Obgleich alles in meinem Innern auseinander rinnen wil: so wil ich mich doch erheben und allein aufrichtig sein, um nicht ohne mein Wissen ungerecht zu sein. Sie haben mir einen himlischen Abend wie5 mit meinem Blute ausgestrichen und gestern dacht ich sogar: deine Freude des künftigen Frühlings hast du auch verloren. Als ich so abgerissen dort sas und verglühte und als die Töne an mir nagten und mir das Herz zerdrükten zum Weinen -- als die Töne zu den mit Erde bedekten Stimmen meiner verstorbenen Freunde wurden, die noch10 [24]einmal den anredeten, der allein an einem öden Ufer ihnen nachsieht über das Todten Meer: da begrif ich freilich die Lustigkeit und die troknen Augen der andern nicht. Und da Sie noch mit Ihrer alten durch keine Rüksichten gestern nöthigen Kälte neben mir waren -- und da ich meine Gefühle gegen Ihre, meine mich zerreibende Wärme15 gegen Ihre Abneigung schon vor dem Anblik berechnete -- da ich sah, wie Sie mich und alle meine schönen Abende den elenden Auslegungen anderer aufopfern und wie die heftigste Trauer eines zu weichen Herzens von Ihrem nicht einmal durch ein sanftes Zeichen des An- theils erwiedert wird -- wie Sie oft mit einer Art, auf die Sie es gegen20 keinen andern thun, meine Anerbietungen oder auch die Bitte um Ge- hör zurükwerfen -- wie Sie oft gerade um den von Ihnen Gekränkten desto lustiger sind -- und da ich dachte, was meine Seele verdiente, die Sie noch nicht halb kennen: so that mir alles zu wehe wie jezt da ichs beschreibe, und ich sagte zu mir: "vergeh' nur vergeblich für25 mich, schöner Abend -- ich verliere doch bald alles." Ich zwang und ver- stelte mich, obgleich die Wärme oft in meiner schlaffen Hand krampfte und zukte. Ich wurde immer unfähiger, aus der nagenden Verstellung zu kommen und kämpfte bald mit dem Gedanken, der vol Thränen ist: "ach wenn sie es nicht verdiente, deinen Argwohn" bald mit dem Ge-30 danken der vol Schmerzen ist: du wirst sie verlieren. O da ist mir als wenn ich Hof abschütteln möchte wie ein ErdenLeben, um nur den innern Frieden zu gewinnen -- Und in diesen verdunkelnden Stürmen werd ich auch einen Entschlus fassen, den ich werde bereuen aber nicht ändern können. Warlich -- meine ganze Seele enthült sich vor Ihnen35 wie vor Gott -- ich hab oft den tollen Gedanken, in Ihrem Hause mir durch ein Wort, das nicht vergeben, oder durch einen Eid, der nicht ge-
42. An Karoline Herold.
Hof d. 11 Nov. 94 [Dienstag].
Obgleich alles in meinem Innern auseinander rinnen wil: ſo wil ich mich doch erheben und allein aufrichtig ſein, um nicht ohne mein Wiſſen ungerecht zu ſein. Sie haben mir einen himliſchen Abend wie5 mit meinem Blute ausgeſtrichen und geſtern dacht ich ſogar: deine Freude des künftigen Frühlings haſt du auch verloren. Als ich ſo abgeriſſen dort ſas und verglühte und als die Töne an mir nagten und mir das Herz zerdrükten zum Weinen — als die Töne zu den mit Erde bedekten Stimmen meiner verſtorbenen Freunde wurden, die noch10 [24]einmal den anredeten, der allein an einem öden Ufer ihnen nachſieht über das Todten Meer: da begrif ich freilich die Luſtigkeit und die troknen Augen der andern nicht. Und da Sie noch mit Ihrer alten durch keine Rükſichten geſtern nöthigen Kälte neben mir waren — und da ich meine Gefühle gegen Ihre, meine mich zerreibende Wärme15 gegen Ihre Abneigung ſchon vor dem Anblik berechnete — da ich ſah, wie Sie mich und alle meine ſchönen Abende den elenden Auslegungen anderer aufopfern und wie die heftigſte Trauer eines zu weichen Herzens von Ihrem nicht einmal durch ein ſanftes Zeichen des An- theils erwiedert wird — wie Sie oft mit einer Art, auf die Sie es gegen20 keinen andern thun, meine Anerbietungen oder auch die Bitte um Ge- hör zurükwerfen — wie Sie oft gerade um den von Ihnen Gekränkten deſto luſtiger ſind — und da ich dachte, was meine Seele verdiente, die Sie noch nicht halb kennen: ſo that mir alles zu wehe wie jezt da ichs beſchreibe, und ich ſagte zu mir: „vergeh’ nur vergeblich für25 mich, ſchöner Abend — ich verliere doch bald alles.