umgesehen und umgethan und bin gegenwärtig Bräutigam. Nun kan man 4, 5 Hunds[post]tage verwenden, bis man der guten Braut nur etwas an den Rumpf oder an die Ohrläpgen gekauft habe -- wie ich denn die meinige fast ins ganze erste Heftlein kleiden lassen, kleine Schnurpfeifereien noch abgerechnet, wobei Vorrede, Extrablätter und5 philosophische Winke drauf gehen ... Könte Sie diese Geschwindigkeit genieren: so würd' ich Sie bitten, mir die Hälfte jener Hälfte zu übermachen und die 2te einen Monat später. -- So -- und nun gehen wir mit einander aus dem Handlungskomptoir in [die] Wohnstube zurük und legen uns ans Fenster und sehen, wer auf der ordinairen Post10 sizet. Ich wolte ich sässe darauf und läge an Ihrem Fenster. -- Ich hatte mir schon 20 Risse von den Freuden bei Ihnen gezeichnet -- ich war überal mit Ihnen hingegangen, sogar in des Moriz vorige Wohnung -- und an seine jezige -- du guter seeliger Geist, ich hätte doch etwas Zurükgebliebnes, doch einige Erdspuren deiner ab-15 geflognen Gestalt gesehen und doch das Grün und die Blumen, die um deine eingebrochne sonst so schwer bewegte jezt so ruhige Brust umher wachsen, mit meinen Thränen berührt und dein Freund, der dich nicht vergessen kan, hätte mir die Hügel gezeigt, wo er sonst mit dir glüklich war. etc.20
16. An Wernlein in Neustadt a. d. Aisch.
[Kopie][Hof, 19. Aug. 1794]
Dein Brief legte sich mit seinem herbstlichen Anstrich eben darum desto milder um meine Seele, weswegen die Landschaftsmaler den [10]Herbst, der wie eine Fürstin mit seinen weissen Düften stil um alle25 Blüten trauert, unter den 4 grossen Spielen der Jahrszeiten am liebsten sehen. Ich sehne mich nicht mehr nach Satiren sondern nach Elegien und mein Inneres ist oft so jämmerlich-weich als läg' es in der Brust eines Mädgens von 171/2 Jahren. Ich bin von nicht[s] so gerührt worden als von H. Jean Paul -- der hat sich hingesezt und30 durch seine Bücher mich verdorben und zerlassen. Jezt [?] bin ich ein Selbstzünder und brauche keine Geliebte um warm, keine Tragödie um weich zu werden. -- je mehr Menschen mit ihrem BlütenBehang vor deinen Füssen in die Erde einsinken wie fallende Nebel -- je mehr sich deine abblühende Stelle ausleert und du wie eine vergessene Herbst-35 blume allein über Grummetstoppeln wankest, je mehr es immer stiller
umgeſehen und umgethan und bin gegenwärtig Bräutigam. Nun kan man 4, 5 Hunds[post]tage verwenden, bis man der guten Braut nur etwas an den Rumpf oder an die Ohrläpgen gekauft habe — wie ich denn die meinige faſt ins ganze erſte Heftlein kleiden laſſen, kleine Schnurpfeifereien noch abgerechnet, wobei Vorrede, Extrablätter und5 philoſophiſche Winke drauf gehen ... Könte Sie dieſe Geſchwindigkeit genieren: ſo würd’ ich Sie bitten, mir die Hälfte jener Hälfte zu übermachen und die 2te einen Monat ſpäter. — So — und nun gehen wir mit einander aus dem Handlungskomptoir in [die] Wohnſtube zurük und legen uns ans Fenſter und ſehen, wer auf der ordinairen Poſt10 ſizet. Ich wolte ich ſäſſe darauf und läge an Ihrem Fenſter. — Ich hatte mir ſchon 20 Riſſe von den Freuden bei Ihnen gezeichnet — ich war überal mit Ihnen hingegangen, ſogar in des Moriz vorige Wohnung — und an ſeine jezige — du guter ſeeliger Geiſt, ich hätte doch etwas Zurükgebliebnes, doch einige Erdſpuren deiner ab-15 geflognen Geſtalt geſehen und doch das Grün und die Blumen, die um deine eingebrochne ſonſt ſo ſchwer bewegte jezt ſo ruhige Bruſt umher wachſen, mit meinen Thränen berührt und dein Freund, der dich nicht vergeſſen kan, hätte mir die Hügel gezeigt, wo er ſonſt mit dir glüklich war. ꝛc.20
16. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.
