Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

Bayreuther Briefe an Sie, ferner Ihren Geburtstagswunsch und
endlich den Brief nach der langen Trennung, zu -- leihen: denn auf
[47]mein heiliges Ehrenwort, ich gebe sie Ihnen wieder. Denn die
Zurükfoderung bleibt andern Verhältnissen. Sie thäten mir einen
grossen Gefallen, wenn Sie mir sie sogleich nach dem Essen mit-5
schikten. Und zu diesem wünsch' ich gesegnete Malzeit!

R.
67. An Christian Otto.

Lieber Otto,10

Ob ich gleich von der französischen Geschichte so viel weis als von
der englischen, niederländischen, päbstlichen, -- sinesischen; ob also
gleich meine Erinnerungen daraus nichts für deine Auto- oder wider
deine Heterographie beweisen könten: so schliess' ich doch aus der
Einheit deines Aufsazes, die mit Zufal und fremden Bruchstücken15
unverträglich ist und die allemal Einen Schöpfer verräth, daß für
dich der Steinbruch der Geschichte war, was sie für den Theaterdichter
ist: er fand nur den Stof, aber nicht die Gestalt und hob aus dem
Wirwar von mehr als einem durchkreuzenden Interesse nur eines
heraus. So -- indem du die Akteurs von dem Schauspiel sonderst indes20
andere das Stük nach den Spielern (Königen oder vorragenden
Menschen) zuschneiden, und indem du bei der Einheit deiner Handlung
Menschen nimst und lässest, weil der Geist der doppelten Reformazion
seine Gewebe zwischen den Thronen nur anhieng -- so entwickelst du
deine Geschichte dramatisch mehr aus dem Geist der Zeiten als aus25
Zufällen, die er nur nüzte. Wenn du die almählige Entwickelung und
Entkörperung des Freiheitsgeistes und seine Faust- und Thierkämpfe
mit der Bosheit, Dumheit und dem Zufal malen wollen: so hast
du ihn gemalt. So ist eine Geschichte von der gewöhnlichen ver-
schieden, wie der französische Roman, wo beinahe der ganze Schauplaz30
in der Seele ist, von einem vol Fakta. Und ich bin am meisten auf die
ganze Zusammenfassung des ganzen Europa begierig, wo alsdan der
Baum (dieser Aufsaz) nur zum Zweig wird an einem grössern Baum.

Ich eile, weil es 7 Uhr ist und ich mit dir zu K. wil.

Was mir besonders gefallen, hab ich mit O bezeichnet.35

Einzelne Anmerkungen.

Bayreuther Briefe an Sie, ferner Ihren Geburtstagswunſch und
endlich den Brief nach der langen Trennung, zu — leihen: denn auf
[47]mein heiliges Ehrenwort, ich gebe ſie Ihnen wieder. Denn die
Zurükfoderung bleibt andern Verhältniſſen. Sie thäten mir einen
groſſen Gefallen, wenn Sie mir ſie ſogleich nach dem Eſſen mit-5
ſchikten. Und zu dieſem wünſch’ ich geſegnete Malzeit!

R.
67. An Chriſtian Otto.

Lieber Otto,10

Ob ich gleich von der franzöſiſchen Geſchichte ſo viel weis als von
der engliſchen, niederländiſchen, päbſtlichen, — ſineſiſchen; ob alſo
gleich meine Erinnerungen daraus nichts für deine Auto- oder wider
deine Heterographie beweiſen könten: ſo ſchlieſſ’ ich doch aus der
Einheit deines Aufſazes, die mit Zufal und fremden Bruchſtücken15
unverträglich iſt und die allemal Einen Schöpfer verräth, daß für
dich der Steinbruch der Geſchichte war, was ſie für den Theaterdichter
iſt: er fand nur den Stof, aber nicht die Geſtalt und hob aus dem
Wirwar von mehr als einem durchkreuzenden Intereſſe nur eines
heraus. So — indem du die Akteurs von dem Schauſpiel ſonderſt indes20
andere das Stük nach den Spielern (Königen oder vorragenden
Menſchen) zuſchneiden, und indem du bei der Einheit deiner Handlung
Menſchen nimſt und läſſeſt, weil der Geiſt der doppelten Reformazion
ſeine Gewebe zwiſchen den Thronen nur anhieng — ſo entwickelſt du
deine Geſchichte dramatiſch mehr aus dem Geiſt der Zeiten als aus25
Zufällen, die er nur nüzte. Wenn du die almählige Entwickelung und
Entkörperung des Freiheitsgeiſtes und ſeine Fauſt- und Thierkämpfe
mit der Bosheit, Dumheit und dem Zufal malen wollen: ſo haſt
du ihn gemalt. So iſt eine Geſchichte von der gewöhnlichen ver-
ſchieden, wie der franzöſiſche Roman, wo beinahe der ganze Schauplaz30
in der Seele iſt, von einem vol Fakta. Und ich bin am meiſten auf die
ganze Zuſammenfaſſung des ganzen Europa begierig, wo alsdan der
Baum (dieſer Aufſaz) nur zum Zweig wird an einem gröſſern Baum.

