nach einem Sontage mein Blut noch höher fortsiedet -- und daß es in der zweiten erkaltet. Ich war nie am Montag vernünftig, aber am Dienstag wurd' ichs allemal. Gestern wars noch mein fester Entschlus, Hof lange, und Sie noch weit länger, nicht zu sehen; und heute dank' ich dem Himmel, daß ich noch niemand mein Wort darauf gegeben5 als blos einem, um den ich mich gar nichts scheere -- nämlich mir selbst. Also an dem Fastnachtstage, wo andre Leute ihre Narheit an- fangen, beschliess' ich die meinige.
Es wäre aber eine blosse Fortsezung derselben, wenn ich meinem ersten Entschlusse, Sie nicht zu sehen, folgte. Ich würde dan nicht blos10 viele fremde, und meine eigne Freuden zerrütten, Zusammenkünfte stören und alle schöne Oerter fliehen müssen: sondern dieser Entschlus wäre nichts als eine verstekte Absicht, mich zu rächen und Sie zu quälen -- -- Das wil ich nie, das kan ich nie, das hat die Person nie verdient, die mir so viele schöne Stunden gegeben und der ich nichts15 vorzuwerfen habe als -- meine Ungenügsamkeit. -- --
(Ich ersuche Sie, mir im Konzert dieses Blat zurükzugeben, weil in Ihrem Hause weder schriftliche noch mündliche Geheimnisse eine Freistätte haben.)
Mein zweiter Entschlus war, Sie zugleich zu sehen und zu vergessen,20 meine Augen und meine Worte in Schnee zu vergraben, in den Stellen des verlornen Paradieses gleichgültig herumzugehen und zu sagen, es war gar keines da -- -- Ach das kan ich noch weniger als gar nicht kommen: wenn ich nur eine elende Konzert-Anglaise hörte, wenn ich an einem Sommerabend neben Ihnen stände, wenn ich einen Gesang25 hörte oder wenn nur zufälligerweise in mir der Traum aufstiege "so war es sonst nicht": dan würde mich die Vergangenheit mit ihren magischen Qualen niederdrücken, ich würde von allen weggezognen Tagen noch einmal mit vollen Augen Abschied nehmen und ich würde zu viel leiden -- -- Nein! Sondern es bleibe lieber wie es war d. h. ich habe30 nichts verloren als meine Auslegungen. Die bisherigen Zeichen Ihrer Freundschaft dauern fort und ändern blos die Bedeutung, die ich in sie legte; Sie sind die Henriette gegen mich (Jakobi[s] Sch[ri]ft[en]), die zwar nicht im Werthe aber doch im Verhältnis einen Woldemar[391] an mir findet. -- Auch ich brauche mein bisheriges Betragen nicht35 zu ändern, da Sie ihm sonst die Auslegung gaben, die ich dem Ihrigen versagte. Und wenn ichs auch brauchte, so könt' ich nicht; und ich hoffe,
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nach einem Sontage mein Blut noch höher fortſiedet — und daß es in der zweiten erkaltet. Ich war nie am Montag vernünftig, aber am Dienſtag wurd’ ichs allemal. Geſtern wars noch mein feſter Entſchlus, Hof lange, und Sie noch weit länger, nicht zu ſehen; und heute dank’ ich dem Himmel, daß ich noch niemand mein Wort darauf gegeben5 als blos einem, um den ich mich gar nichts ſcheere — nämlich mir ſelbſt. Alſo an dem Faſtnachtstage, wo andre Leute ihre Narheit an- fangen, beſchlieſſ’ ich die meinige.
Es wäre aber eine bloſſe Fortſezung derſelben, wenn ich meinem erſten Entſchluſſe, Sie nicht zu ſehen, folgte. Ich würde dan nicht blos10 viele fremde, und meine eigne Freuden zerrütten, Zuſammenkünfte ſtören und alle ſchöne Oerter fliehen müſſen: ſondern dieſer Entſchlus wäre nichts als eine verſtekte Abſicht, mich zu rächen und Sie zu quälen — — Das wil ich nie, das kan ich nie, das hat die Perſon nie verdient, die mir ſo viele ſchöne Stunden gegeben und der ich nichts15 vorzuwerfen habe als — meine Ungenügſamkeit. — —
(Ich erſuche Sie, mir im Konzert dieſes Blat zurükzugeben, weil in Ihrem Hauſe weder ſchriftliche noch mündliche Geheimniſſe eine Freiſtätte haben.)
