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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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[198]324. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.

Ja, beste Freundin, hier nist' ich noch, weil ich als ein Wetter-
Daniel nicht gerade den Regengüssen entgegenreisen wolte. Über-
morgen aber heb' ich endlich meine Entenflügel auf.5

Vorgestern gaben Sie mir den Stich der Freude durchs Herz,
indem ein Wagen mit einer Verschleierten vorüberrolte, der schön
genug war, daß ich ihn für den Ihrigen halten konte. Ich weis nicht,
ob die Verschleierte mich auch durch Schönheit zu Verwechslung würde
berechtigt haben. Ach warum waren Sie es nicht? Nie wird die10
Freundschaft, die man einer theuern Person an einem fremden Ort
gegeben, grösser als wenn man diese an seinem eignen findet. Giebts
denn keine schlesische Freundin mehr, der Sie die schönen Stunden bis
nach Hof verlängern, um die meinigen anzufangen? -- Ueberhaupt
wil man Freundinnen gern in den Lagen des Herzens gegen Freun-15
dinnen, gegen Kinder, gegen Geschwister sehen. Ihrem Geschlechte
stehet die Liebe so schön! Ach ich hätte Sie und Ihre Eliese in der
t[r]unknen Stunde der höchsten Liebe ungesehen sehen mögen!

Da ich in Weimar beinahe nur Zeit zu zwei Dingen habe, zum
Ankommen und Abgehen: so werden Sie wohl meinen ersten Brief20
wieder aus -- diesem Dintenfas erhalten. Aber der Ihrige oder die
Ihrigen wehen mich dort als Zephyre aus Ihren Blumen an! --
Rathen Sie mir lieber Vergessen als Erinnern an: ich bin vielleicht
eher wieder neben Ihnen als A[hlefeld]. Jeder neue Brief ründet
seinen edeln Apostelkopf immer schöner in meiner Phantasie. Wenn25
der lezte Brief nicht offen war: so befehlen Sie mir, ihn Ihnen zu
schicken. Lesen Sie vor den Mumien lieber die biographischen Be-
lustigungen, dan die Blumenstücke, endlich jene. -- Leben Sie glüklich,
Theuerste, der Himmel über Ihnen und der in Ihrem Herzen, habe
nie mehr Wolken als Sie gerade zu einem schönen kühlen Schatten30
brauchen.

Der Ihrige
Richter

N. S. Den 19 Juny bin ich wahrscheinlich wieder am Hofer
Schreibetisch und beantworte Ihre Briefe.35

[198]324. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.

Ja, beſte Freundin, hier niſt’ ich noch, weil ich als ein Wetter-
Daniel nicht gerade den Regengüſſen entgegenreiſen wolte. Über-
morgen aber heb’ ich endlich meine Entenflügel auf.5

Vorgeſtern gaben Sie mir den Stich der Freude durchs Herz,
indem ein Wagen mit einer Verſchleierten vorüberrolte, der ſchön
genug war, daß ich ihn für den Ihrigen halten konte. Ich weis nicht,
ob die Verſchleierte mich auch durch Schönheit zu Verwechſlung würde
berechtigt haben. Ach warum waren Sie es nicht? Nie wird die10
Freundſchaft, die man einer theuern Perſon an einem fremden Ort
gegeben, gröſſer als wenn man dieſe an ſeinem eignen findet. Giebts
denn keine ſchleſiſche Freundin mehr, der Sie die ſchönen Stunden bis
nach Hof verlängern, um die meinigen anzufangen? — Ueberhaupt
wil man Freundinnen gern in den Lagen des Herzens gegen Freun-15
dinnen, gegen Kinder, gegen Geſchwiſter ſehen. Ihrem Geſchlechte
ſtehet die Liebe ſo ſchön! Ach ich hätte Sie und Ihre Elieſe in der
t[r]unknen Stunde der höchſten Liebe ungeſehen ſehen mögen!

