nur talentvoller und herzlicher als die wien[er] Fürstin. Du soltest sie gehen sehen. Sie hatte meine Loge ungebunden vor sich liegen und klagte über den zögernden Buchbinder und zugleich gebunden aus der Lesegeselschaft und gab mir gleich die 10 Seit[e] des ersten Theils zum Beurtheilen oder Verurtheilen vor -- Und die Teufels Papiere, über5 die sie mich fragte, ob es wahr wäre daß ich sie etc. -- (du siehst, ich erzähle nicht gar so fliessend als das Papier ist, das ich in der Eile nahm, um sie so lange zu beschreiben bis ich aufstehe und bei ihr esse) Dan fuhren wir ab und unterwegs solt' ich aufrichtige Antworten [192]über die Wahrheit oder Unwahrheit meiner Biographien geben, die,10 wie sie hörte, meistens wahre Geschichten wären.
Montags früh.
Jezt seh' ich erst das Tolle, von jeder Minute eine Biographie an- zufangen: in Hof wil ich dir Bände geben stat Zeilen. Nur kurz: Sonabends as ich dort und machte mich schon um 11 Uhr -- der15 Man war nur eine Stunde zum Essen da -- zum Hause hinaus. Ich solte bei Elrodt gestern zu Mittag essen -- aber ich as wieder bei ihr -- fuhr nachmittags mit ihrem Man nach der Eremitage und mit einem Professor extraord. ihres Kindes, Wagner denk ich, der ein pädagog. regierender Herr bei Schönfeld gewesen. Aber nachher wagt' ich einen20 andern Ausflug wovon ich erst abends gegen 11 1/5 Uhr zurükkam, ich gieng zur Frau von Kropf. Ich bringe jeden Abend eine doppelte Achtung für sie zurük. Sie macht hier das -- närrisch so genante beste Haus mit und giebt Essen von 20 bis oft 60 Couverts. Ihr Man ist ein gutmüthiger Pommer: sie sagt, sie sei ohne Liebe in der Ehe, doch25 durch die Achtung für ihn glüklich. -- Sie hat ein Kometenhaar oder eine ordentliche Haarschleppe, das Ramler, der ihr den übersezten Horaz dedizieren wolte, wiziger als andere Dinge besungen. Übers Haar und alles ein Mehreres. Ich schreibe jezt in der grösten Morgen- frühe, um es meinem Bruder mitzugeben: denn nun hab ich von30 heute bis Morgen (Mitwochs geh' ich, der Post wegen) nicht so viel Zeit, daß [ich] ans Fenster treten darf, wenn die Wachparade vorüber- trommelt. Heute ist sie in Kulmbach und also meine goldne Panster- kette zerfeilt; aber morgen lauf ich wieder mit dem nachschleifenden Stük zu ihr. Bei ihr sind alle Meublen neuer und schöner als ich sie je35 gesehen -- sogar ihre 2 Nachtigallen thun zumal wenn sie selber singt, Schläge darein, die einen [!] das Herz aus der Brust ziehen wollen.
nur talentvoller und herzlicher als die wien[er] Fürſtin. Du ſolteſt ſie gehen ſehen. Sie hatte meine Loge ungebunden vor ſich liegen und klagte über den zögernden Buchbinder und zugleich gebunden aus der Leſegeſelſchaft und gab mir gleich die 10 Seit[e] des erſten Theils zum Beurtheilen oder Verurtheilen vor — Und die Teufels Papiere, über5 die ſie mich fragte, ob es wahr wäre daß ich ſie ꝛc. — (du ſiehſt, ich erzähle nicht gar ſo flieſſend als das Papier iſt, das ich in der Eile nahm, um ſie ſo lange zu beſchreiben bis ich aufſtehe und bei ihr eſſe) Dan fuhren wir ab und unterwegs ſolt’ ich aufrichtige Antworten [192]über die Wahrheit oder Unwahrheit meiner Biographien geben, die,10 wie ſie hörte, meiſtens wahre Geſchichten wären.
Montags früh.
