Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Gericht hat einige fast blos grammatikalische Noten beigelegt
und wird hier noch einige machen. Die Sachnoten bestehen in einem
Quadrat am Rande (der bekanten Chiffre der Freimäuerer), welches
so viel bedeutet: "es hat mir recht sehr gefallen."

-- -- Der Amtsverwalter war jezt 11/2 Stunden in meiner Gerichts-5
stube. -- --

Ich wil mich einmal ganz wider meine Gewohnheit gar nichts um
wahre Ordnung scheeren -- --

Brüte dein punctum saliens bald zu einem ordentlichen Feder-
Thier aus. Denn da jezt auf jedem Halse ein Kopf mit Regierungs-10
Parallelismen steht: so könte dir einer zwar nicht mit der Vergleichung
oder mit dem Stofe derselben aber doch mit dem Stofe zum Verdachte
vorlaufen, daß er dich -- auf alles gebracht. Es ist ohnehin schon schlim
daß ein Spizbube, der sich der ersten gallischen Hälfte meines Namens
bedient, zu Ostern 94 einige Winke über das Terzianfieber der Welt-15
Revoluzion geben wird, bei denen die Welt, wenn du spät nachgewan-
delt komst, recht leicht merken wird, wer eigentlich das Plagiat be-
gangen.

-- Mach dir vorher einen Bauriß und zeige mir ihn; und theil'
alles in Kapitel ab. Mache Digressionen, aber nicht parterre in20
Noten sondern oben -- im Grunde muß jede Hauptmaterie für einen
Autor nur das Vehikel und das Pillensilber und der Katheder sein, um
darin über alles andre zu reden. --

-- An der Revoluzion des Christenthums must du wenigstens ihre
Unähnlichkeit mit den 3 andern aufklären und bestimmen. So die25
des Muhammedismus. Wäre das Christenthum in die republikanische
Blüte Roms gefallen: so hätt' es seine Aeste und Wurzeln nicht weiter[395]
herumgetrieben als bei uns der Hernhutismus; aber Roms Heiden-
thum war durch frühere Hände gefället als christliche, durch monar-
chische. --30

-- Deine apokalyptischen Träume, womit dein Aufsaz wie die
Bibel entschlummert, unterscheiden sich von Wahrheiten in nichts
als in der Zeit; aber der Unterschied ist um einige Jahre grösser als
du denkst. Denn nur wenn Europa Ein geprestes, abgefressenes Gallien
wäre: dan müste sich dieser Riesengeist aufrichten von seiner über den35
ganzen Welttheil reichenden Lagerstätte. Aber jezt da uns nicht das-
selbe gemeinschaftliche Bedürfnis -- Druk -- Wunsch -- und Geist

Das Gericht hat einige faſt blos grammatikaliſche Noten beigelegt
und wird hier noch einige machen. Die Sachnoten beſtehen in einem
Quadrat am Rande (der bekanten Chiffre der Freimäuerer), welches
ſo viel bedeutet: „es hat mir recht ſehr gefallen.“

— — Der Amtsverwalter war jezt 1½ Stunden in meiner Gerichts-5
ſtube. — —

Ich wil mich einmal ganz wider meine Gewohnheit gar nichts um
wahre Ordnung ſcheeren — —

Brüte dein punctum saliens bald zu einem ordentlichen Feder-
Thier aus. Denn da jezt auf jedem Halſe ein Kopf mit Regierungs-10
Paralleliſmen ſteht: ſo könte dir einer zwar nicht mit der Vergleichung
oder mit dem Stofe derſelben aber doch mit dem Stofe zum Verdachte
vorlaufen, daß er dich — auf alles gebracht. Es iſt ohnehin ſchon ſchlim
daß ein Spizbube, der ſich der erſten galliſchen Hälfte meines Namens
bedient, zu Oſtern 94 einige Winke über das Terzianfieber der Welt-15
Revoluzion geben wird, bei denen die Welt, wenn du ſpät nachgewan-
delt komſt, recht leicht merken wird, wer eigentlich das Plagiat be-
gangen.

