Kaum bin ich aus Ihrer mit Gärten umzognen Villa heraus, so klopf' ich schon wieder an mit einem Brief, um wenigstens auf irgend eine Art darin zu sein. So lang ich hier bin, waren am Tage nichts als5 Wolken und zu Nachts nur Blize am Himmel, gerade als wenn er seine Schönheiten nur vor Ihrem Standorte aufdekte. -- kan ich nur einen schweigenden Dank bringen -- ein lauter wäre nicht gros genug -- und ein thätiger wird leider niemals in meiner Gewalt stehen. Ich wüste nicht, welch[es] süsser wäre, Ihre Gefälligkeit zu empfangen oder zu10 erwiedern -- Obgleich die Sirius- oder Aequatorwärme darin ge- frornen Polarseelen unleidlich sein mus: so ist doch Ihr Herz an ein wärmeres Klima gewöhnt. Es ist Vorurtheil, daß die Jahre die Emp- findung verknöchern und petrifizieren und daß man nur unter einem Milchbart ein Butterherz aufweise. Allerdings ist der Jüngling weich,15 aber am meisten gegen sich und gegen sein Mädgen, deren schöner Kopf ihn wie ein Medusen Kopf gegen die alte und neue Welt verstein[ert]. Ach die Jahre machen oft wunder, stat härter, sie mischen eine längere Vergangenheit in jeden bittern Tropfen der Gegenwart, sie fachen alle[75] Gefühle mehr an, nur schliessen sie alle mehr ein. Im 20 Jahr wurd'20 es mir leichter eine bittere Satyre zu machen als jezt im 30. Ich glaube sogar, der Flug der Phantasie -- nämlich der höhere stillere, nicht das Rebhuhns-Aufprasseln der Almanachsvolerie -- ist im Mittel Alter höher und dauerhafter als früher. Die 4 Seite erinnert mich an die 5 Bitte um Vergebung .. -- Nicht 1000 Empfehlungen -- d. h.25 1000 Nichtse -- sondern 1000 warme Grüsse an Ihre Gemahlin, die von der Kultur und von der einfachen Natur nichts hat als die Tugend und der es leicht werden muste, sich zu verdoppeln in Ihrer schönen Niece.
106. An Christian Otto.30
[Hof, 5. Mai 1795]
Guten Morgen! Schicke mir doch, da dich ohnehin die Horen halten, ein wenig die Thalia zu; und, auf eine halbe Stunde, die Rezension.
6 Jean Paul Briefe. II.
105. An Hofrat Schäfer in Bayreuth.
[Kopie][Hof, 3. Mai 1795]
Kaum bin ich aus Ihrer mit Gärten umzognen Villa heraus, ſo klopf’ ich ſchon wieder an mit einem Brief, um wenigſtens auf irgend eine Art darin zu ſein. So lang ich hier bin, waren am Tage nichts als5 Wolken und zu Nachts nur Blize am Himmel, gerade als wenn er ſeine Schönheiten nur vor Ihrem Standorte aufdekte. — kan ich nur einen ſchweigenden Dank bringen — ein lauter wäre nicht gros genug — und ein thätiger wird leider niemals in meiner Gewalt ſtehen. Ich wüſte nicht, welch[es] ſüſſer wäre, Ihre Gefälligkeit zu empfangen oder zu10 erwiedern — Obgleich die Sirius- oder Aequatorwärme darin ge- frornen Polarſeelen unleidlich ſein mus: ſo iſt doch Ihr Herz an ein wärmeres Klima gewöhnt. Es iſt Vorurtheil, daß die Jahre die Emp- findung verknöchern und petrifizieren und daß man nur unter einem Milchbart ein Butterherz aufweiſe. Allerdings iſt der Jüngling weich,15 aber am meiſten gegen ſich und gegen ſein Mädgen, deren ſchöner Kopf ihn wie ein Meduſen Kopf gegen die alte und neue Welt verſtein[ert]. Ach die Jahre machen oft wunder, ſtat härter, ſie miſchen eine längere Vergangenheit in jeden bittern Tropfen der Gegenwart, ſie fachen alle[75] Gefühle mehr an, nur ſchlieſſen ſie alle mehr ein. Im 20 Jahr wurd’20 es mir leichter eine bittere Satyre zu machen als jezt im 30. Ich glaube ſogar, der Flug der Phantaſie — nämlich der höhere ſtillere, nicht das Rebhuhns-Aufpraſſeln der Almanachsvolerie — iſt im Mittel Alter höher und dauerhafter als früher. Die 4 Seite erinnert mich an die 5 Bitte um Vergebung .. — Nicht 1000 Empfehlungen — d. h.25 1000 Nichtſe — ſondern 1000 warme Grüſſe an Ihre Gemahlin, die von der Kultur und von der einfachen Natur nichts hat als die Tugend und der es leicht werden muſte, ſich zu verdoppeln in Ihrer ſchönen Niece.
