Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.seinem Begräbnistage. Die Krusianer sind fast mit ihrem Stifter *) Nach ihrem Tod sieht man erst zurük, und umfast den ganzen Kreis ihrer
durchlaufnen Ban; man lobt sie vor dem Tode nicht so unumschränkt, weil man sie immer zu grössern Taten anlokken wil, und ihr Bestreben nach grösserer künftiger35 Volkommenheit nicht durch die zu grosse Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern wil. -- ſeinem Begräbnistage. Die Kruſianer ſind faſt mit ihrem Stifter *) Nach ihrem Tod ſieht man erſt zurük, und umfaſt den ganzen Kreis ihrer
durchlaufnen Ban; man lobt ſie vor dem Tode nicht ſo unumſchränkt, weil man ſie immer zu gröſſern Taten anlokken wil, und ihr Beſtreben nach gröſſerer 〈künftiger〉35 Volkommenheit nicht durch die zu groſſe Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern wil. — <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="27"/> ſeinem Begräbnistage. Die Kruſianer ſind faſt mit ihrem Stifter<lb/> verloſchen; man iſt im Jar 1781 zu auf<metamark>[</metamark>geklärt<metamark>]</metamark>, um ganz Kruſianer zu<lb/> ſein, wenigſtens zu klug, um es zu ſagen. Nicht ganz aber faſt eben ſo<lb/> iſt’s mit den Erneſti<metamark>[</metamark>anern<metamark>]</metamark>. Man hängt nur einem groſſen Manne in<lb/> ſeinem Leben eifrig an, und verteidigt ſeine Feler mit demſelben Eifer,<lb n="5"/> wie ſeine Tugenden; natürlich deswegen, weil es Nuzzen für uns iſt,<lb/> dem groſſen Manne zum Schilde gegen die Streiche ſeiner Neider zu<lb/> dienen, und Ere, ſich ſeinen Freund zu nennen. Mit ſeinem Tod ſtirbt<lb/> unſre Anhänglichkeit an ihm <metamark>[</metamark>!<metamark>]</metamark>; wir loben nur <metamark>[?]</metamark> das, was ieder lobt,<lb/> und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten. Von<lb n="10"/> beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt hab’ ich die Be-<lb/> merkung gemacht, daß ein groſſer Man nicht lange leben mus, um<lb/> immer mit Rume zu leben. Man erwartet von ihm unaufhörlich neue<lb/> Monumente ſeiner Gröſſe, und man macht ſich von ihm einen ſo volkom-<lb/> nen Begrif, daß man ſeine vergangnen Taten blos für Herolde von<lb n="15"/> der Gröſſe der zukünftigen anſieht. Man wendet nur immer ſein Auge<lb/> vorwärts; man ſieht immer das was er iſt, und vergiſſet, was er ge-<lb/> weſen iſt — man bewundert ihn nicht mer, wenn man an ihm immer<lb/> daſſelbe bewundern mus — er überlebt ſich ſelbſt<note place="foot" n="*)">Nach ihrem Tod ſieht man erſt zurük, und umfaſt den ganzen Kreis ihrer<lb/> durchlaufnen Ban; man lobt ſie vor dem Tode nicht ſo unumſchränkt, weil man ſie<lb/> immer zu gröſſern Taten anlokken wil, und ihr Beſtreben nach gröſſerer 〈künftiger〉<lb n="35"/> Volkommenheit nicht durch die zu groſſe Erhebung der geg<metamark>[</metamark>enwärtigen<metamark>]</metamark> verhindern<lb/> wil. —</note>. So gieng’s mit<lb/> dem groſſen <hi rendition="#aq">Young</hi> in England; und faſt eben ſo mit dem gelerten<lb n="20"/> Erneſti in Leipzig. Vermittelſt des Körpers ſtehen wir mit den andern<lb/> in Verbindung; und ein groſſer Geiſt <metamark>[</metamark>vermag?