Mein zweiter Entſchlus war, Sie zugleich zu ſehen und zu vergeſſen,20 meine Augen und meine Worte in Schnee zu vergraben, in den Stellen des verlornen Paradieſes gleichgültig herumzugehen und zu ſagen, es war gar keines da — — Ach das kan ich noch weniger als gar nicht kommen: wenn ich nur eine elende Konzert-Anglaiſe hörte, wenn ich an einem Sommerabend neben Ihnen ſtände, wenn ich einen Geſang25 hörte oder wenn nur zufälligerweiſe in mir der Traum aufſtiege „ſo war es ſonſt nicht“: dan würde mich die Vergangenheit mit ihren magiſchen Qualen niederdrücken, ich würde von allen weggezognen Tagen noch einmal mit vollen Augen Abſchied nehmen und ich würde zu viel leiden — — Nein! Sondern es bleibe lieber wie es war d. h. ich habe30 nichts verloren als meine Auslegungen. Die bisherigen Zeichen Ihrer Freundſchaft dauern fort und ändern blos die Bedeutung, die ich in ſie legte; Sie ſind die Henriette gegen mich (Jakobi[s] Sch[ri]ft[en]), die zwar nicht im Werthe aber doch im Verhältnis einen Woldemar[391] an mir findet. — Auch ich brauche mein bisheriges Betragen nicht35 zu ändern, da Sie ihm ſonſt die Auslegung gaben, die ich dem Ihrigen verſagte. Und wenn ichs auch brauchte, ſo könt’ ich nicht; und ich hoffe,
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Hof lange, und Sie noch weit länger, nicht zu ſehen; und heute dank’
ich dem Himmel, daß ich noch niemand mein Wort darauf gegeben 5
als blos einem, um den ich mich gar nichts ſcheere — nämlich mir
ſelbſt. Alſo an dem Faſtnachtstage, wo andre Leute ihre Narheit an-
fangen, beſchlieſſ’ ich die meinige.
Es wäre aber eine bloſſe Fortſezung derſelben, wenn ich meinem
erſten Entſchluſſe, Sie nicht zu ſehen, folgte. Ich würde dan nicht blos 10
viele fremde, und meine eigne Freuden zerrütten, Zuſammenkünfte
ſtören und alle ſchöne Oerter fliehen müſſen: ſondern dieſer Entſchlus
wäre nichts als eine verſtekte Abſicht, mich zu rächen und Sie zu
quälen — — Das wil ich nie, das kan ich nie, das hat die Perſon nie
verdient, die mir ſo viele ſchöne Stunden gegeben und der ich nichts 15
vorzuwerfen habe als — meine Ungenügſamkeit. — —
(Ich erſuche Sie, mir im Konzert dieſes Blat zurükzugeben, weil
in Ihrem Hauſe weder ſchriftliche noch mündliche Geheimniſſe
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Mein zweiter Entſchlus war, Sie zugleich zu ſehen und zu vergeſſen, 20
meine Augen und meine Worte in Schnee zu vergraben, in den Stellen
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es war gar keines da — — Ach das kan ich noch weniger als gar nicht
kommen: wenn ich nur eine elende Konzert-Anglaiſe hörte, wenn ich an
einem Sommerabend neben Ihnen ſtände, wenn ich einen Geſang 25
hörte oder wenn nur zufälligerweiſe in mir der Traum aufſtiege „ſo war
es ſonſt nicht“: dan würde mich die Vergangenheit mit ihren magiſchen
Qualen niederdrücken, ich würde von allen weggezognen Tagen noch
einmal mit vollen Augen Abſchied nehmen und ich würde zu viel
leiden — — Nein! Sondern es bleibe lieber wie es war d. h. ich habe 30
nichts verloren als meine Auslegungen. Die bisherigen Zeichen Ihrer
Freundſchaft dauern fort und ändern blos die Bedeutung, die ich in
ſie legte; Sie ſind die Henriette gegen mich (Jakobi[s] Sch[ri]ft[en]),
die zwar nicht im Werthe aber doch im Verhältnis einen Woldemar
an mir findet. — Auch ich brauche mein bisheriges Betragen nicht 35
zu ändern, da Sie ihm ſonſt die Auslegung gaben, die ich dem Ihrigen
verſagte. Und wenn ichs auch brauchte, ſo könt’ ich nicht; und ich hoffe,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/399>, abgerufen am 29.11.2024.
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