Jezt ſeh’ ich erſt das Tolle, von jeder Minute eine Biographie an- zufangen: in Hof wil ich dir Bände geben ſtat Zeilen. Nur kurz: Sonabends as ich dort und machte mich ſchon um 11 Uhr — der15 Man war nur eine Stunde zum Eſſen da — zum Hauſe hinaus. Ich ſolte bei Elrodt geſtern zu Mittag eſſen — aber ich as wieder bei ihr — fuhr nachmittags mit ihrem Man nach der Eremitage und mit einem Profeſſor extraord. ihres Kindes, Wagner denk ich, der ein pädagog. regierender Herr bei Schönfeld geweſen. Aber nachher wagt’ ich einen20 andern Ausflug wovon ich erſt abends gegen 11⅕ Uhr zurükkam, ich gieng zur Frau von Kropf. Ich bringe jeden Abend eine doppelte Achtung für ſie zurük. Sie macht hier das — närriſch ſo genante beſte Haus mit und giebt Eſſen von 20 bis oft 60 Couverts. Ihr Man iſt ein gutmüthiger Pommer: ſie ſagt, ſie ſei ohne Liebe in der Ehe, doch25 durch die Achtung für ihn glüklich. — Sie hat ein Kometenhaar oder eine ordentliche Haarſchleppe, das Ramler, der ihr den überſezten Horaz dedizieren wolte, wiziger als andere Dinge beſungen. Übers Haar und alles ein Mehreres. Ich ſchreibe jezt in der gröſten Morgen- frühe, um es meinem Bruder mitzugeben: denn nun hab ich von30 heute bis Morgen (Mitwochs geh’ ich, der Poſt wegen) nicht ſo viel Zeit, daß [ich] ans Fenſter treten darf, wenn die Wachparade vorüber- trommelt. Heute iſt ſie in Kulmbach und alſo meine goldne Panſter- kette zerfeilt; aber morgen lauf ich wieder mit dem nachſchleifenden Stük zu ihr. Bei ihr ſind alle Meublen neuer und ſchöner als ich ſie je35 geſehen — ſogar ihre 2 Nachtigallen thun zumal wenn ſie ſelber ſingt, Schläge darein, die einen [!] das Herz aus der Bruſt ziehen wollen.
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nur talentvoller und herzlicher als die wien[er] Fürſtin. Du ſolteſt ſie
gehen ſehen. Sie hatte meine Loge ungebunden vor ſich liegen und
klagte über den zögernden Buchbinder und zugleich gebunden aus der
Leſegeſelſchaft und gab mir gleich die 10 Seit[e] des erſten Theils zum
Beurtheilen oder Verurtheilen vor — Und die Teufels Papiere, über 5
die ſie mich fragte, ob es wahr wäre daß ich ſie ꝛc. — (du ſiehſt, ich
erzähle nicht gar ſo flieſſend als das Papier iſt, das ich in der Eile
nahm, um ſie ſo lange zu beſchreiben bis ich aufſtehe und bei ihr
eſſe) Dan fuhren wir ab und unterwegs ſolt’ ich aufrichtige Antworten
über die Wahrheit oder Unwahrheit meiner Biographien geben, die, 10
wie ſie hörte, meiſtens wahre Geſchichten wären.
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Montags früh.
Jezt ſeh’ ich erſt das Tolle, von jeder Minute eine Biographie an-
zufangen: in Hof wil ich dir Bände geben ſtat Zeilen. Nur kurz:
Sonabends as ich dort und machte mich ſchon um 11 Uhr — der 15
Man war nur eine Stunde zum Eſſen da — zum Hauſe hinaus. Ich
ſolte bei Elrodt geſtern zu Mittag eſſen — aber ich as wieder bei ihr —
fuhr nachmittags mit ihrem Man nach der Eremitage und mit einem
Profeſſor extraord. ihres Kindes, Wagner denk ich, der ein pädagog.
regierender Herr bei Schönfeld geweſen. Aber nachher wagt’ ich einen 20
andern Ausflug wovon ich erſt abends gegen 11⅕ Uhr zurükkam, ich
gieng zur Frau von Kropf. Ich bringe jeden Abend eine doppelte
Achtung für ſie zurük. Sie macht hier das — närriſch ſo genante beſte
Haus mit und giebt Eſſen von 20 bis oft 60 Couverts. Ihr Man iſt
ein gutmüthiger Pommer: ſie ſagt, ſie ſei ohne Liebe in der Ehe, doch 25
durch die Achtung für ihn glüklich. — Sie hat ein Kometenhaar oder
eine ordentliche Haarſchleppe, das Ramler, der ihr den überſezten
Horaz dedizieren wolte, wiziger als andere Dinge beſungen. Übers
Haar und alles ein Mehreres. Ich ſchreibe jezt in der gröſten Morgen-
frühe, um es meinem Bruder mitzugeben: denn nun hab ich von 30
heute bis Morgen (Mitwochs geh’ ich, der Poſt wegen) nicht ſo viel
Zeit, daß [ich] ans Fenſter treten darf, wenn die Wachparade vorüber-
trommelt. Heute iſt ſie in Kulmbach und alſo meine goldne Panſter-
kette zerfeilt; aber morgen lauf ich wieder mit dem nachſchleifenden
Stük zu ihr. Bei ihr ſind alle Meublen neuer und ſchöner als ich ſie je 35
geſehen — ſogar ihre 2 Nachtigallen thun zumal wenn ſie ſelber ſingt,
Schläge darein, die einen [!] das Herz aus der Bruſt ziehen wollen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/207>, abgerufen am 21.11.2024.
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