Sie und das Schiksal werden mich zu keinem neuen Riß und nicht zum ersten Entschlusse verurtheilen.
-- -- So reichen Sie mir denn noch einmal Ihre gute Hand über das Paradies herüber, dessen Mauer mich von Ihnen trent. Aber es wäre Lüge, zu versichern, daß die Vernunft das mit ihrem Wasser5 ausgiessen werde, was höchstens die Zeit almählig zertragen und zer- bröckeln kan -- -- Es war blos Unsin der Empfindung, zu versichern daß ich nur die Wahl hätte zwischen Has und Kälte -- Es ist noch jezt Unwahrheit, zu versichern, daß ich eh ich noch alle unsre Gegenden verlasse, mein eignes Herz bezwungen haben werde -- Ach wenn ich10 aus ihnen weiche, so werd' ich noch ein volles und bewegtes für die Person aus ihnen tragen, der ich das ihrige nie hätte quälen sollen -- -- Warlich, die trauernde Gestalt, die am Sontage, ohne Vermögen zum Abschiede, einem noch bittern zusah, die nicht sagen konte, "lebe wol" weil sie fühlte, wem es unmöglich sei -- diese geliebte Gestalt weicht15 nie aus meiner Brust -- und wenn ich traurig bin, werd' ich sie schweben sehen und zu ihr gebrochen sagen: so bleibe denn auch ewig in meinem Herzen, und ruhe auf seinen Wunden .... Leben Sie wol; alle meine Wünsche sind für Sie, und meine Handlungen sind es; jede Freude, die ich Ihnen verschaffen kan, ist meine; alle meine Geheim-20 nisse sind die Ihrigen.
Ihr treuer Freund Richter
N. S. Ich habe diesem zu unordentlichen Briefe den an Wernlein beigelegt, den ich unabgesendet bisher niemand als Otto lesen lassen.
25
Aschermitwoch.
Mein kälteres Blut widerspricht meinem wärmern nicht und der Aschermitwoch billigt (was in Italien heute selten geschieht) die Fastnacht. Was ich gestern mit verdunkelten Augen gesagt, unter- zeichn' ich heute mit abgetrokneten. -- Ich habe nur noch die neue Bitte,30 [392]daß Sie das Paket, das mein Bruder um 3 Uhr bringen wird, mir nicht im Konzert sondern etwan um 41/2, oder 5 Uhr durch Ernst wieder- geben möchten. Ich thue diese Bitte blos, um die Gelegenheit zur neuen zu bekommen, daß Sie mir mit drei Zeilen Ihre Gegenwart im Konzert und Ihre Zufriedenheit mit meiner Aenderung, versichern35 möchten.
Sie und das Schikſal werden mich zu keinem neuen Riß und nicht zum erſten Entſchluſſe verurtheilen.
— — So reichen Sie mir denn noch einmal Ihre gute Hand über das Paradies herüber, deſſen Mauer mich von Ihnen trent. Aber es wäre Lüge, zu verſichern, daß die Vernunft das mit ihrem Waſſer5 ausgieſſen werde, was höchſtens die Zeit almählig zertragen und zer- bröckeln kan — — Es war blos Unſin der Empfindung, zu verſichern daß ich nur die Wahl hätte zwiſchen Has und Kälte — Es iſt noch jezt Unwahrheit, zu verſichern, daß ich eh ich noch alle unſre Gegenden verlaſſe, mein eignes Herz bezwungen haben werde — Ach wenn ich10 aus ihnen weiche, ſo werd’ ich noch ein volles und bewegtes für die Perſon aus ihnen tragen, der ich das ihrige nie hätte quälen ſollen — — Warlich, die trauernde Geſtalt, die am Sontage, ohne Vermögen zum Abſchiede, einem noch bittern zuſah, die nicht ſagen konte, „lebe wol“ weil ſie fühlte, wem es unmöglich ſei — dieſe geliebte Geſtalt weicht15 nie aus meiner Bruſt — und wenn ich traurig bin, werd’ ich ſie ſchweben ſehen und zu ihr gebrochen ſagen: ſo bleibe denn auch ewig in meinem Herzen, und ruhe auf ſeinen Wunden .... Leben Sie wol; alle meine Wünſche ſind für Sie, und meine Handlungen ſind es; jede Freude, die ich Ihnen verſchaffen kan, iſt meine; alle meine Geheim-20 niſſe ſind die Ihrigen.