Ich eile, weil es 7 Uhr iſt und ich mit dir zu K. wil.

Was mir beſonders gefallen, hab ich mit O bezeichnet.35

Einzelne Anmerkungen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="54"/>
Bayreuther Briefe an Sie, ferner Ihren Geburtstagswun&#x017F;ch und<lb/>
endlich den Brief nach der langen Trennung, zu &#x2014; <hi rendition="#g">leihen:</hi> denn auf<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_47">[47]</ref></note>mein <hi rendition="#g">heiliges Ehrenwort,</hi> ich gebe &#x017F;ie Ihnen wieder. Denn die<lb/>
Zurükfoderung bleibt andern Verhältni&#x017F;&#x017F;en. Sie thäten mir einen<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Gefallen, wenn Sie mir &#x017F;ie &#x017F;ogleich nach dem E&#x017F;&#x017F;en mit-<lb n="5"/>
&#x017F;chikten. Und zu die&#x017F;em wün&#x017F;ch&#x2019; ich ge&#x017F;egnete Malzeit!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">R.</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>67. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof.</hi> d. 24 Febr. 95.</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Lieber Otto,<lb n="10"/>
</hi> </salute>
        </opener>
        <p>Ob ich gleich von der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte &#x017F;o viel weis als von<lb/>
der engli&#x017F;chen, niederländi&#x017F;chen, päb&#x017F;tlichen, &#x2014; &#x017F;ine&#x017F;i&#x017F;chen; ob al&#x017F;o<lb/>
gleich meine Erinnerungen daraus nichts <hi rendition="#g">für</hi> deine <hi rendition="#g">Auto-</hi> oder <hi rendition="#g">wider</hi><lb/>
deine <hi rendition="#g">Heterog</hi>raphie bewei&#x017F;en könten: &#x017F;o &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;&#x2019; ich doch aus der<lb/>
Einheit deines Auf&#x017F;azes, die mit Zufal und fremden Bruch&#x017F;tücken<lb n="15"/>
unverträglich i&#x017F;t und die allemal Einen Schöpfer verräth, daß für<lb/>
dich der Steinbruch der Ge&#x017F;chichte war, was &#x017F;ie für den Theaterdichter<lb/>
i&#x017F;t: er fand nur den Stof, aber nicht die Ge&#x017F;talt und hob aus dem<lb/>
Wirwar von mehr als einem durchkreuzenden Intere&#x017F;&#x017F;e nur eines<lb/>
heraus. So &#x2014; indem du die Akteurs von dem Schau&#x017F;piel &#x017F;onder&#x017F;t indes<lb n="20"/>
andere das Stük nach den Spielern (Königen oder vorragenden<lb/>
Men&#x017F;chen) zu&#x017F;chneiden, und indem du bei der Einheit deiner Handlung<lb/>
Men&#x017F;chen nim&#x017F;t und lä&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, weil der Gei&#x017F;t der doppelten Reformazion<lb/>
&#x017F;eine Gewebe zwi&#x017F;chen den Thronen nur anhieng &#x2014; &#x017F;o entwickel&#x017F;t du<lb/>
deine Ge&#x017F;chichte dramati&#x017F;ch mehr aus dem Gei&#x017F;t der Zeiten als aus<lb n="25"/>
Zufällen, die er nur nüzte. Wenn du die almählige Entwickelung und<lb/>
Entkörperung des Freiheitsgei&#x017F;tes und &#x017F;eine Fau&#x017F;t- und Thierkämpfe<lb/>
mit der Bosheit, Dumheit und dem Zufal malen wollen: &#x017F;o ha&#x017F;t<lb/>
