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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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"Erde mit bedektem Auge und träumt unter seiner Nacht nicht von
"den Thränen, die jezt in jenen Wolken in sein Leben ziehen. O
[389]"Alliebender, mein Herz ist zu weich! Nim aus den Wolken meines
"Menschen alle Thränentropfen -- zertrenne die schwülen -- um-
"golde die trüben -- das Morgenroth der Jugend fliesse über den5
"ganzen Kreis -- und ach wenn die wiederkömt, die Gewitterwolke,
"die schwarz über der gequälten Brust und über dem gedrükten Athem
"steht, o so lege dafür in sie das frische reine Wehen des abgekühlten
"Himmels -- Aber ach da der Mensch doch eine versunkne Wasser-
"pflanze ist, die ihre erschütterten gepresten Blüten mühsam über die10
"Wellen hebt, so lasse mich, wenn eine finstre Wolke nicht weichen
"wil, in der Gestalt eines Gedankens, in der Gestalt eines Liedes, in
"der Gestalt eines Traums mit liebendem Zittern um die verdunkelte
"Seele fallen und sie bebend zwingen zu weinen, damit ich ihr das
"Zeichen gebe, daß ihr guter Genius sie umarmet habe" .....15

Das Schiksal antwortet nie -- die erste Wolke des künftigen Jahres
stand schon am Genius -- -- Er sank auf ihr zu seinem schlafenden
Menschen nieder und umzog ihn damit. -- --

Mein Genius fliegt neben deinem und seine Wolken decken, wenn
Güsse in ihnen liegen, einen tiefen Schatten auf die des meinigen20
und einen Purpurwiederschein, wenn Abendgold sie überzieht. -- O daß
doch den Menschen das Schiksal so zusammendrükt, daß er sein Glük
weniger nach der Farbe als nach der Zahl seiner Wolken schäzen
muß! ...

Tausend Neujahrswünsche!25
Fried. Richter
413. An Amöne Herold.

Der Sontags Abend war das stürmende Aequinokzium, das allemal
den Uebergang von einer Jahrszeit in die andre macht und auf das30
jezt der stillere sanfte wolkenlose vom Julius und Januar gleich weit
entfernte Nachsommer erfolgt. Meine Vorwürfe und Launen sind
jezt geendigt und Ihre Plagen. Ich konte Sie nur misverstehen, weil
ich Ihnen Widersprüche zutrauete -- und diese kont' ich nur zutrauen
[390]und verzeihen, weil ich selber (wenigstens in leidenschaftlichen Stunden)35
daraus bestehe. Z. B. mein gröster ist, daß allemal in der ersten Nacht

„Erde mit bedektem Auge und träumt unter ſeiner Nacht nicht von
„den Thränen, die jezt in jenen Wolken in ſein Leben ziehen. O
[389]„Alliebender, mein Herz iſt zu weich! Nim aus den Wolken meines
„Menſchen alle Thränentropfen — zertrenne die ſchwülen — um-
„golde die trüben — das Morgenroth der Jugend flieſſe über den5
„ganzen Kreis — und ach wenn die wiederkömt, die Gewitterwolke,
„die ſchwarz über der gequälten Bruſt und über dem gedrükten Athem
„ſteht, o ſo lege dafür in ſie das friſche reine Wehen des abgekühlten
„Himmels — Aber ach da der Menſch doch eine verſunkne Waſſer-
„pflanze iſt, die ihre erſchütterten gepreſten Blüten mühſam über die10
„Wellen hebt, ſo laſſe mich, wenn eine finſtre Wolke nicht weichen
„wil, in der Geſtalt eines Gedankens, in der Geſtalt eines Liedes, in
„der Geſtalt eines Traums mit liebendem Zittern um die verdunkelte
„Seele fallen und ſie bebend zwingen zu weinen, damit ich ihr das
„Zeichen gebe, daß ihr guter Genius ſie umarmet habe“ .....15

Das Schikſal antwortet nie — die erſte Wolke des künftigen Jahres
ſtand ſchon am Genius — — Er ſank auf ihr zu ſeinem ſchlafenden
Menſchen nieder und umzog ihn damit. — —

Mein Genius fliegt neben deinem und ſeine Wolken decken, wenn
Güſſe in ihnen liegen, einen tiefen Schatten auf die des meinigen20
und einen Purpurwiederſchein, wenn Abendgold ſie überzieht. — O daß
doch den Menſchen das Schikſal ſo zuſammendrükt, daß er ſein Glük
weniger nach der Farbe als nach der Zahl ſeiner Wolken ſchäzen
muß! …

Tauſend Neujahrswünſche!25
Fried. Richter
413. An Amöne Herold.