Ihr treuer Freund Richter
N. S. Ich habe dieſem zu unordentlichen Briefe den an Wernlein beigelegt, den ich unabgeſendet bisher niemand als Otto leſen laſſen.
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Aſchermitwoch.
Mein kälteres Blut widerſpricht meinem wärmern nicht und der Aſchermitwoch billigt (was in Italien heute ſelten geſchieht) die Faſtnacht. Was ich geſtern mit verdunkelten Augen geſagt, unter- zeichn’ ich heute mit abgetrokneten. — Ich habe nur noch die neue Bitte,30 [392]daß Sie das Paket, das mein Bruder um 3 Uhr bringen wird, mir nicht im Konzert ſondern etwan um 4½, oder 5 Uhr durch Ernst wieder- geben möchten. Ich thue dieſe Bitte blos, um die Gelegenheit zur neuen zu bekommen, daß Sie mir mit drei Zeilen Ihre Gegenwart im Konzert und Ihre Zufriedenheit mit meiner Aenderung, verſichern35 möchten.
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Sie und das Schikſal werden mich zu keinem neuen Riß und nicht zum
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— — So reichen Sie mir denn noch einmal Ihre gute Hand über
das Paradies herüber, deſſen Mauer mich von Ihnen trent. Aber
es wäre Lüge, zu verſichern, daß die Vernunft das mit ihrem Waſſer 5
ausgieſſen werde, was höchſtens die Zeit almählig zertragen und zer-
bröckeln kan — — Es war blos Unſin der Empfindung, zu verſichern
daß ich nur die Wahl hätte zwiſchen Has und Kälte — Es iſt noch
jezt Unwahrheit, zu verſichern, daß ich eh ich noch alle unſre Gegenden
verlaſſe, mein eignes Herz bezwungen haben werde — Ach wenn ich 10
aus ihnen weiche, ſo werd’ ich noch ein volles und bewegtes für die
Perſon aus ihnen tragen, der ich das ihrige nie hätte quälen ſollen — —
Warlich, die trauernde Geſtalt, die am Sontage, ohne Vermögen zum
Abſchiede, einem noch bittern zuſah, die nicht ſagen konte, „lebe wol“
weil ſie fühlte, wem es unmöglich ſei — dieſe geliebte Geſtalt weicht 15
nie aus meiner Bruſt — und wenn ich traurig bin, werd’ ich ſie
ſchweben ſehen und zu ihr gebrochen ſagen: ſo bleibe denn auch ewig in
meinem Herzen, und ruhe auf ſeinen Wunden .... Leben Sie wol;
alle meine Wünſche ſind für Sie, und meine Handlungen ſind es; jede
Freude, die ich Ihnen verſchaffen kan, iſt meine; alle meine Geheim- 20
niſſe ſind die Ihrigen.
Ihr treuer Freund
Richter
N. S. Ich habe dieſem zu unordentlichen Briefe den an Wernlein
beigelegt, den ich unabgeſendet bisher niemand als Otto leſen laſſen.
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Aſchermitwoch.
Mein kälteres Blut widerſpricht meinem wärmern nicht und der
Aſchermitwoch billigt (was in Italien heute ſelten geſchieht) die
Faſtnacht. Was ich geſtern mit verdunkelten Augen geſagt, unter-
zeichn’ ich heute mit abgetrokneten. — Ich habe nur noch die neue Bitte, 30
daß Sie das Paket, das mein Bruder um 3 Uhr bringen wird, mir nicht
im Konzert ſondern etwan um 4½, oder 5 Uhr durch Ernst wieder-
geben möchten. Ich thue dieſe Bitte blos, um die Gelegenheit zur
neuen zu bekommen, daß Sie mir mit drei Zeilen Ihre Gegenwart im
Konzert und Ihre Zufriedenheit mit meiner Aenderung, verſichern 35
möchten.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/400>, abgerufen am 29.11.2024.
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