du ihn gemalt. So i&#x017F;t eine Ge&#x017F;chichte von der gewöhnlichen ver-<lb/>
&#x017F;chieden, wie der franzö&#x017F;i&#x017F;che Roman, wo beinahe der ganze Schauplaz<lb n="30"/>
in der Seele i&#x017F;t, von einem vol Fakta. Und ich bin am mei&#x017F;ten auf die<lb/>
ganze Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;ung des ganzen Europa begierig, wo alsdan der<lb/>
Baum (die&#x017F;er Auf&#x017F;az) nur zum Zweig wird an einem grö&#x017F;&#x017F;ern Baum.</p><lb/>
        <p>Ich eile, weil es 7 Uhr i&#x017F;t und ich mit dir zu <hi rendition="#aq">K.</hi> wil.</p><lb/>
        <p>Was mir be&#x017F;onders gefallen, hab ich mit <hi rendition="#aq">O</hi> bezeichnet.<lb n="35"/>
</p>
        <p>Einzelne Anmerkungen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0063] Bayreuther Briefe an Sie, ferner Ihren Geburtstagswunſch und endlich den Brief nach der langen Trennung, zu — leihen: denn auf mein heiliges Ehrenwort, ich gebe ſie Ihnen wieder. Denn die Zurükfoderung bleibt andern Verhältniſſen. Sie thäten mir einen groſſen Gefallen, wenn Sie mir ſie ſogleich nach dem Eſſen mit- 5 ſchikten. Und zu dieſem wünſch’ ich geſegnete Malzeit! [47] R. 67. An Chriſtian Otto. Hof. d. 24 Febr. 95. Lieber Otto, 10 Ob ich gleich von der franzöſiſchen Geſchichte ſo viel weis als von der engliſchen, niederländiſchen, päbſtlichen, — ſineſiſchen; ob alſo gleich meine Erinnerungen daraus nichts für deine Auto- oder wider deine Heterographie beweiſen könten: ſo ſchlieſſ’ ich doch aus der Einheit deines Aufſazes, die mit Zufal und fremden Bruchſtücken 15 unverträglich iſt und die allemal Einen Schöpfer verräth, daß für dich der Steinbruch der Geſchichte war, was ſie für den Theaterdichter iſt: er fand nur den Stof, aber nicht die Geſtalt und hob aus dem Wirwar von mehr als einem durchkreuzenden Intereſſe nur eines heraus. So — indem du die Akteurs von dem Schauſpiel ſonderſt indes 20 andere das Stük nach den Spielern (Königen oder vorragenden Menſchen) zuſchneiden, und indem du bei der Einheit deiner Handlung Menſchen nimſt und läſſeſt, weil der Geiſt der doppelten Reformazion ſeine Gewebe zwiſchen den Thronen nur anhieng — ſo entwickelſt du deine Geſchichte dramatiſch mehr aus dem Geiſt der Zeiten als aus 25 Zufällen, die er nur nüzte. Wenn du die almählige Entwickelung und Entkörperung des Freiheitsgeiſtes und ſeine Fauſt- und Thierkämpfe mit der Bosheit, Dumheit und dem Zufal malen wollen: ſo haſt du ihn gemalt. So iſt eine Geſchichte von der gewöhnlichen ver- ſchieden, wie der franzöſiſche Roman, wo beinahe der ganze Schauplaz 30 in der Seele iſt, von einem vol Fakta. Und ich bin am meiſten auf die ganze Zuſammenfaſſung des ganzen Europa begierig, wo alsdan der Baum (dieſer Aufſaz) nur zum Zweig wird an einem gröſſern Baum. Ich eile, weil es 7 Uhr iſt und ich mit dir zu K. wil. Was mir beſonders gefallen, hab ich mit O bezeichnet. 35 Einzelne Anmerkungen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/63
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/63>, abgerufen am 24.11.2024.