— Mach dir vorher einen Bauriß und zeige mir ihn; und theil’
alles in Kapitel ab. Mache Digreſſionen, aber nicht parterre in20
Noten ſondern oben — im Grunde muß jede Hauptmaterie für einen
Autor nur das Vehikel und das Pillenſilber und der Katheder ſein, um
darin über alles andre zu reden. —

— An der Revoluzion des Chriſtenthums muſt du wenigſtens ihre
Unähnlichkeit mit den 3 andern aufklären und beſtimmen. So die25
des Muhammediſmus. Wäre das Chriſtenthum in die republikaniſche
Blüte Roms gefallen: ſo hätt’ es ſeine Aeſte und Wurzeln nicht weiter[395]
herumgetrieben als bei uns der Hernhutiſmus; aber Roms Heiden-
thum war durch frühere Hände gefället als chriſtliche, durch monar-
chiſche. —30

— Deine apokalyptiſchen Träume, womit dein Aufſaz wie die
Bibel entſchlummert, unterſcheiden ſich von Wahrheiten in nichts
als in der Zeit; aber der Unterſchied iſt um einige Jahre gröſſer als
du denkſt. Denn nur wenn Europa Ein gepreſtes, abgefreſſenes Gallien
wäre: dan müſte ſich dieſer Rieſengeiſt aufrichten von ſeiner über den35
ganzen Welttheil reichenden Lagerſtätte. Aber jezt da uns nicht daſ-
ſelbe gemeinſchaftliche Bedürfnis — Druk — Wunſch — und Geiſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0403" n="375"/>
        <p>Das Gericht hat einige fa&#x017F;t blos grammatikali&#x017F;che Noten beigelegt<lb/>
und wird hier noch einige machen. Die Sachnoten be&#x017F;tehen in einem<lb/>
Quadrat am Rande (der bekanten Chiffre der Freimäuerer), welches<lb/>
&#x017F;o viel bedeutet: &#x201E;es hat mir recht &#x017F;ehr gefallen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x2014; Der Amtsverwalter war jezt 1½ Stunden in meiner Gerichts-<lb n="5"/>
&#x017F;tube. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ich wil mich einmal ganz wider meine Gewohnheit gar nichts um<lb/>
wahre Ordnung &#x017F;cheeren &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Brüte dein <hi rendition="#aq">punctum saliens</hi> bald zu einem ordentlichen <hi rendition="#g">Feder-</hi><lb/>
Thier aus. Denn da jezt auf jedem Hal&#x017F;e ein Kopf mit Regierungs-<lb n="10"/>
Paralleli&#x017F;men &#x017F;teht: &#x017F;o könte dir einer zwar nicht mit der Vergleichung<lb/>
oder mit dem Stofe der&#x017F;elben aber doch mit dem Stofe zum Verdachte<lb/>
vorlaufen, daß er dich &#x2014; auf alles gebracht. Es i&#x017F;t ohnehin &#x017F;chon &#x017F;chlim<lb/>
daß ein Spizbube, der &#x017F;ich der er&#x017F;ten galli&#x017F;chen Hälfte meines Namens<lb/>
bedient, zu O&#x017F;tern 94 einige Winke über das Terzianfieber der Welt-<lb n="15"/>
Revoluzion geben wird, bei denen die Welt, wenn du &#x017F;pät nachgewan-<lb/>
delt kom&#x017F;t, recht leicht merken wird, wer eigentlich das Plagiat be-<lb/>
gangen.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Mach dir vorher einen Bauriß und zeige mir ihn; und theil&#x2019;<lb/>
alles in Kapitel ab. Mache Digre&#x017F;&#x017F;ionen, aber nicht parterre in<lb n="20"/>
Noten &#x017F;ondern oben &#x2014; im Grunde muß jede Hauptmaterie für einen<lb/>
Autor nur das Vehikel und das Pillen&#x017F;ilber und der Katheder &#x017F;ein, um<lb/>
darin über alles andre zu reden. &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; An der Revoluzion des Chri&#x017F;tenthums mu&#x017F;t du wenig&#x017F;tens ihre<lb/>
Unähnlichkeit mit den 3 andern aufklären und be&#x017F;timmen. So die<lb n="25"/>
des Muhammedi&#x017F;mus. Wäre das Chri&#x017F;tenthum in die republikani&#x017F;che<lb/>