<metamark>]</metamark> nur erſt den eigent-<lb/> lichen Körper, den Rum, der ihn <metamark>[</metamark>in<metamark>]</metamark> die unaufhörliche Verbindung<note place="right"><ref target="1922_Bd#_29">[29]</ref></note><lb/> mit allen Menſchen ſezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen ab-<lb/> gelegt hat. Vergeben Sie mir dieſe Anmerkungen und Ausſchwei-<lb n="25"/> fungen, die die erſten ſind; vergeben Sie zugleich die groſſe Menge derer,<lb/> die Sie in dieſem Briefe noch zu erwarten haben. — Halten Sie mich<lb/> für fähig, mit unter der Klaſſe derer zu ſtehen, die an iedem groſſen<lb/> Man die Feler aufſuchen, dieſe Raben des Parnaſſes, die ſich nur vom<lb/> As nären — dieſe Harpyien, die mit dem Un<metamark>[</metamark>rat der<metamark>]</metamark> Verläumdung<lb n="30"/> iedes Verdienſt beflekken? — Was Sie vom Rum ſagen iſt richtig; was<lb/> ich davon geſagt habe, iſt unrichtig. Ich habe nie den Rum mit Gleich-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [27/0050]
ſeinem Begräbnistage. Die Kruſianer ſind faſt mit ihrem Stifter
verloſchen; man iſt im Jar 1781 zu auf[geklärt], um ganz Kruſianer zu
ſein, wenigſtens zu klug, um es zu ſagen. Nicht ganz aber faſt eben ſo
iſt’s mit den Erneſti[anern]. Man hängt nur einem groſſen Manne in
ſeinem Leben eifrig an, und verteidigt ſeine Feler mit demſelben Eifer, 5
wie ſeine Tugenden; natürlich deswegen, weil es Nuzzen für uns iſt,
dem groſſen Manne zum Schilde gegen die Streiche ſeiner Neider zu
dienen, und Ere, ſich ſeinen Freund zu nennen. Mit ſeinem Tod ſtirbt
unſre Anhänglichkeit an ihm [!]; wir loben nur [?] das, was ieder lobt,
und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten. Von 10
beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt hab’ ich die Be-
merkung gemacht, daß ein groſſer Man nicht lange leben mus, um
immer mit Rume zu leben. Man erwartet von ihm unaufhörlich neue
Monumente ſeiner Gröſſe, und man macht ſich von ihm einen ſo volkom-
nen Begrif, daß man ſeine vergangnen Taten blos für Herolde von 15
der Gröſſe der zukünftigen anſieht. Man wendet nur immer ſein Auge
vorwärts; man ſieht immer das was er iſt, und vergiſſet, was er ge-
weſen iſt — man bewundert ihn nicht mer, wenn man an ihm immer
daſſelbe bewundern mus — er überlebt ſich ſelbſt *). So gieng’s mit
dem groſſen Young in England; und faſt eben ſo mit dem gelerten 20
Erneſti in Leipzig. Vermittelſt des Körpers ſtehen wir mit den andern
in Verbindung; und ein groſſer Geiſt [vermag?] nur erſt den eigent-
lichen Körper, den Rum, der ihn [in] die unaufhörliche Verbindung
mit allen Menſchen ſezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen ab-
gelegt hat. Vergeben Sie mir dieſe Anmerkungen und Ausſchwei- 25
fungen, die die erſten ſind; vergeben Sie zugleich die groſſe Menge derer,
die Sie in dieſem Briefe noch zu erwarten haben. — Halten Sie mich
für fähig, mit unter der Klaſſe derer zu ſtehen, die an iedem groſſen
Man die Feler aufſuchen, dieſe Raben des Parnaſſes, die ſich nur vom
As nären — dieſe Harpyien, die mit dem Un[rat der] Verläumdung 30
iedes Verdienſt beflekken? — Was Sie vom Rum ſagen iſt richtig; was
ich davon geſagt habe, iſt unrichtig. Ich habe nie den Rum mit Gleich-
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*) Nach ihrem Tod ſieht man erſt zurük, und umfaſt den ganzen Kreis ihrer
durchlaufnen Ban; man lobt ſie vor dem Tode nicht ſo unumſchränkt, weil man ſie
immer zu gröſſern Taten anlokken wil, und ihr Beſtreben nach gröſſerer 〈künftiger〉 35
Volkommenheit nicht durch die zu groſſe Erhebung der geg[enwärtigen] verhindern
wil. —
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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