lischen Anlagen -- beider würdig. Was ich mit ihr gesprochen habe, davon mündlich!
Bei Herder hab ich 2 Abende gegessen und verlebt und war fast alle Tage an seiner Seite. Ostheim steht fast mit allen grossen Deutschen im Briefwechsel und mit allen Weimarern in Verbindung und ich5 könte alles bei ihr sehen, wenn ich wolte, daß sie es invitierte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beisammen. Sie ist ein Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich, eine Woldemarin, -- ihre Fehler kommen nur auf meine Zunge, nicht auf mein Papier. -- Ich lege dir ihren heutigen (inostensibeln)10 Brief*) an mich bei, da sie nach Jena gieng, um die Krebs-Amputa- zion einer Freundin durch ihre Nähe zu lindern. Er ist ein Räthsel, das ich dir mündlich löse.
d. 18 Jun. Sonabends.
Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurtheil15 für grosse Autores ab als wärens andere Leute; hier weis jeder, daß sie wie die Erde sind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris besteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urtheil, das ein Herder, Wieland, Göthe etc. fält, wird so bestritten wie jedes20 andere, das noch abgerechnet daß die 3 Thurmspizen unserer Litteratur einander -- meiden. Kurz ich bin nicht mehr dum. Auch werd' ich mich jezt vor keinem grossen Man mehr ängstlich bücken, blos vor dem Tugendhaftesten. Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der25 Erde -- Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich --[210] jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse -- er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes -- blos Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich30 mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte -- (Ostheim räth mir überal Kälte und Selbstbewustsein an). Ich gieng, ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus Pallast frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmak, mit solchen Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst35
*) Ich schicke dir ihre Briefe nach der Chronologie zusammengelegt, lies sie so.
14*
liſchen Anlagen — beider würdig. Was ich mit ihr geſprochen habe, davon mündlich!
Bei Herder hab ich 2 Abende gegeſſen und verlebt und war faſt alle Tage an ſeiner Seite. Oſtheim ſteht faſt mit allen groſſen Deutſchen im Briefwechſel und mit allen Weimarern in Verbindung und ich5 könte alles bei ihr ſehen, wenn ich wolte, daß ſie es invitierte. Aber wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beiſammen. Sie iſt ein Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felſen-Ich, eine Woldemarin, — ihre Fehler kommen nur auf meine Zunge, nicht auf mein Papier. — Ich lege dir ihren heutigen (inoſtenſibeln)10 Brief*) an mich bei, da ſie nach Jena gieng, um die Krebs-Amputa- zion einer Freundin durch ihre Nähe zu lindern. Er iſt ein Räthſel, das ich dir mündlich löſe.
d. 18 Jun. Sonabends.
Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurtheil15 für groſſe Autores ab als wärens andere Leute; hier weis jeder, daß ſie wie die Erde ſind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferſe auf ihr hat, aus boue de Paris beſteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urtheil, das ein Herder, Wieland, Göthe ꝛc. fält, wird ſo beſtritten wie jedes20 andere, das noch abgerechnet daß die 3 Thurmſpizen unſerer Litteratur einander — meiden. Kurz ich bin nicht mehr dum. Auch werd’ ich mich jezt vor keinem groſſen Man mehr ängſtlich bücken, blos vor dem Tugendhafteſten. Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Oſtheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menſchen und Sachen auf der25 Erde — Oſtheim ſagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal ſich —[210] jedes Wort ſei Eis, zumal gegen Fremde, die er ſelten vorlaſſe — er habe etwas ſteifes reichſtädtiſches Stolzes — blos Kunſtſachen wärmen noch ſeine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkruſtieren, damit ich30 mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte — (Oſtheim räth mir überal Kälte und Selbſtbewuſtſein an). Ich gieng, ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus 〈Pallaſt〉 frappiert, es iſt das einzige in Weimar in italieniſchem Geſchmak, mit ſolchen Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angſt35
*) Ich ſchicke dir ihre Briefe nach der Chronologie zuſammengelegt, lies ſie ſo.
