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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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haupt ist mit kein Tadel bitterer und ärgerlicher, als der, mit dem du
immer -- dich belegt.

5. Es ist kein Misverständnis. Ich wuste wol, daß der Mensch, der
unter eignen Leiden allemal die ganze Menschheit für leidend halten
mus und dem hinter seinem Trauerflor die ganze Ebene verfinstert5
und dämmernd erscheint, schon den halben Flor zerrissen hat, wenn er
nur andere für glüklicher nehmen darf. Aber das was ich dir ent-
gegensezte, solte blos dein Bedürfnis, um jener Ursache willen zu hau-
sieren, widerlegen: auch kan ich von keinem Menschen -- schon wegen
des schamrothen Gefühls, da wir alle eine Gleichheit des Schiksals10
verdienen -- die Behauptung ausstehen: er sei minder glüklich als ich.

Deine übrigen Anmerkungen sind eben so richtig als schön gesagt
-- die über mich können wir mündlich bereden.

Man erbittet sich die Retour seines Eigenthums; und später irgend
einmal auch die der eignen Aufsäze über Magie, Fälbel und Liebe samt15
deinen Anmerkungen dazu, deren Foderung ich jezt, da ich lange nichts
fertig bringe so bald nicht wiederholen werde. Lebe wol und vergieb
der Eiligkeit das Halbe, Mangelhafte und Unbestimte meines Gesages.

Richter
97. An Christian Otto.20

Nim die andere Seite nicht übel! -- Lasse mir den Medikus über die
Gärten zukommen und schicke mir eine kleine Antwort, wohin du
abends gedenkst, fals du es schon weist.

98. An Matzdorff in Berlin.25
[Schluß Kopie]
Geliebter Freund,

Jeder Ihrer Briefe ist ein festeres Ordensband des Herzens, das
meines näher an Ihres bindet, und es würde mich unaussprechlich
kränken, wenn ich Sie einmal sehr -- leider ein wenig wol -- ver-30
[68]kant hätte. Sie können sich kaum die mishellige Empfindung eines
Autors denken, wenn er die Lieblinge seiner Seele den tölpischen mer-
kantilischen Betastungen Ihrer meisten Mes-Kollegen überlassen mus;
dafür aber können Sie sich vielleicht besser die meinige vorstellen, die Sie

haupt iſt mit kein Tadel bitterer und ärgerlicher, als der, mit dem du
immer — dich belegt.

5. Es iſt kein Misverſtändnis. Ich wuſte wol, daß der Menſch, der
unter eignen Leiden allemal die ganze Menſchheit für leidend halten
mus und dem hinter ſeinem Trauerflor die ganze Ebene verfinſtert5
und dämmernd erſcheint, ſchon den halben Flor zerriſſen hat, wenn er
nur andere für glüklicher nehmen darf. Aber das was ich dir ent-
gegenſezte, ſolte blos dein Bedürfnis, um jener Urſache willen zu hau-
ſieren, widerlegen: auch kan ich von keinem Menſchen — ſchon wegen
des ſchamrothen Gefühls, da wir alle eine Gleichheit des Schikſals10
verdienen — die Behauptung ausſtehen: er ſei minder glüklich als ich.

Deine übrigen Anmerkungen ſind eben ſo richtig als ſchön geſagt
— die über mich können wir mündlich bereden.

Man erbittet ſich die Retour ſeines Eigenthums; und ſpäter irgend
einmal auch die der eignen Aufſäze über Magie, Fälbel und Liebe ſamt15
deinen Anmerkungen dazu, deren Foderung ich jezt, da ich lange nichts
fertig bringe ſo bald nicht wiederholen werde. Lebe wol und vergieb
der Eiligkeit das Halbe, Mangelhafte und Unbeſtimte meines Geſages.

Richter
97. An Chriſtian Otto.20

Nim die andere Seite nicht übel! — Laſſe mir den Medikus über die
Gärten zukommen und ſchicke mir eine kleine Antwort, wohin du
abends gedenkſt, fals du es ſchon weiſt.

98. An Matzdorff in Berlin.25
[Schluß Kopie]
Geliebter Freund,

Jeder Ihrer Briefe iſt ein feſteres Ordensband des Herzens, das
meines näher an Ihres bindet, und es würde mich unausſprechlich
kränken, wenn ich Sie einmal ſehr — leider ein wenig wol — ver-30
[68]kant hätte. Sie können ſich kaum die mishellige Empfindung eines
Autors denken, wenn er die Lieblinge ſeiner Seele den tölpiſchen mer-
kantiliſchen Betaſtungen Ihrer meiſten Mes-Kollegen überlaſſen mus;
dafür aber können Sie ſich vielleicht beſſer die meinige vorſtellen, die Sie

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[74/0083] haupt iſt mit kein Tadel bitterer und ärgerlicher, als der, mit dem du immer — dich belegt. 5. Es iſt kein Misverſtändnis. Ich wuſte wol, daß der Menſch, der unter eignen Leiden allemal die ganze Menſchheit für leidend halten mus und dem hinter ſeinem Trauerflor die ganze Ebene verfinſtert 5 und dämmernd erſcheint, ſchon den halben Flor zerriſſen hat, wenn er nur andere für glüklicher nehmen darf. Aber das was ich dir ent- gegenſezte, ſolte blos dein Bedürfnis, um jener Urſache willen zu hau- ſieren, widerlegen: auch kan ich von keinem Menſchen — ſchon wegen des ſchamrothen Gefühls, da wir alle eine Gleichheit des Schikſals 10 verdienen — die Behauptung ausſtehen: er ſei minder glüklich als ich. Deine übrigen Anmerkungen ſind eben ſo richtig als ſchön geſagt — die über mich können wir mündlich bereden. Man erbittet ſich die Retour ſeines Eigenthums; und ſpäter irgend einmal auch die der eignen Aufſäze über Magie, Fälbel und Liebe ſamt 15 deinen Anmerkungen dazu, deren Foderung ich jezt, da ich lange nichts fertig bringe ſo bald nicht wiederholen werde. Lebe wol und vergieb der Eiligkeit das Halbe, Mangelhafte und Unbeſtimte meines Geſages. Richter 97. An Chriſtian Otto. 20 [Hof, April 1795?] Nim die andere Seite nicht übel! — Laſſe mir den Medikus über die Gärten zukommen und ſchicke mir eine kleine Antwort, wohin du abends gedenkſt, fals du es ſchon weiſt. 98. An Matzdorff in Berlin. 25 Hof. d. 14 April 95. Geliebter Freund, Jeder Ihrer Briefe iſt ein feſteres Ordensband des Herzens, das meines näher an Ihres bindet, und es würde mich unausſprechlich kränken, wenn ich Sie einmal ſehr — leider ein wenig wol — ver- 30 kant hätte. Sie können ſich kaum die mishellige Empfindung eines Autors denken, wenn er die Lieblinge ſeiner Seele den tölpiſchen mer- kantiliſchen Betaſtungen Ihrer meiſten Mes-Kollegen überlaſſen mus; dafür aber können Sie ſich vielleicht beſſer die meinige vorſtellen, die Sie [68]

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/83>, abgerufen am 21.11.2024.