Da ich in Weimar beinahe nur Zeit zu zwei Dingen habe, zum
Ankommen und Abgehen: ſo werden Sie wohl meinen erſten Brief20
wieder aus — dieſem Dintenfas erhalten. Aber der Ihrige oder die
Ihrigen wehen mich dort als Zephyre aus Ihren Blumen an! —
Rathen Sie mir lieber Vergeſſen als Erinnern an: ich bin vielleicht
eher wieder neben Ihnen als A[hlefeld]. Jeder neue Brief ründet
ſeinen edeln Apoſtelkopf immer ſchöner in meiner Phantaſie. Wenn25
der lezte Brief nicht offen war: ſo befehlen Sie mir, ihn Ihnen zu
ſchicken. Leſen Sie vor den Mumien lieber die biographiſchen Be-
luſtigungen, dan die Blumenſtücke, endlich jene. — Leben Sie glüklich,
Theuerſte, der Himmel über Ihnen und der in Ihrem Herzen, habe
nie mehr Wolken als Sie gerade zu einem ſchönen kühlen Schatten30
brauchen.

Der Ihrige
Richter

N. S. Den 19 Juny bin ich wahrſcheinlich wieder am Hofer
Schreibetiſch und beantworte Ihre Briefe.35

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[200/0213] 324. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth. Hof, Hof, Hof d. 2 Jun. 1796 [Donnerstag]. Ja, beſte Freundin, hier niſt’ ich noch, weil ich als ein Wetter- Daniel nicht gerade den Regengüſſen entgegenreiſen wolte. Über- morgen aber heb’ ich endlich meine Entenflügel auf. 5 Vorgeſtern gaben Sie mir den Stich der Freude durchs Herz, indem ein Wagen mit einer Verſchleierten vorüberrolte, der ſchön genug war, daß ich ihn für den Ihrigen halten konte. Ich weis nicht, ob die Verſchleierte mich auch durch Schönheit zu Verwechſlung würde berechtigt haben. Ach warum waren Sie es nicht? Nie wird die 10 Freundſchaft, die man einer theuern Perſon an einem fremden Ort gegeben, gröſſer als wenn man dieſe an ſeinem eignen findet. Giebts denn keine ſchleſiſche Freundin mehr, der Sie die ſchönen Stunden bis nach Hof verlängern, um die meinigen anzufangen? — Ueberhaupt wil man Freundinnen gern in den Lagen des Herzens gegen Freun- 15 dinnen, gegen Kinder, gegen Geſchwiſter ſehen. Ihrem Geſchlechte ſtehet die Liebe ſo ſchön! Ach ich hätte Sie und Ihre Elieſe in der t[r]unknen Stunde der höchſten Liebe ungeſehen ſehen mögen! Da ich in Weimar beinahe nur Zeit zu zwei Dingen habe, zum Ankommen und Abgehen: ſo werden Sie wohl meinen erſten Brief 20 wieder aus — dieſem Dintenfas erhalten. Aber der Ihrige oder die Ihrigen wehen mich dort als Zephyre aus Ihren Blumen an! — Rathen Sie mir lieber Vergeſſen als Erinnern an: ich bin vielleicht eher wieder neben Ihnen als A[hlefeld]. Jeder neue Brief ründet ſeinen edeln Apoſtelkopf immer ſchöner in meiner Phantaſie. Wenn 25 der lezte Brief nicht offen war: ſo befehlen Sie mir, ihn Ihnen zu ſchicken. Leſen Sie vor den Mumien lieber die biographiſchen Be- luſtigungen, dan die Blumenſtücke, endlich jene. — Leben Sie glüklich, Theuerſte, der Himmel über Ihnen und der in Ihrem Herzen, habe nie mehr Wolken als Sie gerade zu einem ſchönen kühlen Schatten 30 brauchen. Der Ihrige Richter N. S. Den 19 Juny bin ich wahrſcheinlich wieder am Hofer Schreibetiſch und beantworte Ihre Briefe. 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/213>, abgerufen am 21.11.2024.