verlangt und die andre keine gewährt: diese ist im Fal der Sonne, die auch eben nichts dafür kan, wenn sie angebetet wird anstat bewundert zu werden. Blos gemildert mus sein Enthusiasmus zu einem Grade werden, daß er nur Freuden und keine Schmerzen mehr giebt. Sie müssen aus einer Sonne ein Mond werden: jene zieht seinen Blumen5 die Farbe aus, sein Herz schliesset sich, wenn eine Wolke darüber zieht. Aber die Abwesenheit des Mondes ertragen wir ruhiger und wenn er endlich kömt, bringt er uns ein stilles Licht ohne Gluth, schöne Phan- tasien und Erinnerungen mit. Und diese glükliche Milderung seiner Neigung mus er aus Ihrer Hand empfangen, wenn sie ihm das Ge-10 schenk Ihrer Briefe anders giebt: Z. B. Das bisherige sehnende War- ten von Posttag zu Posttag entzündete seine Phantasie und verdoppelte seine Qual und seine Neigung. Wenn Sie aber die feste Bedingung machten, daß Sie ihm alzeit nach 4, oder 6 etc. Wochen gewisschrieben: so fiele jenes hinweg. Sie könten die Zwischenräume der Briefe al-15 mählig ausdehnen. Auch werden diese seine Liebe mildern, wenn Sie ihn darin nicht bestreiten -- wenn Sie ihm blos frohe Begeben- heiten mittheilen -- wenn Sie von keinen Leiden darin sprechen. Und mög' Ihnen das Schiksal den Stof selber dazu nehmen! -- Können Sie keine lange litterarische Arbeit von ihm fodern, die seinem Kopf einen20 Spielraum gäbe, die aber freilich nicht zu nahe an die wunden Stellen seines Herzens gränzen müste? -- Käm' er freilich wieder nach Bay- reuth: so wäre fast kein Gegen-Mittel -- ausgenommen zwei kleine, die aber unser Geschlecht leichter gebrauchen kan als das Ihrige, erst- lich keine Minute ernsthaft, und zweitens immer ohne Zeugen zu sein.25 Man liebt eine Person stärker, wenn der Zwang der Visitten-Nachbar- schaft die Zunge bindet, daher junge Ehemänner ihre Flitterwochen- bräute wieder stärker lieben, wenn sie mit ihnen an fremden Orten und vor Zeugen sind.
[180]Kurz Ihre Briefe sind seine Rezepte. Einer von mir an ihn mus seine30 Heilungskraft erst aus -- Ihrer Hand erlangen. Wenn ich die Wonnemonats-Freude, Sie gesprochen zu haben, werde genossen haben: dan kan ich besser als jezt -- da er nicht einmal meine Bekant- schaft mit seiner Lage voraussezt -- ihm den einzigen Grund, der ihn bezwingt, ausmalen: daß er unglüklich mache, indem ers ist, und daß er35 dem unschuldigen Herzen, das er verehret, alles raube, was er seinem nimt. --
verlangt und die andre keine gewährt: dieſe iſt im Fal der Sonne, die auch eben nichts dafür kan, wenn ſie angebetet wird anſtat bewundert zu werden. Blos gemildert mus ſein Enthuſiaſmus zu einem Grade werden, daß er nur Freuden und keine Schmerzen mehr giebt. Sie müſſen aus einer Sonne ein Mond werden: jene zieht ſeinen Blumen5 die Farbe aus, ſein Herz ſchlieſſet ſich, wenn eine Wolke darüber zieht. Aber die Abweſenheit des Mondes ertragen wir ruhiger und wenn er endlich kömt, bringt er uns ein ſtilles Licht ohne Gluth, ſchöne Phan- taſien und Erinnerungen mit. Und dieſe glükliche Milderung ſeiner Neigung mus er aus Ihrer Hand empfangen, wenn ſie ihm das Ge-10 ſchenk Ihrer Briefe anders giebt: Z. B. Das bisherige ſehnende War- ten von Poſttag zu Poſttag entzündete ſeine Phantaſie und verdoppelte ſeine Qual und ſeine Neigung. Wenn Sie aber die feſte Bedingung machten, daß Sie ihm alzeit nach 4, oder 6 ꝛc. Wochen gewisſchrieben: ſo fiele jenes hinweg. Sie könten die Zwiſchenräume der Briefe al-15 mählig ausdehnen. Auch werden dieſe ſeine Liebe mildern, wenn Sie ihn darin nicht beſtreiten — wenn Sie ihm blos frohe Begeben- heiten mittheilen — wenn Sie von keinen Leiden darin ſprechen. Und mög’ Ihnen das Schikſal den Stof ſelber dazu nehmen! — Können Sie keine lange litterariſche Arbeit von ihm fodern, die ſeinem Kopf einen20 Spielraum gäbe, die aber freilich nicht zu nahe an die wunden Stellen ſeines Herzens gränzen müſte? — Käm’ er freilich wieder nach Bay- reuth: ſo wäre faſt kein Gegen-Mittel — ausgenommen zwei kleine, die aber unſer Geſchlecht leichter gebrauchen kan als das Ihrige, erſt- lich keine Minute ernſthaft, und zweitens immer ohne Zeugen zu ſein.25 Man liebt eine Perſon ſtärker, wenn der Zwang der Viſitten-Nachbar- ſchaft die Zunge bindet, daher junge Ehemänner ihre Flitterwochen- bräute wieder ſtärker lieben, wenn ſie mit ihnen an fremden Orten und vor Zeugen ſind.
