und sie der Sache entziehen, in der man Fortgänge machen würde. "Aber eben dadurch verdienst du dein Brod" [ist] der elendeste Ein- wurf, der gemacht werden kan. Ich wüste keine Sache in der Welt, durch welche man sich nicht Brod erwerben könte. Ich wil das ver- schweigen, daß der nie weit komt, der sich in seinen Studien blos die5 Erwerbung eines notwendigen Bedürfnisses zum Endzwek sezt -- "allein in dem einen mer, in dem andern weniger!" Dies zugegeben; so weis ich nicht, ob ich in dem mein Brod erwerben werde, wozu ich keine Kräfte füle, keine Lust empfinde, und in welchem ich also nur wenig [?] Fortgänge mache, oder in dem, in welchem mich mein Vergnügen10 anspornt, [mir] meine Kräfte forthelfen ........ -- Man mus ganz für eine Wissenschaft leben, ihr iede Kraft, iedes Vergnügen, ieden Augenblik aufopfern, und sich mit den andern nur deswegen be- schäftigen, insofern sie der unsrigen einen Fortgang verschaffen. Und entgeht mir durch die sond[erbare] Verwiklung von äussern Um-15 ständen der unbedeutende Nuzzen, der iedem schlechten Kopf sein Ziel ist, so wird mir das warlich dadurch wieder zehnfach ersezt, daß ich in [34]der Betreibung meiner Wissenschaft die Selenwollust geniesse, die [aus] ieder Beschäftigung mit Warheiten quilt, den Reiz empfinde, den für mich iede Äusserung meiner Kräfte hat, und vielleicht auch die20 Ere geniesse, die ihm über kurz oder lang zu teil wird. Dies ist meine Verteidigung. Sonst las ich blos philosophische Schriften; iezt noch lieber wizzige, beredte, bilderreiche. Ich trieb sonst die französische Sprache noch [?] nicht; iezt les' ich die französischen Bücher lieber als deutsche Bücher. Der Wiz eines Voltaires, die Beredsamkeit eines25 Rousseaus, der prächtige Stil eines Helvezius, die feinen Bemer- kungen eines Toussaint's -- alles dieses treibt mich zum Studium der französischen Sprache. Ich glaube nicht, daß ich lerne; sondern nur, daß ich mich vergnüge; mit den Eindrükken der schönen Sentenzen [?], der wizzigen Einfälle, u. s. w. bleibt auch zugleich die Erinnerung von30 der Art, wie sie ausgedrukt [!] wurden, zurük. Ich las den Pope; er entzükt mich; eben so der Young. Er ist unf[elbar] in der englischen Sprache noch viel herlicher. Ich lerne sie iezt; und vorz[üglich] um die vortrefliche Wochenschrift den Zuschauer zu lesen, von der wir im Deutschen eine elende Übersezzung haben. Die Beredsamkeit des35 Rousseau entzükt mich; ich fand sie im Zizero und Seneka -- ich liebe diese beiden iezt über alles und gäbe ihre Lektüre um keines der besten
und ſie der Sache entziehen, in der man Fortgänge machen würde. „Aber eben dadurch verdienſt du dein Brod“ [iſt] der elendeſte Ein- wurf, der gemacht werden kan. Ich wüſte keine Sache in der Welt, durch welche man ſich nicht Brod erwerben könte. Ich wil das ver- ſchweigen, daß der nie weit komt, der ſich in ſeinen Studien blos die5 Erwerbung eines notwendigen Bedürfniſſes zum Endzwek ſezt — „allein in dem einen mer, in dem andern weniger!“ Dies zugegeben; ſo weis ich nicht, ob ich in dem mein Brod erwerben werde, wozu ich keine Kräfte füle, keine Luſt empfinde, und in welchem ich alſo nur wenig [?] Fortgänge mache, oder in dem, in welchem mich mein Vergnügen10 anſpornt, [mir] meine Kräfte forthelfen ........ — Man mus ganz für eine Wiſſenſchaft leben, ihr iede Kraft, iedes Vergnügen, ieden Augenblik aufopfern, und ſich mit den andern nur deswegen be- ſchäftigen, inſofern ſie der unſrigen einen Fortgang verſchaffen. Und entgeht mir durch die ſond[erbare] Verwiklung von äuſſern Um-15 ſtänden der unbedeutende Nuzzen, der iedem ſchlechten Kopf ſein Ziel iſt, ſo wird mir das warlich dadurch wieder zehnfach erſezt, daß ich in [34]der Betreibung meiner Wiſſenſchaft die Selenwolluſt genieſſe, die [aus] ieder Beſchäftigung mit Warheiten quilt, den Reiz empfinde, den für mich iede Äuſſerung meiner Kräfte hat, und vielleicht auch die20 Ere genieſſe, die ihm über kurz oder lang zu teil wird. Dies iſt meine Verteidigung. Sonſt las ich blos philoſophiſche Schriften; iezt noch lieber wizzige, beredte, bilderreiche. Ich trieb ſonſt die franzöſiſche Sprache noch [?] nicht; iezt leſ’ ich die franzöſiſchen Bücher lieber als deutſche Bücher. Der Wiz eines Voltaires, die Beredſamkeit eines25 Rouſſeaus, der prächtige Stil eines Helvezius, die feinen Bemer- kungen eines Touſſaint’s — alles dieſes treibt mich zum Studium der franzöſiſchen Sprache. Ich glaube nicht, daß ich lerne; ſondern nur, daß ich mich vergnüge; mit den Eindrükken der ſchönen Sentenzen [?], der wizzigen Einfälle, u. ſ. w. bleibt auch zugleich die Erinnerung von30 der Art, wie ſie ausgedrukt [!] wurden, zurük. Ich las den Pope; er entzükt mich; eben ſo der Young. Er iſt unf[elbar] in der engliſchen Sprache noch viel herlicher. Ich lerne ſie iezt; und vorz[üglich] um die vortrefliche Wochenſchrift den Zuſchauer zu leſen, von der wir im Deutſchen eine elende Überſezzung haben. Die Beredſamkeit des35 Rouſſeau entzükt mich; ich fand ſie im Zizero und Seneka — ich liebe dieſe beiden iezt über alles und gäbe ihre Lektüre um keines der beſten
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ſchweigen, daß der nie weit komt, der ſich in ſeinen Studien blos die 5
Erwerbung eines notwendigen Bedürfniſſes zum Endzwek ſezt —
„allein in dem einen mer, in dem andern weniger!“ Dies zugegeben; ſo
weis ich nicht, ob ich in dem mein Brod erwerben werde, wozu ich keine
Kräfte füle, keine Luſt empfinde, und in welchem ich alſo nur wenig [?]
Fortgänge mache, oder in dem, in welchem mich mein Vergnügen 10
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für eine Wiſſenſchaft leben, ihr iede Kraft, iedes Vergnügen, ieden
Augenblik aufopfern, und ſich mit den andern nur deswegen be-
ſchäftigen, inſofern ſie der unſrigen einen Fortgang verſchaffen. Und
entgeht mir durch die ſond[erbare] Verwiklung von äuſſern Um- 15
ſtänden der unbedeutende Nuzzen, der iedem ſchlechten Kopf ſein Ziel
iſt, ſo wird mir das warlich dadurch wieder zehnfach erſezt, daß ich in
der Betreibung meiner Wiſſenſchaft die Selenwolluſt genieſſe, die
[aus] ieder Beſchäftigung mit Warheiten quilt, den Reiz empfinde,
den für mich iede Äuſſerung meiner Kräfte hat, und vielleicht auch die 20
Ere genieſſe, die ihm über kurz oder lang zu teil wird. Dies iſt meine
Verteidigung. Sonſt las ich blos philoſophiſche Schriften; iezt noch
lieber wizzige, beredte, bilderreiche. Ich trieb ſonſt die franzöſiſche
Sprache noch [?] nicht; iezt leſ’ ich die franzöſiſchen Bücher lieber als
deutſche Bücher. Der Wiz eines Voltaires, die Beredſamkeit eines 25
Rouſſeaus, der prächtige Stil eines Helvezius, die feinen Bemer-
kungen eines Touſſaint’s — alles dieſes treibt mich zum Studium der
franzöſiſchen Sprache. Ich glaube nicht, daß ich lerne; ſondern nur,
daß ich mich vergnüge; mit den Eindrükken der ſchönen Sentenzen [?],
der wizzigen Einfälle, u. ſ. w. bleibt auch zugleich die Erinnerung von 30
der Art, wie ſie ausgedrukt [!] wurden, zurük. Ich las den Pope; er
entzükt mich; eben ſo der Young. Er iſt unf[elbar] in der engliſchen
Sprache noch viel herlicher. Ich lerne ſie iezt; und vorz[üglich] um die
vortrefliche Wochenſchrift den Zuſchauer zu leſen, von der wir im
Deutſchen eine elende Überſezzung haben. Die Beredſamkeit des 35
Rouſſeau entzükt mich; ich fand ſie im Zizero und Seneka — ich liebe
dieſe beiden iezt über alles und gäbe ihre Lektüre um keines der beſten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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