[Kopie][Hof, 19. Aug. 1794]
Dein Brief legte ſich mit ſeinem herbſtlichen Anſtrich eben darum deſto milder um meine Seele, weswegen die Landſchaftsmaler den [10]Herbſt, der wie eine Fürſtin mit ſeinen weiſſen Düften ſtil um alle25 Blüten trauert, unter den 4 groſſen Spielen der Jahrszeiten am liebſten ſehen. Ich ſehne mich nicht mehr nach Satiren ſondern nach Elegien und mein Inneres iſt oft ſo jämmerlich-weich als läg’ es in der Bruſt eines Mädgens von 17½ Jahren. Ich bin von nicht[s] ſo gerührt worden als von H. Jean Paul — der hat ſich hingeſezt und30 durch ſeine Bücher mich verdorben und zerlaſſen. Jezt [?] bin ich ein Selbſtzünder und brauche keine Geliebte um warm, keine Tragödie um weich zu werden. — je mehr Menſchen mit ihrem BlütenBehang vor deinen Füſſen in die Erde einſinken wie fallende Nebel — je mehr ſich deine abblühende Stelle ausleert und du wie eine vergeſſene Herbſt-35 blume allein über Grummetſtoppeln wankeſt, je mehr es immer ſtiller
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[18/0027]
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etwas an den Rumpf oder an die Ohrläpgen gekauft habe — wie ich
denn die meinige faſt ins ganze erſte Heftlein kleiden laſſen, kleine
Schnurpfeifereien noch abgerechnet, wobei Vorrede, Extrablätter und 5
philoſophiſche Winke drauf gehen ... Könte Sie dieſe Geſchwindigkeit
genieren: ſo würd’ ich Sie bitten, mir die Hälfte jener Hälfte zu
übermachen und die 2te einen Monat ſpäter. — So — und nun gehen
wir mit einander aus dem Handlungskomptoir in [die] Wohnſtube
zurük und legen uns ans Fenſter und ſehen, wer auf der ordinairen Poſt 10
ſizet. Ich wolte ich ſäſſe darauf und läge an Ihrem Fenſter. — Ich
hatte mir ſchon 20 Riſſe von den Freuden bei Ihnen gezeichnet — ich
war überal mit Ihnen hingegangen, ſogar in des Moriz vorige
Wohnung — und an ſeine jezige — du guter ſeeliger Geiſt, ich hätte
doch etwas Zurükgebliebnes, doch einige Erdſpuren deiner ab- 15
geflognen Geſtalt geſehen und doch das Grün und die Blumen, die um
deine eingebrochne ſonſt ſo ſchwer bewegte jezt ſo ruhige Bruſt umher
wachſen, mit meinen Thränen berührt und dein Freund, der dich nicht
vergeſſen kan, hätte mir die Hügel gezeigt, wo er ſonſt mit dir glüklich
war. ꝛc. 20
16. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.
[Hof, 19. Aug. 1794]
Dein Brief legte ſich mit ſeinem herbſtlichen Anſtrich eben darum
deſto milder um meine Seele, weswegen die Landſchaftsmaler den
Herbſt, der wie eine Fürſtin mit ſeinen weiſſen Düften ſtil um alle 25
Blüten trauert, unter den 4 groſſen Spielen der Jahrszeiten am
liebſten ſehen. Ich ſehne mich nicht mehr nach Satiren ſondern nach
Elegien und mein Inneres iſt oft ſo jämmerlich-weich als läg’ es in der
Bruſt eines Mädgens von 17½ Jahren. Ich bin von nicht[s] ſo
gerührt worden als von H. Jean Paul — der hat ſich hingeſezt und 30
durch ſeine Bücher mich verdorben und zerlaſſen. Jezt [?] bin ich ein
Selbſtzünder und brauche keine Geliebte um warm, keine Tragödie um
weich zu werden. — je mehr Menſchen mit ihrem BlütenBehang vor
deinen Füſſen in die Erde einſinken wie fallende Nebel — je mehr ſich
deine abblühende Stelle ausleert und du wie eine vergeſſene Herbſt- 35
blume allein über Grummetſtoppeln wankeſt, je mehr es immer ſtiller
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/27>, abgerufen am 23.11.2024.
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