[180]Kurz Ihre Briefe ſind ſeine Rezepte. Einer von mir an ihn mus ſeine30 Heilungskraft erſt aus — Ihrer Hand erlangen. Wenn ich die Wonnemonats-Freude, Sie geſprochen zu haben, werde genoſſen haben: dan kan ich beſſer als jezt — da er nicht einmal meine Bekant- ſchaft mit ſeiner Lage vorausſezt — ihm den einzigen Grund, der ihn bezwingt, ausmalen: daß er unglüklich mache, indem ers iſt, und daß er35 dem unſchuldigen Herzen, das er verehret, alles raube, was er ſeinem nimt. —
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0195"n="182"/>
verlangt und die andre keine gewährt: dieſe iſt im Fal der Sonne, die<lb/>
auch eben nichts dafür kan, wenn ſie angebetet wird anſtat bewundert<lb/>
zu werden. Blos gemildert mus ſein Enthuſiaſmus zu einem Grade<lb/>
werden, daß er nur Freuden und keine Schmerzen mehr giebt. Sie<lb/>
müſſen aus einer Sonne ein Mond werden: jene zieht ſeinen Blumen<lbn="5"/>
die Farbe aus, ſein Herz ſchlieſſet ſich, wenn eine Wolke darüber zieht.<lb/>
Aber die Abweſenheit des Mondes ertragen wir ruhiger und wenn er<lb/>
endlich kömt, bringt er uns ein ſtilles Licht ohne Gluth, ſchöne Phan-<lb/>
taſien und Erinnerungen mit. Und dieſe glükliche Milderung ſeiner<lb/>
Neigung mus er aus Ihrer Hand empfangen, wenn ſie ihm das Ge-<lbn="10"/>ſchenk Ihrer Briefe anders giebt: Z. B. Das bisherige ſehnende War-<lb/>
ten von Poſttag zu Poſttag entzündete ſeine Phantaſie und verdoppelte<lb/>ſeine Qual und ſeine Neigung. Wenn Sie aber die feſte Bedingung<lb/>
machten, daß Sie ihm alzeit nach 4, oder 6 ꝛc. Wochen <hirendition="#g">gewis</hi>ſchrieben:<lb/>ſo fiele jenes hinweg. Sie könten die Zwiſchenräume der Briefe al-<lbn="15"/>
mählig ausdehnen. Auch werden dieſe ſeine Liebe mildern, wenn Sie<lb/>
ihn darin nicht beſtreiten — wenn Sie ihm blos <hirendition="#g">frohe</hi> Begeben-<lb/>
heiten mittheilen — wenn Sie von keinen Leiden darin ſprechen. Und<lb/>
mög’ Ihnen das Schikſal den Stof ſelber dazu nehmen! — Können Sie<lb/>
keine lange litterariſche Arbeit von ihm fodern, die ſeinem Kopf einen<lbn="20"/>
Spielraum gäbe, die aber freilich nicht zu nahe an die wunden Stellen<lb/>ſeines Herzens gränzen müſte? — Käm’ er freilich wieder nach Bay-<lb/>
reuth: ſo wäre faſt kein Gegen-Mittel — ausgenommen zwei kleine,<lb/>
die aber unſer Geſchlecht leichter gebrauchen kan als das Ihrige, erſt-<lb/>
lich keine Minute ernſthaft, und zweitens <hirendition="#g">immer ohne</hi> Zeugen zu ſein.<lbn="25"/>
Man liebt eine Perſon ſtärker, wenn der Zwang der Viſitten-Nachbar-<lb/>ſchaft die Zunge bindet, daher junge Ehemänner ihre Flitterwochen-<lb/>
bräute wieder ſtärker lieben, wenn ſie mit ihnen an fremden Orten und<lb/>
vor Zeugen ſind.</p><lb/><p><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd2_180">[180]</ref></note>Kurz Ihre Briefe ſind ſeine Rezepte. Einer von mir an ihn mus ſeine<lbn="30"/>
Heilungskraft erſt aus — Ihrer Hand erlangen. Wenn ich die<lb/>