14*
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0225"n="211"/>
liſchen Anlagen — beider würdig. Was ich mit ihr geſprochen habe,<lb/>
davon mündlich!</p><lb/><p>Bei Herder hab ich 2 Abende gegeſſen und verlebt und war faſt alle<lb/>
Tage an ſeiner Seite. Oſtheim ſteht faſt mit allen groſſen Deutſchen<lb/>
im Briefwechſel und mit allen Weimarern in Verbindung und ich<lbn="5"/>
könte alles bei ihr ſehen, wenn ich wolte, daß ſie es invitierte. Aber<lb/>
wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beiſammen. Sie iſt ein<lb/>
Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felſen-Ich,<lb/>
eine Woldemarin, — ihre Fehler kommen nur auf meine Zunge, nicht<lb/>
auf mein Papier. — Ich lege dir ihren heutigen (inoſtenſibeln)<lbn="10"/>
Brief<noteplace="foot"n="*)">Ich ſchicke dir ihre Briefe nach der Chronologie zuſammengelegt, lies ſie ſo.</note> an mich bei, da ſie nach Jena gieng, um die Krebs-Amputa-<lb/>
zion einer Freundin durch ihre Nähe zu lindern. Er iſt ein Räthſel,<lb/>
das ich dir mündlich löſe.</p><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">d. 18 Jun. Sonabends.</hi></dateline><lb/><p>Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurtheil<lbn="15"/>
für groſſe Autores ab als wärens andere Leute; hier weis jeder, daß<lb/>ſie wie die Erde ſind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender<lb/>
Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferſe auf ihr hat, aus <hirendition="#aq">boue<lb/>
de Paris</hi> beſteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urtheil,<lb/>
das ein Herder, Wieland, Göthe ꝛc. fält, wird ſo beſtritten wie jedes<lbn="20"/>
andere, das noch abgerechnet daß die 3 Thurmſpizen unſerer Litteratur<lb/>
einander — meiden. Kurz ich bin nicht mehr dum. Auch werd’ ich<lb/>
mich jezt vor keinem groſſen Man mehr ängſtlich bücken, blos vor dem<lb/>
Tugendhafteſten. Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Oſtheim<lb/>
und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menſchen und Sachen auf der<lbn="25"/>
Erde — Oſtheim ſagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal ſich —<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_210">[210]</ref></note><lb/>
jedes Wort ſei Eis, zumal gegen Fremde, die er ſelten vorlaſſe — er<lb/>
habe etwas ſteifes reichſtädtiſches Stolzes — blos Kunſtſachen wärmen<lb/>
noch ſeine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch<lb/>
einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkruſtieren, damit ich<lbn="30"/>
mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte —<lb/>
(Oſtheim räth mir überal Kälte und Selbſtbewuſtſein an). Ich gieng,<lb/>
ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus 〈Pallaſt〉 frappiert,<lb/>
es iſt das einzige in <hirendition="#aq">Weimar</hi> in italieniſchem Geſchmak, mit ſolchen<lb/>
Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angſt<lbn="35"/><fwplace="bottom"type="sig">14*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[211/0225]
liſchen Anlagen — beider würdig. Was ich mit ihr geſprochen habe,
davon mündlich!
Bei Herder hab ich 2 Abende gegeſſen und verlebt und war faſt alle
Tage an ſeiner Seite. Oſtheim ſteht faſt mit allen groſſen Deutſchen
im Briefwechſel und mit allen Weimarern in Verbindung und ich 5
könte alles bei ihr ſehen, wenn ich wolte, daß ſie es invitierte. Aber
wir beide bleiben jeden Abend ganz allein beiſammen. Sie iſt ein
Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felſen-Ich,
eine Woldemarin, — ihre Fehler kommen nur auf meine Zunge, nicht
auf mein Papier. — Ich lege dir ihren heutigen (inoſtenſibeln) 10
Brief *) an mich bei, da ſie nach Jena gieng, um die Krebs-Amputa-
zion einer Freundin durch ihre Nähe zu lindern. Er iſt ein Räthſel,
das ich dir mündlich löſe.
d. 18 Jun. Sonabends.
Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurtheil 15
für groſſe Autores ab als wärens andere Leute; hier weis jeder, daß
ſie wie die Erde ſind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender
Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferſe auf ihr hat, aus boue
de Paris beſteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urtheil,
das ein Herder, Wieland, Göthe ꝛc. fält, wird ſo beſtritten wie jedes 20
andere, das noch abgerechnet daß die 3 Thurmſpizen unſerer Litteratur
einander — meiden. Kurz ich bin nicht mehr dum. Auch werd’ ich
mich jezt vor keinem groſſen Man mehr ängſtlich bücken, blos vor dem
Tugendhafteſten. Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Oſtheim
und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menſchen und Sachen auf der 25
Erde — Oſtheim ſagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal ſich —
jedes Wort ſei Eis, zumal gegen Fremde, die er ſelten vorlaſſe — er
habe etwas ſteifes reichſtädtiſches Stolzes — blos Kunſtſachen wärmen
noch ſeine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch
einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkruſtieren, damit ich 30
mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte —
(Oſtheim räth mir überal Kälte und Selbſtbewuſtſein an). Ich gieng,
ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus 〈Pallaſt〉 frappiert,
es iſt das einzige in Weimar in italieniſchem Geſchmak, mit ſolchen
Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angſt 35
[210]
*) Ich ſchicke dir ihre Briefe nach der Chronologie zuſammengelegt, lies ſie ſo.
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/225>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.