Der Sontags Abend war das ſtürmende Aequinokzium, das allemal
den Uebergang von einer Jahrszeit in die andre macht und auf das30
jezt der ſtillere ſanfte wolkenloſe vom Julius und Januar gleich weit
entfernte Nachſommer erfolgt. Meine Vorwürfe und Launen ſind
jezt geendigt und Ihre Plagen. Ich konte Sie nur misverſtehen, weil
ich Ihnen Widerſprüche zutrauete — und dieſe kont’ ich nur zutrauen
[390]und verzeihen, weil ich ſelber (wenigſtens in leidenſchaftlichen Stunden)35
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[370/0398] „Erde mit bedektem Auge und träumt unter ſeiner Nacht nicht von „den Thränen, die jezt in jenen Wolken in ſein Leben ziehen. O „Alliebender, mein Herz iſt zu weich! Nim aus den Wolken meines „Menſchen alle Thränentropfen — zertrenne die ſchwülen — um- „golde die trüben — das Morgenroth der Jugend flieſſe über den 5 „ganzen Kreis — und ach wenn die wiederkömt, die Gewitterwolke, „die ſchwarz über der gequälten Bruſt und über dem gedrükten Athem „ſteht, o ſo lege dafür in ſie das friſche reine Wehen des abgekühlten „Himmels — Aber ach da der Menſch doch eine verſunkne Waſſer- „pflanze iſt, die ihre erſchütterten gepreſten Blüten mühſam über die 10 „Wellen hebt, ſo laſſe mich, wenn eine finſtre Wolke nicht weichen „wil, in der Geſtalt eines Gedankens, in der Geſtalt eines Liedes, in „der Geſtalt eines Traums mit liebendem Zittern um die verdunkelte „Seele fallen und ſie bebend zwingen zu weinen, damit ich ihr das „Zeichen gebe, daß ihr guter Genius ſie umarmet habe“ ..... 15 [389] Das Schikſal antwortet nie — die erſte Wolke des künftigen Jahres ſtand ſchon am Genius — — Er ſank auf ihr zu ſeinem ſchlafenden Menſchen nieder und umzog ihn damit. — — Mein Genius fliegt neben deinem und ſeine Wolken decken, wenn Güſſe in ihnen liegen, einen tiefen Schatten auf die des meinigen 20 und einen Purpurwiederſchein, wenn Abendgold ſie überzieht. — O daß doch den Menſchen das Schikſal ſo zuſammendrükt, daß er ſein Glük weniger nach der Farbe als nach der Zahl ſeiner Wolken ſchäzen muß! … Tauſend Neujahrswünſche! 25 Fried. Richter 413. An Amöne Herold. Am Faſtnachtsmorgen. 93. [12. Febr.] Der Sontags Abend war das ſtürmende Aequinokzium, das allemal den Uebergang von einer Jahrszeit in die andre macht und auf das 30 jezt der ſtillere ſanfte wolkenloſe vom Julius und Januar gleich weit entfernte Nachſommer erfolgt. Meine Vorwürfe und Launen ſind jezt geendigt und Ihre Plagen. Ich konte Sie nur misverſtehen, weil ich Ihnen Widerſprüche zutrauete — und dieſe kont’ ich nur zutrauen und verzeihen, weil ich ſelber (wenigſtens in leidenſchaftlichen Stunden) 35 daraus beſtehe. Z. B. mein gröſter iſt, daß allemal in der erſten Nacht [390]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/398>, abgerufen am 29.11.2024.