Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.[137]einem sanften Anschauen Ihres Bildes schliessen. Mein Geist ist jezt "ich kenne dich, liebe Gestalt, dein Bild wohnt in mir und nur dein Beste Freundin, ich solte kaum mit Ihnen in einer Stunde sprechen, Ihr Freund Richter 214. An Christian Otto. [Hof, 31. Dez. 1795]Ich schicke dir das Ende gar, aber eben darum weil ich unter dem30 [138]215. An Christian Otto. [Hof, 1795? 1796?]Der arme Custine sizt bei mir und hat heute noch nicht gegessen. Er35 [137]einem ſanften Anſchauen Ihres Bildes ſchlieſſen. Mein Geiſt iſt jezt „ich kenne dich, liebe Geſtalt, dein Bild wohnt in mir und nur dein Beſte Freundin, ich ſolte kaum mit Ihnen in einer Stunde ſprechen, Ihr Freund Richter 214. An Chriſtian Otto. [Hof, 31. Dez. 1795]Ich ſchicke dir das Ende gar, aber eben darum weil ich unter dem30 [138]215. An Chriſtian Otto. [Hof, 1795? 1796?]Der arme Custine ſizt bei mir und hat heute noch nicht gegeſſen. Er35 <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0151" n="140"/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_137">[137]</ref></note>einem ſanften Anſchauen Ihres Bildes ſchlieſſen. Mein Geiſt iſt jezt<lb/> müde, aber mein Herz iſt vol. In dieſer holden eiligen Minute ſezet<lb/> ſich aus allen Ihren Tugenden und Reizen eine reine ſchöne erhobene<lb/> Geſtalt zuſammen, von der das Irdiſche und Mangelhafte gleichſam wie<lb/> bei einer Auferſtehung abfället für dieſe Minute und die ich, umgeben<lb n="5"/> von den 365 Gräbern Eines Jahres, mit zu weicher Seele anſchaue<lb/> und anrede:</p><lb/> <p>„ich kenne dich, liebe Geſtalt, dein Bild wohnt in mir und nur dein<lb/> „Urbild iſt oft bedekt oder bewölkt — nim wieder, Theuere, was du ſo<lb/> „oft bekamſt, meine volle reine heiſſe Freundſchaft und gieb mir dafür<lb n="10"/> „ebenſoviel, auch deine ganze Freundſchaft — Wir können uns nicht<lb/> „vergeſſen, obwol verfehlen — Verwiſche deine Flecken, damit meine<lb/> „vergehen! — Und ſo wollen wir wieder und wieder, mit ſo ähnlichen<lb/> „Herzen mitten unter den Ruinen eines ſo kleinen zerſtükten zerbrochnen<lb/> „Lebens einander die Hände reichen und ſagen: wir wollen uns nicht<lb n="15"/> „mehr vergeſſen.“</p><lb/> <p>Beſte Freundin, ich ſolte kaum mit Ihnen in einer Stunde ſprechen,<lb/> wo ſo viele vorhergehende Rührungen mir die Herſchaft über die jezige<lb/> genommen — und doch ſehnt’ ich mich ordentlich nach dieſem Augen-<lb/> blik, wo ich Ihnen mitten im Bewuſtſein eines zu heftig ſchlagenden<lb n="20"/> Herzens dieſes öfnen und Ihnen ſeinen Inhalt zeigen kan; nämlich alle<lb/> ſeine Wünſche für Sie — und alle ſeine Erinnerungen an Ihre trüben<lb/> Tage — und alle Erinnerungen an die erhabnen Minuten unſers<lb/> Einklangs — und alles, was die Freundſchaft ſtammeln kan, ehe ſie in<lb/> lauter Wonne verſtumt.<lb n="25"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Ihr Freund<lb/> Richter</hi> </salute> </closer> </div> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>214. An <hi rendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 31. Dez. 1795]</hi> </dateline><lb/> <p>Ich ſchicke dir das Ende gar, aber eben <hi rendition="#g">darum</hi> weil ich unter dem<lb n="30"/> Schreiben nicht daran dachte, daß ich dirs ſchicken wolte. Sei ſo gut<lb/> und remittiere mirs in einer ½ Stunde.</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head><note place="left"><ref target="1922_Bd2_138">[138]</ref></note>215. An <hi rendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/> <byline>Eiligſt</byline> <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 1795? 1796?]</hi> </dateline><lb/> <p>Der arme <hi rendition="#aq">Custine</hi> ſizt bei mir und hat heute noch nicht gegeſſen. Er<lb n="35"/> bat mich um ein Paar Kronen. Wenn er weiter reiſet, mus er die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [140/0151]
einem ſanften Anſchauen Ihres Bildes ſchlieſſen. Mein Geiſt iſt jezt
müde, aber mein Herz iſt vol. In dieſer holden eiligen Minute ſezet
ſich aus allen Ihren Tugenden und Reizen eine reine ſchöne erhobene
Geſtalt zuſammen, von der das Irdiſche und Mangelhafte gleichſam wie
bei einer Auferſtehung abfället für dieſe Minute und die ich, umgeben 5
von den 365 Gräbern Eines Jahres, mit zu weicher Seele anſchaue
und anrede:
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„ich kenne dich, liebe Geſtalt, dein Bild wohnt in mir und nur dein
„Urbild iſt oft bedekt oder bewölkt — nim wieder, Theuere, was du ſo
„oft bekamſt, meine volle reine heiſſe Freundſchaft und gieb mir dafür 10
„ebenſoviel, auch deine ganze Freundſchaft — Wir können uns nicht
„vergeſſen, obwol verfehlen — Verwiſche deine Flecken, damit meine
„vergehen! — Und ſo wollen wir wieder und wieder, mit ſo ähnlichen
„Herzen mitten unter den Ruinen eines ſo kleinen zerſtükten zerbrochnen
„Lebens einander die Hände reichen und ſagen: wir wollen uns nicht 15
„mehr vergeſſen.“
Beſte Freundin, ich ſolte kaum mit Ihnen in einer Stunde ſprechen,
wo ſo viele vorhergehende Rührungen mir die Herſchaft über die jezige
genommen — und doch ſehnt’ ich mich ordentlich nach dieſem Augen-
blik, wo ich Ihnen mitten im Bewuſtſein eines zu heftig ſchlagenden 20
Herzens dieſes öfnen und Ihnen ſeinen Inhalt zeigen kan; nämlich alle
ſeine Wünſche für Sie — und alle ſeine Erinnerungen an Ihre trüben
Tage — und alle Erinnerungen an die erhabnen Minuten unſers
Einklangs — und alles, was die Freundſchaft ſtammeln kan, ehe ſie in
lauter Wonne verſtumt. 25
Ihr Freund
Richter
214. An Chriſtian Otto.
[Hof, 31. Dez. 1795]
Ich ſchicke dir das Ende gar, aber eben darum weil ich unter dem 30
Schreiben nicht daran dachte, daß ich dirs ſchicken wolte. Sei ſo gut
und remittiere mirs in einer ½ Stunde.
215. An Chriſtian Otto.
Eiligſt[Hof, 1795? 1796?]
Der arme Custine ſizt bei mir und hat heute noch nicht gegeſſen. Er 35
bat mich um ein Paar Kronen. Wenn er weiter reiſet, mus er die
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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