“ Ich zwang und ver- ſtelte mich, obgleich die Wärme oft in meiner ſchlaffen Hand krampfte und zukte. Ich wurde immer unfähiger, aus der nagenden Verſtellung zu kommen und kämpfte bald mit dem Gedanken, der vol Thränen iſt: „ach wenn ſie es nicht verdiente, deinen Argwohn“ bald mit dem Ge-30 danken der vol Schmerzen iſt: du wirſt ſie verlieren. O da iſt mir als wenn ich Hof abſchütteln möchte wie ein ErdenLeben, um nur den innern Frieden zu gewinnen — Und in dieſen verdunkelnden Stürmen werd ich auch einen Entſchlus faſſen, den ich werde bereuen aber nicht ändern können. Warlich — meine ganze Seele enthült ſich vor Ihnen35 wie vor Gott — ich hab oft den tollen Gedanken, in Ihrem Hauſe mir durch ein Wort, das nicht vergeben, oder durch einen Eid, der nicht ge-
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42. An Karoline Herold.
Hof d. 11 Nov. 94 [Dienstag].
Obgleich alles in meinem Innern auseinander rinnen wil: ſo wil
ich mich doch erheben und allein aufrichtig ſein, um nicht ohne mein
Wiſſen ungerecht zu ſein. Sie haben mir einen himliſchen Abend wie 5
mit meinem Blute ausgeſtrichen und geſtern dacht ich ſogar: deine
Freude des künftigen Frühlings haſt du auch verloren. Als ich ſo
abgeriſſen dort ſas und verglühte und als die Töne an mir nagten und
mir das Herz zerdrükten zum Weinen — als die Töne zu den mit Erde
bedekten Stimmen meiner verſtorbenen Freunde wurden, die noch 10
einmal den anredeten, der allein an einem öden Ufer ihnen nachſieht
über das Todten Meer: da begrif ich freilich die Luſtigkeit und die
troknen Augen der andern nicht. Und da Sie noch mit Ihrer alten
durch keine Rükſichten geſtern nöthigen Kälte neben mir waren — und
da ich meine Gefühle gegen Ihre, meine mich zerreibende Wärme 15
gegen Ihre Abneigung ſchon vor dem Anblik berechnete — da ich ſah,
wie Sie mich und alle meine ſchönen Abende den elenden Auslegungen
anderer aufopfern und wie die heftigſte Trauer eines zu weichen
Herzens von Ihrem nicht einmal durch ein ſanftes Zeichen des An-
theils erwiedert wird — wie Sie oft mit einer Art, auf die Sie es gegen 20
keinen andern thun, meine Anerbietungen oder auch die Bitte um Ge-
hör zurükwerfen — wie Sie oft gerade um den von Ihnen Gekränkten
deſto luſtiger ſind — und da ich dachte, was meine Seele verdiente,
die Sie noch nicht halb kennen: ſo that mir alles zu wehe wie jezt da
ichs beſchreibe, und ich ſagte zu mir: „vergeh’ nur vergeblich für 25
mich, ſchöner Abend — ich verliere doch bald alles.“ Ich zwang und ver-
ſtelte mich, obgleich die Wärme oft in meiner ſchlaffen Hand krampfte
und zukte. Ich wurde immer unfähiger, aus der nagenden Verſtellung
zu kommen und kämpfte bald mit dem Gedanken, der vol Thränen iſt:
„ach wenn ſie es nicht verdiente, deinen Argwohn“ bald mit dem Ge- 30
danken der vol Schmerzen iſt: du wirſt ſie verlieren. O da iſt mir als
wenn ich Hof abſchütteln möchte wie ein ErdenLeben, um nur den
innern Frieden zu gewinnen — Und in dieſen verdunkelnden Stürmen
werd ich auch einen Entſchlus faſſen, den ich werde bereuen aber nicht
ändern können. Warlich — meine ganze Seele enthült ſich vor Ihnen 35
wie vor Gott — ich hab oft den tollen Gedanken, in Ihrem Hauſe mir
durch ein Wort, das nicht vergeben, oder durch einen Eid, der nicht ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/41>, abgerufen am 03.12.2024.
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