Wonnemonats-Freude, Sie geſprochen zu haben, werde genoſſen<lb/>
haben: dan kan ich beſſer als jezt — da er nicht einmal meine Bekant-<lb/>ſchaft mit ſeiner Lage vorausſezt — ihm den <hirendition="#g">einzigen</hi> Grund, der ihn<lb/>
bezwingt, ausmalen: daß er unglüklich mache, indem ers iſt, und daß er<lbn="35"/>
dem unſchuldigen Herzen, das er verehret, alles raube, was er ſeinem<lb/>
nimt. —</p><lb/></div></body></text></TEI>
[182/0195]
verlangt und die andre keine gewährt: dieſe iſt im Fal der Sonne, die
auch eben nichts dafür kan, wenn ſie angebetet wird anſtat bewundert
zu werden. Blos gemildert mus ſein Enthuſiaſmus zu einem Grade
werden, daß er nur Freuden und keine Schmerzen mehr giebt. Sie
müſſen aus einer Sonne ein Mond werden: jene zieht ſeinen Blumen 5
die Farbe aus, ſein Herz ſchlieſſet ſich, wenn eine Wolke darüber zieht.
Aber die Abweſenheit des Mondes ertragen wir ruhiger und wenn er
endlich kömt, bringt er uns ein ſtilles Licht ohne Gluth, ſchöne Phan-
taſien und Erinnerungen mit. Und dieſe glükliche Milderung ſeiner
Neigung mus er aus Ihrer Hand empfangen, wenn ſie ihm das Ge- 10
ſchenk Ihrer Briefe anders giebt: Z. B. Das bisherige ſehnende War-
ten von Poſttag zu Poſttag entzündete ſeine Phantaſie und verdoppelte
ſeine Qual und ſeine Neigung. Wenn Sie aber die feſte Bedingung
machten, daß Sie ihm alzeit nach 4, oder 6 ꝛc. Wochen gewisſchrieben:
ſo fiele jenes hinweg. Sie könten die Zwiſchenräume der Briefe al- 15
mählig ausdehnen. Auch werden dieſe ſeine Liebe mildern, wenn Sie
ihn darin nicht beſtreiten — wenn Sie ihm blos frohe Begeben-
heiten mittheilen — wenn Sie von keinen Leiden darin ſprechen. Und
mög’ Ihnen das Schikſal den Stof ſelber dazu nehmen! — Können Sie
keine lange litterariſche Arbeit von ihm fodern, die ſeinem Kopf einen 20
Spielraum gäbe, die aber freilich nicht zu nahe an die wunden Stellen
ſeines Herzens gränzen müſte? — Käm’ er freilich wieder nach Bay-
reuth: ſo wäre faſt kein Gegen-Mittel — ausgenommen zwei kleine,
die aber unſer Geſchlecht leichter gebrauchen kan als das Ihrige, erſt-
lich keine Minute ernſthaft, und zweitens immer ohne Zeugen zu ſein. 25
Man liebt eine Perſon ſtärker, wenn der Zwang der Viſitten-Nachbar-
ſchaft die Zunge bindet, daher junge Ehemänner ihre Flitterwochen-
bräute wieder ſtärker lieben, wenn ſie mit ihnen an fremden Orten und
vor Zeugen ſind.
Kurz Ihre Briefe ſind ſeine Rezepte. Einer von mir an ihn mus ſeine 30
Heilungskraft erſt aus — Ihrer Hand erlangen. Wenn ich die
Wonnemonats-Freude, Sie geſprochen zu haben, werde genoſſen
haben: dan kan ich beſſer als jezt — da er nicht einmal meine Bekant-
ſchaft mit ſeiner Lage vorausſezt — ihm den einzigen Grund, der ihn
bezwingt, ausmalen: daß er unglüklich mache, indem ers iſt, und daß er 35
dem unſchuldigen Herzen, das er verehret, alles raube, was er ſeinem
nimt. —
[180]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/195>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.