106. An Chriſtian Otto.30
[Hof, 5. Mai 1795]
Guten Morgen! Schicke mir doch, da dich ohnehin die Horen halten, ein wenig die Thalia zu; und, auf eine halbe Stunde, die Rezenſion.
6 Jean Paul Briefe. II.
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[Hof, 3. Mai 1795]
Kaum bin ich aus Ihrer mit Gärten umzognen Villa heraus, ſo
klopf’ ich ſchon wieder an mit einem Brief, um wenigſtens auf irgend
eine Art darin zu ſein. So lang ich hier bin, waren am Tage nichts als 5
Wolken und zu Nachts nur Blize am Himmel, gerade als wenn er ſeine
Schönheiten nur vor Ihrem Standorte aufdekte. — kan ich nur einen
ſchweigenden Dank bringen — ein lauter wäre nicht gros genug — und
ein thätiger wird leider niemals in meiner Gewalt ſtehen. Ich wüſte
nicht, welch[es] ſüſſer wäre, Ihre Gefälligkeit zu empfangen oder zu 10
erwiedern — Obgleich die Sirius- oder Aequatorwärme darin ge-
frornen Polarſeelen unleidlich ſein mus: ſo iſt doch Ihr Herz an ein
wärmeres Klima gewöhnt. Es iſt Vorurtheil, daß die Jahre die Emp-
findung verknöchern und petrifizieren und daß man nur unter einem
Milchbart ein Butterherz aufweiſe. Allerdings iſt der Jüngling weich, 15
aber am meiſten gegen ſich und gegen ſein Mädgen, deren ſchöner Kopf
ihn wie ein Meduſen Kopf gegen die alte und neue Welt verſtein[ert].
Ach die Jahre machen oft wunder, ſtat härter, ſie miſchen eine längere
Vergangenheit in jeden bittern Tropfen der Gegenwart, ſie fachen alle
Gefühle mehr an, nur ſchlieſſen ſie alle mehr ein. Im 20 Jahr wurd’ 20
es mir leichter eine bittere Satyre zu machen als jezt im 30. Ich glaube
ſogar, der Flug der Phantaſie — nämlich der höhere ſtillere, nicht das
Rebhuhns-Aufpraſſeln der Almanachsvolerie — iſt im Mittel Alter
höher und dauerhafter als früher. Die 4 Seite erinnert mich an die
5 Bitte um Vergebung .. — Nicht 1000 Empfehlungen — d. h. 25
1000 Nichtſe — ſondern 1000 warme Grüſſe an Ihre Gemahlin, die
von der Kultur und von der einfachen Natur nichts hat als die Tugend
und der es leicht werden muſte, ſich zu verdoppeln in Ihrer ſchönen
Niece.
[75]
106. An Chriſtian Otto. 30
[Hof, 5. Mai 1795]
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halten, ein wenig die Thalia zu; und, auf eine halbe Stunde, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/91>, abgerufen am 21.11.2024.
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