt werden wie mein Schachantipode: ſo werden ſie doch
nicht ſo jung ſterben wie ihr Verfaſſer. — Es iſt für einen, der ſoviel
Freuden zuſammenjagt wie ich, niederſchlagend, daß er denen, die ſie
ihm reichen wie Sie, nichts geben kan als was jeder Buchhändler 10
giebt — ein Buch. Das einzige Agio, das ich dieſem Scherflein beifüge,
iſt das Geſtändnis, daß mein Herz nicht ſo leer iſt wie meine Hände und
daß ich die Freundſchaft, die ich nicht belohnen kan, wenigſtens zu er-
wiedern ſuche. Ihnen und mir wünſch’ ich auf dieſer mit Staub und
Koth abwechſelnden Kugel die Sonnenblicke des Schikſals, die uns mit 15
Noth warm halten und die wir mit einem durchfrornen Dezember
bezahlen. Mir iſt immer als wenn ich etwas vergeſſen hätte. Darunter
gehört aber nicht die Verſicherung ꝛc.
415. An Renate Wirth in Hof.
Hof d. 9 März 1793 [Sonnabend]. 20
Mademoiſelle,
Da ich ſelbſt eine dürre todte Mumie bin: ſo müſſen auch meine
Kinder Mumien ſein. Ich wünſche, daß Sie in der Geſelſchaft derer,
die ich Ihnen hier ſende, keine Langeweile ſondern wenigſtens die
Hälfte des Vergnügens finden, das ich in Ihrer Geſelſchaft alzeit 25
genos. Nach 20 Jahren werd’ ich Sie bitten, mir mein Buch wieder
zu zeigen und mir an dem hineingelegten Seidenflekgen zu weiſen, wie
weit Sie darin ſchon geleſen haben.
Da ich Ihnen ſo viel zum Leſen übergebe: ſo wil ichs nicht durch den
Brief vermehren; da ichs Ihnen ohnehin — nach einigen Minuten 30
mündlich noch weitläuftiger ſagen werde, daß ich die Ehre habe, mit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/401>, abgerufen am 20.06.2024.
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