Blüte Roms gefallen: &#x017F;o hätt&#x2019; es &#x017F;eine Ae&#x017F;te und Wurzeln nicht weiter<note place="right"><ref target="1922_Bd#_395">[395]</ref></note><lb/>
herumgetrieben als bei uns der Hernhuti&#x017F;mus; aber Roms Heiden-<lb/>
thum war durch frühere Hände gefället als chri&#x017F;tliche, durch monar-<lb/>
chi&#x017F;che. &#x2014;<lb n="30"/>
</p>
        <p>&#x2014; Deine apokalypti&#x017F;chen Träume, womit dein Auf&#x017F;az wie die<lb/>
Bibel ent&#x017F;chlummert, unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich von Wahrheiten in nichts<lb/>
als in der Zeit; aber der Unter&#x017F;chied i&#x017F;t um einige Jahre grö&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
du denk&#x017F;t. Denn nur wenn Europa Ein gepre&#x017F;tes, abgefre&#x017F;&#x017F;enes Gallien<lb/>
wäre: dan mü&#x017F;te &#x017F;ich die&#x017F;er Rie&#x017F;engei&#x017F;t aufrichten von &#x017F;einer über den<lb n="35"/>
ganzen Welttheil reichenden Lager&#x017F;tätte. Aber jezt da uns nicht da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe gemein&#x017F;chaftliche Bedürfnis &#x2014; Druk &#x2014; Wun&#x017F;ch &#x2014; und Gei&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0403] Das Gericht hat einige faſt blos grammatikaliſche Noten beigelegt und wird hier noch einige machen. Die Sachnoten beſtehen in einem Quadrat am Rande (der bekanten Chiffre der Freimäuerer), welches ſo viel bedeutet: „es hat mir recht ſehr gefallen.“ — — Der Amtsverwalter war jezt 1½ Stunden in meiner Gerichts- 5 ſtube. — — Ich wil mich einmal ganz wider meine Gewohnheit gar nichts um wahre Ordnung ſcheeren — — Brüte dein punctum saliens bald zu einem ordentlichen Feder- Thier aus. Denn da jezt auf jedem Halſe ein Kopf mit Regierungs- 10 Paralleliſmen ſteht: ſo könte dir einer zwar nicht mit der Vergleichung oder mit dem Stofe derſelben aber doch mit dem Stofe zum Verdachte vorlaufen, daß er dich — auf alles gebracht. Es iſt ohnehin ſchon ſchlim daß ein Spizbube, der ſich der erſten galliſchen Hälfte meines Namens bedient, zu Oſtern 94 einige Winke über das Terzianfieber der Welt- 15 Revoluzion geben wird, bei denen die Welt, wenn du ſpät nachgewan- delt komſt, recht leicht merken wird, wer eigentlich das Plagiat be- gangen. — Mach dir vorher einen Bauriß und zeige mir ihn; und theil’ alles in Kapitel ab. Mache Digreſſionen, aber nicht parterre in 20 Noten ſondern oben — im Grunde muß jede Hauptmaterie für einen Autor nur das Vehikel und das Pillenſilber und der Katheder ſein, um darin über alles andre zu reden. — — An der Revoluzion des Chriſtenthums muſt du wenigſtens ihre Unähnlichkeit mit den 3 andern aufklären und beſtimmen. So die 25 des Muhammediſmus. Wäre das Chriſtenthum in die republikaniſche Blüte Roms gefallen: ſo hätt’ es ſeine Aeſte und Wurzeln nicht weiter herumgetrieben als bei uns der Hernhutiſmus; aber Roms Heiden- thum war durch frühere Hände gefället als chriſtliche, durch monar- chiſche. — 30 [395]— Deine apokalyptiſchen Träume, womit dein Aufſaz wie die Bibel entſchlummert, unterſcheiden ſich von Wahrheiten in nichts als in der Zeit; aber der Unterſchied iſt um einige Jahre gröſſer als du denkſt. Denn nur wenn Europa Ein gepreſtes, abgefreſſenes Gallien wäre: dan müſte ſich dieſer Rieſengeiſt aufrichten von ſeiner über den 35 ganzen Welttheil reichenden Lagerſtätte. Aber jezt da uns nicht daſ- ſelbe gemeinſchaftliche Bedürfnis — Druk — Wunſch — und Geiſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/403
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/403>, abgerufen am 29.11.2024.